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Lippen und den alten Baron Löwenstein an ihrer Seite, und ihre Blicke glühen
zu Willy hin. Wo war ich schon in diesem Moment wieder für sie! Und der
Abend! Wie wir in der Dämmerung noch hinausgeschwommen sind in den
See, James, Willy und ich, und das laue Wasser mich so köstlich umstreichelt
hat! Was für eine Wonne auch das! Und dann die Nacht… die Nacht…
Wieder hielt der Zug stille. Draußen war es schon ganz licht geworden,
Georg aber blieb regungslos liegen, nach wie vor. Er hörte den Namen der
Station ausrufen, Stimmen von Kellnern, Kondukteuren, Reisenden, hörte
Schritte auf dem Perron, Bahnsignale aller Art, und er wußte, daß er in einer
Stunde in Wien sein würde. – Wenn Anna Nachrichten über ihn bekommen
hätte, wie Heinrich im vergangenen Winter über seine Geliebte! Er konnte
sich nicht vorstellen, daß Anna über dergleichen außer Fassung geriete, selbst
wenn sie daran glaubte. Vielleicht würde sie weinen, aber gewiß nur für sich
allein, ganz in der Stille. Er nahm sich fest vor, sich nichts merken zu lassen.
War das nicht geradezu seine Pflicht? Worauf kam es nun an? Nur auf das
eine, daß Anna die letzten Wochen ruhig und ohne Aufregung verlebte und
daß ein gesundes Kind zur Welt käme. Darauf allein. Wie lange war es schon
her, daß er von Doktor Stauber diese Worte gehört hatte? Das Kind… ! Wie
nahe war die Stunde! Das Kind… dachte er wieder; doch vermochte er nichts
zu denken als eben nur das Wort. Endlich versuchte er sich ein lebendiges,
kleines Wesen vorzustellen. Aber wie zum Possen erschienen ihm immer
wieder Figuren von kleinen Kindern, die aussahen wie aus einem Bilderbuch;
burlesk gezeichnet und in überlauten Farben. Wo wird es seine ersten Jahre
verbringen? dachte er. Bei Bauern auf dem Land, in einem Haus mit einem
kleinen Garten. Eines Tages aber werden wir’s holen und zu uns ins Haus
nehmen. Es könnte auch anders kommen… Man erhält einen Brief: Euer
Hochwohlgeboren, beehre mich mitzuteilen, daß das Kind schwer erkrankt
ist… Oder gar… Wozu an solche Dinge denken? Auch wenn wir’s bei uns
behielten, könnte es krank werden und sterben.
Jedenfalls muß man es zu sehr verläßlichen Menschen geben. Ich will mich
selbst darum kümmern. – Es war ihm, als stände er neuen Aufgaben
gegenüber, die er niemals recht überlegt hatte und denen er innerlich nicht
gewachsen war. Die ganze Geschichte fing gleichsam von neuem für ihn an.
Er kam aus einer Welt zurück, in der ihn alle diese Dinge nichts gekümmert,
wo andre Gesetze gegolten hatten, als die, denen er sich jetzt wieder fügen
mußte. Und war es nicht gewesen, als hätten auch die andern Menschen
gefühlt, daß er nicht zu ihnen gehörte, als wären sie alle von einem gewissen
Respekt durchdrungen gewesen, als hätte Ehrfurcht sie erfaßt, vor der Macht
und Heiligkeit einer großen Leidenschaft, die sie in ihrer Nähe walten sahen?
Er erinnerte sich eines Abends, an dem die Hotelgäste einer nach dem andern
aus dem Klavierzimmer verschwunden waren, als wären sie sich ihrer
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik