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durch seine Seele. Plötzlich merkte er, daß die Augen der Frau Golowski
nicht so hell leuchteten, wie sie wohl hätten tun müssen. Der Strom des
Glücks in ihm staute zurück. Irgendetwas schnürte ihm die Kehle zusammen.
»Nun?« fragte er. Und drohend beinah: »Lebt’s?« »Es hat einen Atemzug
getan… der Professor hofft… « Georg schob die Frau beiseite, war mit drei
Schritten im großen Mittelzimmer, und wie gebannt blieb er stehen. Der
Professor, im langen, weißen Leinenkittel, hielt ein kleines Wesen in den
Armen und wiegte es hastig hin und her. Georg blieb starr. Der Professor
nickte ihm zu und ließ sich nicht stören. Mit durchdringenden Augen
betrachtete er das kleine Wesen auf seinen Armen. Er legte es auf den Tisch
hin, über den ein weißes Linnen gebreitet war, nahm mit den Gliedmaßen des
Kindes heftige Bewegungen vor, rieb ihm die Brust und Antlitz, dann hob er
es in die Höhe, einigemale hintereinander, und immer wieder sah Georg, wie
der Kopf des Kindes schwer auf die Brust niedersank. Dann legte der Arzt das
Kind auf das Linnen hin, horchte an der Brust, erhob sich, ließ die eine Hand
auf dem kleinen Körper liegen und winkte mit der andern Georg sanft zu sich
heran.
Georg, unwillkürlich den Atem anhaltend, trat ganz nahe hin. Er sah zuerst
den Doktor an und dann das kleine Wesen, das auf dem weißen Linnen lag.
Das hatte die Augen ganz offen, sonderbar große, blaue Augen, wie die von
Anna waren. Das Gesicht sah anders aus, als Georg erwartet hatte, nicht
verrunzelt und häßlich wie das eines alten Zwerges, nein; es war wirklich ein
Menschenantlitz, ein schönes, stilles Kindergesicht; und Georg wußte, daß
diese Züge das Ebenbild seiner eigenen waren.
Der Professor sagte leise: »Schon seit einer Stunde hab ich die Herztöne
nicht mehr gehört.«
Georg nickte. Dann fragte er heiser: »Wie geht’s ihr?«
»Ganz gut. Aber Sie dürfen jetzt nicht hinein, Herr Baron.«
»Nein«, erwiderte Georg und schüttelte den Kopf. Er starrte den bläulich
schimmernden, regungslosen, kleinen Körper an und wußte, daß er vor der
Leiche seines Kindes stand. Trotzdem sah er wieder den Arzt an und fragte:
»Nichts mehr zu machen?«
Der zuckte die Achseln.
Georg atmete tief auf und wies nach der geschlossenen Schlafzimmertür.
»Weiß sie schon –?« fragte er den Arzt.
»Noch nicht. Seien wir vorläufig zufrieden, daß es vorbei ist. Sie hat viel
zu leiden gehabt, die Arme. Ich bedaure nur, daß es schließlich für nichts
gewesen ist.«
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik