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jedenfalls, nicht wahr? Wenn wir auch gerade in der letzten Zeit nicht darüber
gesprochen haben, wir haben’s doch beide gewußt. Also ob du in vier Wochen
wegfährst, oder übermorgen – oder heute… «
Nun begann Georg sich ernstlich zu wehren. Das sei durchaus nicht
gleichgültig, ob in vier Wochen oder heute. Im Laufe von vier Wochen könne
man sich doch mit gewissen Gedanken vertraut machen – und überdies alles
genau besprechen – hinsichtlich der Zukunft.
»Was gibt es da viel zu besprechen«, erwiderte sie müd. »In vier Wochen
nimmst du… kannst du mich ebensowenig mitnehmen als heute. Ich glaube
sogar, daß jede – ernsthafte Besprechung zwischen uns erst nach deiner
Rückkunft einen Sinn erhalten kann. Bis dahin wird sich mancherlei geklärt
haben… Wenigstens in Bezug auf deine Aussichten.« Sie blickte zum Fenster
hinaus, in den Garten. Georg zeigte eine gelinde Entrüstung über ihre kühle
Sachlichkeit, die sie auch in einer solchen Stunde nicht verließe. »Ja
wahrhaftig!« sagte er, »wenn man so bedenkt – was das bedeutet, daß du hier
bleibst und ich… «
Sie sah ihn an. »Ich weiß, was es bedeutet«, sagte sie.
Unwillkürlich wich er ihrem Blick aus, nahm ihre Hände, küßte sie, war
innerlich aufgewühlt. Als er wieder aufblickte, sah er ihre Augen mütterlich
auf sich ruhen. Und wie eine Mutter sprach sie ihm zu. Sie erklärte ihm, daß
er gerade in Hinsicht auf die Zukunft – und es schwebte um dieses Wort
kaum wie ein linder Hauch eigener Hoffnung – eine solche Gelegenheit nicht
versäumen dürfe. In zwei oder drei Wochen konnte er ja von Detmold aus auf
ein paar Tage wieder nach Wien zurückkommen. Denn das würden die Leute
dort gewiß einsehen, daß er seine Angelegenheiten hier in Ordnung bringen
müßte. Aber vor allem wäre es notwendig, ihnen einen Beweis seines ernsten
Willens zu geben. Und wenn er auf ihren Rat etwas halte, so gäbe es nur eins:
noch heute abends abzureisen. Um sie brauche er keine Sorge zu hegen, sie
fühlte, daß sie außer jeder Gefahr sei, ganz untrüglich fühle sie das. Natürlich
werde er täglich Nachricht haben, zweimal, wenn er wollte, früh und abends.
Er gab nicht gleich nach, kam nochmals darauf zurück, daß das Unerwartete
dieser Trennung ihn geradezu niederdrücken würde. Sie erwiderte, daß ihr ein
solcher rascher Abschied viel lieber sei, als die Aussicht auf weitere vier
Wochen in Bangen, Rührung und Abschiedsangst. Und das wesentliche bleibe
doch immer: daß es sich um nicht viel mehr handle als ein halbes Jahr. Dann
hatte man wieder ein halbes für sich, und wenn alles gut ginge, so standen
vielleicht nicht mehr viele solcher Trennungszeiten bevor.
Nun fing er wieder an: »Und was wirst du in diesem halben Jahr tun,
während ich fort bin? Es ist doch… «
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik