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Ihnen erkundigen, Herr Doktor, wie es denn eigentlich mit Herrn Rosner
steht… Ich muß sagen, ich fand ihn besser aussehend, als ich nach Annas
Briefen erwartet hatte.«
»Ich hoffe, daß er sich erholen wird«, erwiderte Stauber. »Aber immerhin
muß man bedenken… er ist ein alter Mann. Sogar älter, als er seinen Jahren
nach sein müßte.«
»Aber um etwas Ernstes handelt es sich nicht?«
»Das Alter ist an sich eine ernste Angelegenheit«, entgegnete Doktor
Stauber, »besonders wenn alles, was vorherging, Jugend und Mannheit, auch
nicht sonderlich heiter waren.«
Georg hatte seine Augen im Zimmer umherschweifen lassen und rief
plötzlich aus: »Da fällt mir ein, Herr Doktor, ich habe Ihnen noch immer nicht
die Bücher zurückgeschickt, die Sie so gut waren, mir im Frühjahr zu leihen.
Und jetzt stehen alle unsere Sachen leider beim Spediteur; die Bücher
geradeso wie Silberzeug, Möbel, Bilder. Also ich muß Sie bitten, Herr
Doktor, sich bis zum Frühjahr zu gedulden.«
»Wenn Sie keine ärgern Sorgen haben, lieber Baron… «
Sie gingen zusammen die Treppe hinunter, und Doktor Stauber erkundigte
sich nach Felician.
»Er ist in Athen«, erwiderte Georg, »ich hab erst zweimal Nachrichten von
ihm gehabt, noch nicht sehr ausführliche… Wie sonderbar das ist, Herr
Doktor, so als Fremder in eine Stadt zurückzukommen, in der man vor
kurzem noch zu Hause war, und in einem Hotel zu wohnen, als ein Herr aus
Detmold… «
Doktor Stauber stieg in den Wagen ein. Georg bat, Frau Golowski vielmals
zu grüßen.
»Ich werd’s ausrichten. Und Ihnen, lieber Baron, wünsch ich weiter viel
Glück. Auf Wiedersehen!«
Auf der Uhr der Stephanskirche war es fünf. Eine leere Stunde lag vor
Georg. Er beschloß, in dem dünnen, lauen Herbstregen langsam in die
Vorstadt hinauszubummeln, was auch eine Art Erholung bedeutete. Die Nacht
im Kupee hatte er beinahe schlaflos verbracht, und schon zwei Stunden nach
seiner Ankunft war er bei Rosners gewesen. Anna selbst hatte ihm die Tür
geöffnet und ihn mit einem innigen Kuß empfangen, ihn aber gleich ins
Zimmer geleitet, wo ihre Eltern ihn eher höflich als herzlich begrüßten. Die
Mutter, befangen und leicht verletzt, wie immer, sprach nur wenig; der Vater,
in der Divanecke sitzend, einen drapfarbenen Plaid über den Knien, fühlte
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik