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mit mir hineingehen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, so was tu ich nicht gern. Da ist’s schon
besser, du schenkst den Sitz einem Bekannten. Hol dir doch Nürnberger oder
Bermann ab.«
»Nein«, erwiderte er. »Wenn du nicht mitgehst, geh ich lieber allein. Ich
hatte mich so sehr darauf gefreut. Mir persönlich läge gar nicht so viel an der
Vorstellung. Ich bliebe lieber mit dir zusammen… meinetwegen sogar bei
euch oben; aber ich muß hineingehen, ich habe ja – Bericht zu erstatten.«
»Natürlich mußt du hineingehen«, bekräftigte Anna; und sie fügte hinzu:
»Ich möchte dir auch nicht zumuten einen Abend bei uns oben zuzubringen,
es ist wirklich nicht besonders heiter.«
Er hatte ihr den Schirm aus der Hand genommen, hielt ihn über sie, und sie
hing sich in seinen Arm.
»Du Anna«, sagte er, »ich möchte dir einen Vorschlag machen.« Er
wunderte sich, daß er nach einer Einleitung suchte, und begann zögernd:
»Meine paar Tage in Wien sind naturgemäß so was Unruhiges, Zerrissenes –
und jetzt kommt noch diese gedrückte Stimmung bei euch oben dazu… wir
haben wirklich gar nichts voneinander, findest du nicht?«
Sie nickte, ohne ihn anzusehen.
»Also möchtest du mich nicht eine Strecke begleiten, Anna, wenn ich
wieder abreise?«
Sie sah ihn in ihrer verschmitzten Art von der Seite an und antwortete
nicht.
Er sprach weiter: »Ich kann mir nämlich ganz gut noch einen Urlaubstag
herausschlagen, wenn ich ans Theater telegraphiere. Es wär doch wirklich
wunderschön, wenn wir ein paar Stunden für uns allein hätten.«
Sie gab es zu, herzlich, aber ohne Begeisterung, und machte die
Entscheidung vom Befinden ihres Vaters abhängig. Dann fragte sie ihn, wie er
den Tag verbracht hätte. Er berichtete eingehend und fügte sein Programm für
morgen hinzu. »Wir zwei werden uns also erst am Abend sehen können«,
schloß er. »Ich komme zu euch hinauf, wenn’s dir recht ist. Und da
besprechen wir dann alles weitere.«
»Ja«, sagte Anna und blickte vor sich hin, auf die feuchte bräunlichgraue
Straße.
Nochmals versuchte er sie zu überreden, die Oper mit ihm zu besuchen;
aber es war vergeblich. Dann erkundigte er sich nach ihren Gesangsstunden
und begann gleich darauf von seiner eigenen Tätigkeit zu sprechen, als müßte
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik