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Aber während all dies schwer in seine Seele sank, gab er ihr mit leichten
Worten zu, daß sie wirklich nicht unrecht hätte, und daß Briefe – und seien sie
selbst zwanzig Seiten lang – nicht sonderlich viel enthalten könnten; und
während ein peinigendes Mitleid mit ihr in ihm aufquoll, sprach er linde die
Hoffnung auf eine Zeit aus, in der sie auf Briefe beide nicht mehr angewiesen
sein würden. Und dann fand er zärtlichere Worte, erzählte von seinen
einsamen Spaziergängen in der Umgebung der fremden Stadt, wo er ihrer
dächte; von den Stunden in dem gleichgültigen Hotelzimmer, mit dem Blick
auf den lindenbepflanzten Platz und von seiner Sehnsucht nach ihr, die immer
da war, ob er allein über seiner Arbeit saß, oder Sänger am Klavier begleitete
oder mit neuen Bekannten plauderte. Aber als er mit ihr vor dem Haustor
stand, ihre Hand in der seinen, und ihr mit einem heitern »Auf Wiedersehen«
in die Augen blickte, sah er betroffen in ihnen eine müde, kaum mehr
schmerzliche Enttäuschung verglimmen. Und er wußte: Alle die Worte, die er
zu ihr gesprochen, nichts, weniger als nichts hatten sie ihr zu bedeuten gehabt,
da das einzige, das kaum mehr erwartete und immer wieder ersehnte doch
nicht gekommen war.
Eine Viertelstunde später saß Georg auf seinem Parkettsitz in der Oper,
zuerst noch ein wenig verdrossen und matt; bald aber strömte die Freude des
Genießens durch sein Blut. Und als Brangäne ihrer Herrin den Königsmantel
um die Schultern warf, Kurwenal das Nahen des Königs meldete und das
Schiffsvolk auf dem Verdeck im Glanz des aufleuchtenden Himmels dem
Land entgegenjauchzte, da wußte Georg längst nichts mehr von einer übel
verbrachten Nacht im Kupee, von langweiligen Bestellungsgängen, von
einem recht gezwungenen Gespräch mit einem alten, jüdischen Doktor und
von einem Spaziergang über feuchtes Pflaster, in dem das Licht der Laternen
sich spiegelte, an der Seite einer jungen Dame, die brav, vornehm und etwas
gedrückt aussah. Und als der Vorhang zum erstenmal gefallen war und das
Licht den rotgoldenen Riesenraum durchflutete, fühlte er sich keineswegs in
unangenehmer Weise ernüchtert, sondern es war ihm vielmehr, als tauchte er
sein Haupt von einem Traum in den andern; und eine Wirklichkeit, die von
allerhand Bedenklichem und Kläglichem erfüllt war, floß irgendwo draußen
machtlos vorbei. Niemals, so schien es ihm, hatte die Atmosphäre dieses
Hauses ihn so sehr beglückt wie heute; nie war seiner Empfindung so
offenbar gewesen, daß alle Menschen für die Dauer ihres Hierseins in
geheimnisvoller Weise gegen allen Schmerz und allen Schmutz des Lebens
gefeit waren. Er stand auf seinem Eckplatz vorn im Mittelgang, sah manchen
wohlgefälligen Blick auf sich gerichtet und war sich bewußt, hübsch, elegant
und sogar etwas ungewöhnlich auszusehen. Und war nebstbei – auch das
erfüllte ihn mit Befriedigung – ein Mensch, der einen Beruf, eine Stellung
hatte, und selbst hier, im Theater, mit Auftrag und Verantwortung
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik