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»Nun ja«, sagte Else leise, ohne ihn anzusehen und hatte den einen Arm
mit dem langen weißen Handschuh lässig auf der Brüstung liegen, »Mittag
verbringen Sie wahrscheinlich im Familienkreise.«
Georg tat, als wenn er nichts gehört hätte, und lobte die heutige
Vorstellung. James äußerte, daß er »Tristan« mehr liebe als alle andern Opern
von Wagner, die »Meistersinger« mit inbegriffen.
Else bemerkte einfach: »Es ist ja wunderschön, aber eigentlich bin ich
gegen Liebestränke und solche Geschichten.«
Georg erklärte, daß der Liebestrank hier als Symbol aufzufassen sei,
worauf Else sich auch gegen Symbole eingenommen aussprach. Das erste
Zeichen zum zweiten Akt war gegeben. Georg verabschiedete sich, eilte
hinunter und hatte eben Zeit, seinen Platz einzunehmen, eh der Vorhang
aufging. Er erinnerte sich wieder, in welch halboffizieller Eigenschaft er heute
im Theater säße, und beschloß, sich den Eindrücken nicht länger ohne
Widerstand hinzugeben. Bald gelang es ihm zu entdecken, daß die
Liebesszene doch noch ganz anders herauszubringen wäre, als es hier
geschah; und gar nicht einverstanden war er damit, daß Melot, durch dessen
Hand Tristan sterben mußte, hier von einem Sänger zweiten Ranges
dargestellt wurde, wie übrigens beinahe überall. Nach dem zweiten Fallen des
Vorhangs erhob er sich mit einer gewissen Steigerung des Selbstgefühls, blieb
auf seinem Platze stehen und sah manchmal zu der Ersten-Stock-Loge auf,
aus der Frau Ehrenberg ihm wohlwollend zunickte, während Else mit James
sprach, der mit gekreuzten Armen unbeweglich hinter ihr stand. Es fiel Georg
ein, daß er morgen James’ Schwester wiedersehen würde. Ob sie noch
manchmal jener wunderbaren Nachmittagsstunde im Park dachte, in der
dunkelgrünen Schwüle des Parks, im warmen Duft von Moos und Tannen?
Wie fern dies war! Dann erinnerte er sich eines flüchtigen Kusses im
nächtlichen Schatten der Gartenmauer von Lugano. Wie fern auch das! Er
dachte des Abends unter den Platanen, und das Gespräch über Leo fiel ihm
wieder ein. Eigentlich hätte man schon damals allerlei vorhersehen können.
Ein merkwürdiger Mensch dieser Leo, wahrhaftig! Wie er seinen Plan in sich
verschlossen gehalten hatte! – Denn der mußte natürlich längst festgestanden
haben. Und offenbar hatte Leo nur den Tag abgewartet, an dem er die
Uniform ablegen durfte, um ihn auszuführen. Auf den Brief, den Georg ihm
geschrieben gleich, nachdem er die Nachricht von dem Duell erhalten hatte,
war keine Antwort gekommen. Er nahm sich vor, Leo in der Haft zu
besuchen, wenn es möglich wäre.
Ein Herr in der ersten Reihe grüßte. Ralph Skelton war es. Georg
verständigte sich durch Zeichen mit ihm, daß sie einander nach Schluß der
Vorstellung treffen wollten.
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik