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»Aus der Untersuchungshaft entlassen?« fragte Georg.
»Nein, ganz frei ist er. Sein Advokat hat ein Abolitionsgesuch an den
Kaiser eingereicht, das ist heute günstig erledigt worden.«
»Unglaublich«, rief Breitner.
»Warum wundern Sie sich denn so, Breitner?« meinte Willy. »Es kann
doch auch einmal etwas Vernünftiges geschehen in Österreich.«
»Duell ist nie vernünftig«, sagte Skelton, »und daher kann auch eine
Begnadigung wegen Duells nicht vernünftig sein.«
»Duell, lieber Skelton, ist entweder etwas viel Schlimmeres oder viel
Besseres als vernünftig«, erwiderte Willy. »Entweder ein ungeheuerlicher
Blödsinn oder eine unerbittliche Notwendigkeit. Entweder ein Verbrechen
oder eine erlösende Tat. Vernünftig ist es nicht und braucht es nicht zu sein. In
Ausnahmefällen kann man mit der Vernunft überhaupt nichts anfangen. Und
daß in einem Fall, wie der, von dem wir grad sprechen, das Duell
unvermeidlich war, das werden auch Sie zugeben, Skelton.«
»Absolut«, sagte Breitner.
»Ich kann mir ein Staatswesen denken«, bemerkte Skelton, »in dem selbst
Differenzen solcher Art vor Gericht ausgeglichen würden.«
»Solche Differenzen vor Gericht! O fröhlich!… Glauben Sie wirklich,
Skelton, daß in einem Fall, wo es sich nicht um Besitz- und Rechtsfragen
handelt, sondern wo sich Menschen mit einem ungeheuern Haß
gegenüberstehen, glauben Sie wirklich, daß da mit Geld- oder Arreststrafen
ein Ausgleich geschaffen werden könnte? Es hat schon seinen tiefen Sinn,
meine Herren, daß Duellverweigerung in solchen Fällen bei allen Leuten, die
Temperament, Ehre und Aufrichtigkeit in sich haben, stets als Feigheit gelten
wird. Bei den Juden wenigstens«, setzte er hinzu. »Denn bei den Katholiken
ist es bekanntlich immer nur die Frömmigkeit, die sie abhält sich zu
schlagen.«
»Kommt sicher vor«, sagte Breitner schlicht.
Georg wünschte zu wissen, wie sich die Sache zwischen Leo Golowski und
dem Oberleutnant abgespielt hätte.
»Ja richtig«, sagte Willy, »Sie sind ja ein Zugereister. Also der
Oberleutnant hat das ganze Jahr hindurch diesen Leo Golowski erheblich
kuranzt und zwar… «
»Die Vorgeschichte kenn ich«, unterbrach Georg, »zum Teil aus direkter
Quelle.«
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik