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»Dieser für Ihre Verhältnisse doch etwas zu billige Witz«, sagte
Nürnberger, »läßt mich vermuten, daß Sie sich durch meine Kritik, trotz Ihrer
sehr würdigen Haltung… «
»Nein, Nürnberger, ich schwöre Ihnen, ich bin nicht verletzt. Ich habe
sogar eher ein angenehmes Gefühl, daß die Sache abgetan ist.«
»Abgetan? Warum denn? Es ist doch immerhin möglich, daß ich mich
geirrt habe und daß gerade diesem Stück, das ich für minder gelungen halte,
auf dem Theater ein Erfolg beschieden wäre, der Sie zum Millionär machen
kann. Ich wäre trostlos, wenn durch meine vielleicht ganz unmaßgebliche
Kritik… «
»Gewiß, gewiß, Nürnberger, das müssen wir nun schon einmal alle und in
jedem einzelnen Fall auf uns nehmen, daß wir uns geirrt haben können. Und
nächstens schreib ich doch wieder ein Stück und zwar mit folgendem Titel:
Mir macht niemand was weiß und ich mir selber erst recht nicht… und Sie,
Nürnberger, werden der Held sein.«
Nürnberger lächelte. »Ich? Das heißt, Sie werden einen Menschen
hernehmen, den zu kennen Sie sich einbilden, werden diejenigen Seiten
seines Wesens zu schildern versuchen, die Ihnen gerade in den Kram passen –
andre unterschlagen, mit denen Sie nichts anfangen können, und am Ende… «
»Am Ende«, unterbrach ihn Heinrich, »wird es ein Porträt sein,
aufgenommen von einem irrsinnigen Photographen durch einen verdorbenen
Apparat, während eines Erdbebens und bei Sonnenfinsternis. Einverstanden
oder fehlt noch was?«
»Die Charakteristik dürfte erschöpfend sein«, sagte Nürnberger.
Heinrich nahm Abschied in überlauter Lustigkeit und entfernte sich mit
seinem zusammengerollten Manuskript.
Als er fort war, bemerkte Georg: »Seine Laune kommt mir doch ein
bißchen gekünstelt vor.«
»Finden Sie? Ich hab ihn in der letzten Zeit immer auffallend gut gestimmt
gefunden.«
»Wirklich gut gestimmt? Glauben Sie das ernstlich? Nach dem, was er
erlebt hat?«
»Warum nicht? Menschen, die sich so viel, fast ausschließlich mit sich
selbst beschäftigen wie er, verwinden ja seelische Schmerzen überraschend
schnell. Auf solchen Naturen, und wohl nicht nur auf solchen, lastet das
geringfügigste physische Unbehagen viel drückender, als jede Art von
Herzenspein, selbst Untreue und Tod geliebter Personen. Es rührt wohl daher,
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik