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Humor. Bald begab man sich in den Salon, und nun saß er eine Weile im
erhöhten Erker mit Frau Oberberger, die heute wieder ganz jung aussah und
vor allem über Georgs persönliche Erlebnisse in Detmold näheres zu hören
wünschte. Sie glaubte ihm nicht, daß er nicht mit sämtlichen Sängerinnen
Verhältnisse angeknüpft hatte, wie ihr überhaupt das Theaterleben nur als
Anlaß und Vorwand für galante Abenteuer zu gelten schien; jedenfalls
bestand sie darauf, über Vorgänge hinter den Kulissen, in den Garderoben und
in der Direktionskanzlei Ungeheuerlichkeiten zu vernehmen. Als Georg nicht
umhin konnte, sie durch seine Berichte von der bürgerlich anständigen,
beinahe philiströsen Lebensweise der Bühnenmitglieder und durch die
Schilderung eines eigenen arbeitsvollen Daseins zu enttäuschen, begann sie
sichtlich zu verfallen, und bald saß ihm eine gealterte Frau gegenüber, in der
er dieselbe erkannte, die ihm im verflossenen Sommer zuerst in der Loge
eines weiß-roten Theaterchens und später in einem nun fast vergessenen
Traum erschienen war. Dann stand er mit Sissy neben der marmornen Isis,
und während des harmlosen Plauderns suchte jeder in den Augen des andern
die Erinnerung einer glühenden Stunde unter den tiefen Nachmittagsschatten
eines dunkelgrünen Parks. Aber beiden schien sie heute wie in unzugängliche
Tiefen versunken. Endlich saß er mit Else an dem kleinen Tischchen, auf dem
Photographien und Bücher lagen. Auch sie stellte zuerst gleichgültige Fragen,
wie alle andern.
Plötzlich aber, ganz unvermutet und etwas leiser fragte sie: »Wie geht’s
denn Ihrem Kind?«
»Meinem Kind… ?« Er zögerte. »Sagen Sie mir, Else, warum fragen Sie
mich eigentlich… ? Es ist ja doch nur Neugier.«
»Sie irren sich, Georg«, erwiderte sie ruhig und ernst, »wie Sie sich ja
meistens in mir geirrt haben. Sie halten mich für recht oberflächlich, oder
weiß Gott was. Nun, es hat ja keinen Sinn, weiter darüber zu reden. Aber
jedenfalls ist es nicht so ganz unbegreiflich, daß ich mich nach dem Kind
erkundige. Ich möchte es gern einmal sehen.«
»Sie möchten es sehen?« Er war bewegt.
»Ja. Ich hätte sogar noch eine andre Idee… die Sie aber wahrscheinlich
ganz verrückt finden werden.«
»Lassen Sie doch hören, Else.«
»Ich denke mir nämlich, wir könnten es zu uns nehmen.«
»Wer, wir?«
»James und ich.«
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Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik