Seite - 301 - in Der Weg ins Freie
Bild der Seite - 301 -
Text der Seite - 301 -
war, umgab sie, durchfeuchtetes Laub knisterte und glitt unter ihren Füßen,
und durchs Gesträuch schimmerte die Straße, auf der sie gerade vor einem
Jahr den rötlich-gelben Hügeln entgegengezogen waren. Die Äste breiteten
sich regungslos, als drückte die ferne Schwüle der umgrauten Sonne sie
nieder.
Heinrich war eben daran, den Schluß seines Dramas zu erzählen, der ihm
gestern eingefallen war. Ägidius war auf der Insel gelandet, gefaßt nach der
Todesfahrt von sieben Tagen sein vorverkündetes Schicksal zu erleiden. Der
Fürst schenkt ihm das Leben, Ägidius nimmt es nicht an und stürzt sich vom
Felsen ins Meer hinab.
Georg war nicht befriedigt. »Warum muß Ägidius sterben?« Er glaubte
nicht daran.
Heinrich begriff nicht, daß man das erst erklären sollte. »Wie kann er denn
weiterleben«, rief er aus. »Er war zum Tode verurteilt. Immer mit dem
Ausblick auf das Ende, als unumschränkter Herr auf dem Schiff, Geliebter der
Prinzessin, Freund von Weisen, Sängern, Sternguckern, aber immer mit dem
Ausblick auf das Ende, hat er die herrlichsten Tage erlebt, die je einem
Menschen geschenkt waren. Dieser ganze Reichtum hätte sozusagen seinen
Sinn verloren, ja, die hoheitsvoll-würdige Erwartung des letzten Augenblicks
müßte sich in der Erinnerung dem Ägidius zu lächerlich genarrter Todesangst
verändern, wenn diese ganze Todesfahrt sich am Ende als ein schaler Spaß
enthüllte. Darum muß er sterben.«
»Und Sie halten das für wahr?« fragte Georg mit noch stärkerem Zweifel
als vorher. »Ich kann mir nicht helfen, ich nicht.«
»Das macht nichts«, erwiderte Heinrich. »Wenn es Ihnen jetzt schon wahr
erschiene, hätte ich es zu leicht. Aber wenn die letzte Silbe meines Stückes
einmal geschrieben ist, wird es wahr geworden sein. Oder… « Er sprach nicht
weiter. Sie stiegen eine Wiese hinan, und bald breitete sich das wohlbekannte
Tal zu ihren Füßen aus. An der Hügellehne rechts schimmerte der
Sommerhaidenweg, auf der andern Seite, hart am Wald, zeigte sich der gelb
angestrichene Gasthof, mit den roten Holzterrassen und nicht weit davon, das
kleine Haus mit dem dunkelgrauen Giebel. In ungewissem Nebel war die
Stadt zu ahnen, noch weiter schwamm die Ebene zur Höhe auf und ganz ferne
verdämmerten blasse, niedrig gezogene Berglinien. Nun war eine breite
Fahrbahn zu überschreiten, und endlich führte ein Feldweg über Wiesen und
Äcker nach abwärts. Weit abgerückt zu beiden Seiten ruhte der Wald.
In Georg war ein Vorgefühl der Sehnsucht, mit der er in Jahren, vielleicht
schon morgen sich dieser Landschaft erinnern würde, die nun aufgehört hatte
ihm Heimat zu sein.
301
zurück zum
Buch Der Weg ins Freie"
Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik