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Die programmatischen Leitsätze der ÖVP (1945)#

Die österreichische Volkspartei übernimmt das Erbe jener politischen Gruppen, die stets auf dem Boden der österreichischen Überlieferung standen und Österreichs Selbständigkeit verteidigten. Sie ist eine neue Partei und will alle vaterlandstreuen Österreicher, die sich zur Demokratie bekennen, zu einheitlicher politischer Wirksamkeit zusammenfassen. Ihr Aufruf zur Sammlung und Mitarbeit ergeht an alle politisch reifen Männer und Frauen unseres Vaterlandes.
Was will die österreichische Volkspartei?

I. In staatspolitischer Hinsicht will die Österreichische Volkspartei#

1. Ein neues, freies, selbständiges und lebensfähiges Österreich, das nach den Grundsätzen echter Demokratie gestaltet und regiert wird und sobald wie möglich durch die zu wählende verfassungsgebende Nationalversammlung eine solche demokratische Verfassung erhalten soll, daß der dauernde Bestand der Demokratie und ihre Verteidigung gegen antidemokratische Kräfte wirklich gesichert ist. Einen österreichischen Staat mit einheitlicher Führung unter voller Achtung der historischen Entwicklung und Eigenart der Länder, Sicherung der ihnen gebührenden Autonomie und weitgehender Selbstverwaltung nicht allein der Länder, sondern auch der Gemeinden und beruflichen Körperschaften. Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Achtung vor der Menschenwürde als Richtlinien der staatlichen Tätigkeit. Ehrliche Zusammenarbeit mit allen Österreich bejahenden Parteien und ritterliche, stets die Interessen des Staatsganzen im Auge behaltende Austragung grundsätzlicher und taktischer Meinungsverschiedenheiten.

2. Durchsetzung einer den historischen, geographischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tragenden Grenzziehung durch die bevorstehende Weltfriedenskonferenz, Eingliederung Österreichs in den Weltsicherheitsverband, friedliche Außenpolitik und freundschaftliche Beziehungen zu allen Staaten, namentlich zu den vier verbündeten Großmächten und den Nachbarstaaten im mitteleuropäischen Raum, mit denen vor allem eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit angestrebt werden soll.

3. Schaffung eines österreichischen Milizheeres zur militärischen Sicherung des staatlichen Hoheitsgebietes und zur Durchführung militärischer Sanktionen, die der Weltsicherheitsverband gegebenenfalls gegen internationale Friedensstörer verhängt.

4. Aufrichtung einer zuverlässigen, unbedingt österreichischen Ordnungsmacht, die durch Beamtenschaft, Polizei und Gendarmerie dargestellt wird und Gewähr für die Sicherheit von Personen und Eigentum und für die Reinerhaltung des Staatsapparates von allen antiösterreichischen Elementen und Ideologien bietet. Ausschaltung sämtlicher durch ihre Mitarbeit am Hitlersystem belasteter Personen aus allen Führungsstellen des öffentlichen und privaten Lebens sowie strenge Bestrafung jener Nationalsozialisten, die sich verbrecherischer Handlungen schuldig gemacht haben.

5. Lückenlose Wiederherstellung des Rechtsstaates, der die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und den Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz" gewährleistet.

II. In kulturpolitischer Hinsicht will die österreichische Volkspartei:#

6. Freiheit der Wissenschaft, der Presse, des Literatur- und Kunstschaffens sowie der Vereins- und Versammlungstätigkeit, unter Bedachtnahme auf die Lebensinteressen und die Sicherheit des unabhängigen österreichischen Staates.

7. Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit und freie Ausübung der staatlich anerkannten Bekenntnisse. Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche und der Religionsgemeinschaften im Staate, Abschluss eines den gegebenen Verhältnissen Rechnung tragenden Staatsvertrages mit der katholischen Kirche, der die Mehrheit der österreichischen Staatsbürger angehört. Schutz der Sonn-und Feiertagsruhe, Sicherung der seelsorglichen Betreuung in öffentlichen Anstalten, wie z. B. Kranken-, Waisen- und Siechenhäusern, desgleichen im Bereiche des Heeres. Selbstverwaltung und materielle Unabhängigkeit der Kirche und der Religionsgemeinschaften durch das Recht, Beiträge von ihren Mitgliedern einzuheben. Ein Eherecht, das die fakultative Zivilehe vorsieht, so zwar, dass auch den kirchlich geschlossenen, den Standesämtern unverzüglich zu meldenden Ehen staatliche Geltung zukommt.

8. Zielbewusste Pflege des österreichischen Geistes und schärfste Betonung des eigenständigen österreichischen Kulturgutes, das in dem als Vätererbe auf uns überkommenen christlich-abendländischen Ideengut begründet ist. Freie Entfaltungsmöglichkeit für die Kirche und die Religionsgemeinschaften als vornehmliche Kulturträger, Schutz ihrer Kultureinrichtungen und Kulturdenkmäler und Rückgabe des von den Nationalsozialisten geraubten kirchlichen Vermögens.

9. Sicherung der religiösen Erziehung der Jugend im Rahmen der jeweiligen Religionsgemeinschaft, Erteilung des Religionsunterrichtes in der Schule an alle bekenntnismäßig gebundenen Kinder, soweit es deren Eltern nicht ausdrücklich ablehnen, und Einführung eines pflichtgemäßen Ersatzunterrichtes für die bekenntnismäßig nicht gebundenen Kinder. Zulassung von Privatschulen und privaten Erziehungsanstalten, auch solchen konfessionellen beziehungsweise kirchlichen Charakters, und Erteilung des Öffentlichkeitrechts an sie, soweit sie den staatlichen Erfordernissen Rechnung tragen.

10. In den Schulen aller Stufen, einschließlich der Fachschulen, restlose Durchdringung des Unterrichtes mit österreichischem Gedankengut und Heranbildung der Jugend zu bedingungslosen Österreichern. Gleiche Bildungsmöglichkeiten für alle Kinder und Jugendlichen unseres Volkes und wirksame Förderung der Begabten.

Grundlegende Neugestaltung der Lehrerbildung, rascheste Herausgabe österreichischer Lehrbücher und entschiedene Maßnahmen zur vollständigen geistigen Neuformung der Hoch- und Mittelschulen. Schaffung eines großen österreichischen Volksbildungswerkes unter überparteilicher Leitung. Intensivste Arbeit am Aufbau der österreichischen Nation, die starkes, stolzes österreichisches Staats- und Kulturbewusstsein formen muss. Kulturelle Autonomie für nationale Minderheiten.

III. In wirtschaftspolitischer Hinsicht will die österreichische Volkspartei:#

11. Durchgängige Geltung des Gemeinwohles als oberste Richtschnur der Wirtschaftsführung. Anerkennung des Leistungsprinzips. Staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaft nur, soweit dies vom Standpunkt der Gesamt wirtschaft aus zweckmäßig ist. Weitestgehende Inanspruchnahme der beruflichen Körperschaften und Gewerkschaften zur Lenkung der Wirtschaft, in welcher gleichwohl der Initiative des einzelnen der ihr gebührende Spielraum geboten werden muss. Wirtschaftsfördernde Kreditpolitik auf der Grundlage möglichst niedriger Zinssätze.

Sozialisierung oder Kommunalisierung lebenswichtiger Betriebe nur innerhalb wohlüberlegter, sozial und wirtschaftlich tragbarer Grenzen. Rückgängigmachung der von den Nationalsozialisten vorgenommenen Entkommunalisierungen.

12. Im Bereiche der Landwirtschaft tatkräftige Förderung des Bauernstandes als eines der stärksten Grundpfeiler des Staates. Gerechte Preise für alle Erzeugnisse unter staatlicher Lenkung, Ausgestaltung der landwirtschaftlichen Genossenschaften, Neugewinnung von Anbauflächen, Hebung des Lebensniveaus der Bergbauern durch entsprechende Maßnahmen auf dem Gebiete der Vieh- und Almwirtschaft, Förderung des Wein- und Obstbaues sowie der Wald- und Holzwirtschaft. Weitgehende soziale Fürsorge für die Landarbeiterschaft.

13. Raschesten Wiederaufbau, zielbewussten Ausbau der österreichischen Industrie und kraftvolle Förderung des Gewerbes, insbesondere des österreichischen Qualitätsgewerbes. Schutz des ehrlichen Gewerbetreibenden und Kaufmannes vor unsoliden Elementen, die seine Konkurrenzkraft durch üble wirtschaftliche Machenschaften und schlechte Steuermoral untergraben. Großzügige Ausgestaltung der Verkehrswege, volle Auswertung unserer Wasserkräfte und Bodenschätze und Neubelebung des Fremdenverkehrs. Gesunde Handelsbeziehungen mit den anderen Staaten, auf Grund deren sowohl die Bedürfnisse der heimischen Wirtschaft gedeckt als auch genügende Absatzmöglichkeiten für die österreichischen Erzeugnisse geschaffen werden sollen.

14. Schaffung einer wertbeständigen österreichischen Währung durch Inanspruchnahme internationaler Kredite.

IV. In sozialpolitischer Hinsicht will die österreichische Volkspartei:#

15. Einen echten Sozialstaat, in dem jedem Tüchtigen der Aufstieg zu allen Stellen möglich ist, einen Staat mit vorbildlicher Sozialgesetzgebung und mustergültigen sozialen Einrichtungen.

Ein solcher Sozialstaat verlangt: Anerkennung des Rechtes auf den Ertrag der Arbeit und auf persönliches Eigentum, gerechte Verteilung und Nutzung aller Güter, gerechte Aufteilung der Lasten bei besonderer Berücksichtigung des Familienstandes (Kinderreichtum), gerechten Lohn, Altersversicherung für alle Stände, geeignete Vorkehrungen zur Schaffung von Eigensiedlungen und Ermöglichung des Grunderwerbes für alle arbeitenden Menschen, insbesondere für Arbeiter, Angestellte und Beamte, endlich eine Wohnungspolitik, die durch großzügige Bereitstellung staatlicher und gemeindlicher Mittel jedem Staatsbürger zu einem menschenwürdigen und billigen Heim verhilft.

Unser Vaterland ist durch den nahezu sechs Jahre währenden Krieg, den nationalsozialistischen Raubbau auf allen Gebieten der Wirtschaft und durch eine verderbliche Wirtschaftspolitik bitter arm geworden. Eine Staats-, Kultur-, Wirtschafts- und Sozialpolitik im Sinne unserer Leitsätze, verbunden mit dem hingebungsvollen Fleiß aller schaffenden Österreicher und der in aller Welt anerkannten hohen Qualität der österreichischen Arbeit, wird allmählich wieder den Weg zu Wohlstand und Blüte bahnen.

Quelle#

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