Artmann, H.C.#
* 12. 6. 1921, Wien
† 4. 12. 2000, Wien
Schriftsteller, Übersetzer
Er wuchs hier auf, besuchte die Volks- und Hauptschule, arbeitete drei Jahre als Büropraktikant und begann eine Schuhmacherlehre. Neben autodidaktischen Sprachstudien (u.a. des Assyrischen und Malaysischen) schrieb er Detektivgeschichten.
1940 wurde Artmann zur Wehrmacht eingezogen und kämpfte bis zu seiner Verwundung 1941 im Zweiten Weltkrieg. Danach geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wo er als Dolmetscher tätig war.
Nach 1945 lebte er wieder in Wien, veröffentlichte ab 1947 erste literarische Texte im Hörfunk und in der Zeitschrift "neue wege", in der er auch verschiedenste deutsch- und fremdsprachige literarische Traditionen wie den Surrealismus anregte.
1947 veröffentlichte H. C. Artmann erste Gedichte im Österreichischen Rundfunk. Er betätigte sich im Umfeld der Literaturzeitschrift "Neue Wege" und im "Art Club", ab 1952 arbeitete er mit Konrad Bayer und Gerhard Rühm zusammen ("Wiener Gruppe"). Diese Zusammenarbeit dauerte bis Ende der 1950er Jahre und zeigte sich in Lautgedichten und Theaterstücken, die einen erweiterten Poesiebegriff vertreten, der Grammatik und Sinn ignorierte.
1955 erschien sein Manifest gegen die Wiedereinführung des Bundesheers in Österreich, ein Zeugnis seiner steten Kritik an politischen und kulturellen Missständen. Ab 1954 unternahm Artmann ausgedehnte Reisen durch Europa, u.a. Holland, Belgien Frankreich, Italien und Spanien, in Irland lernte er 1958 Elias Canetti und Erich Fried kennen.
Artmanns erste Buchveröffentlichung "med ana schwoazzn dintn. gedichta aus bradnsee" machte ihn 1958 mit einem Schlag bekannt und wurde – bei moderner Lyrik eine Ausnahmeerscheinung – in kurzer Zeit ein Bestseller.
Zu dem Erfolg trugen auch Schallplatten, gesprochen vom Autor und von Friedrich Polakovics, bei. In den "mit schwarzer Tinte" geschriebenen Gedichten, im Untertitel als "gedichta aus bradnsee" (= Breitensee - Wiener Vorort, wo Artmann geboren wurde) lokalisiert, entdeckte Artmann die Mundart als künstlerisches Ausdrucksmittel neu.
Hinter ihrer scheinbaren Volkstümlichkeit und dem Wiener schwarzen Humor scheinen die Traditionen der europäischen Poesie vom Barock bis zum 20. Jahrhundert durch. Seine österreichische Mundart-Experimente befreiten den Dialekt von nationalistischen Belastungen, besinnlicher Innigkeit und betulicher Provinzialität. Sie fanden viele Nachfolger im deutschsprachigen Raum, auch unter Pop- und Rockmusikern und animierten bekannte Grafiker zu Illustrationen seiner oft in bibliophilen Ausgaben erschienenen Werke.
Artmann selbst gab den Dialekt bald zugunsten subtilerer Sprachspiele auf.
In weiterer Folge experimentierte Artmann mit barocken Sprachmustern in "Von denen Husaren und anderen Seil-Tänzern" (1959) und in "Der aeronautische Sintbart oder Seltsame Luftreise von Niedercalifornien nach Crain" (1972) und mit Trivialmythen in z.B. in Dracula Dracula (1966).
Von 1961 bis 1965 lebte Artmann in Schweden, danach bis 1969 in Berlin und ab 1972 in Salzburg. Im selben Jahr heiratete er die Schriftstellerin Rosa Pock.
In den 1980er Jahren gewann für ihn die Prosa zunehmend an Bedeutung, es erschienen u. a." Die Sonne war ein grünes Ei" (1982) und "Im Schatten der Burenwurst" (1983).
Großteils liegen Artmanns Texte in Sammelbänden vor.
Er schrieb auch Drehbücher zu TV-Filmen, war Förderer und Mentor von jungen österreichischen Schriftstellern und Autoren, Mitglied des österreichischen Kunstsenats und langjähriger Förderer der Grazer Autorenversammlung.
Fast vergessen sind Artmanns Übersetzungen aus dem Dänischen, Englischen, Französischen, Niederländischen, Schwedischen und Spanischen. Legendär wurde dafür aber seine Asterix-Übersetzung ins Wienerische.
Zuletzt arbeitete er an Goldoni-Übersetzungen.
Für sein umfangreiches Werk wurde Artmann erst späte Anerkennung zuteil. Er erhielt zahlreiche Preise und Ehrungen, u. a. den Großen Österreichischer Staatspreis für Literatur (1974). Artmann war zudem Ehrendoktor der Universität Salzburg und Mitglied der Akademie der Künste in Berlin.
Er starb am 4. Dezember 2000 in Wien.
Sein Ehrengrab in der Feuerhalle Simmering befindet sich im Urnenhain, Abt.1/Ring1/Gr.2/Nr.3
Am Schützplatz im 14. Bezirk
H C Artmann Park, Wien 14
ist ihm der H.C.-Artmann-Park gewidmet.
An seine letzten Wohnhaus, Schönborng. 1, in Wien 8, ist eine Gedenktafel zu sehen.
Auszeichnungen, Ehrungen (Auswahl)#
- Großer Österreichischer Staatspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Literatur, 1974
- Würdigungspreis der Stadt Wien für Literatur, 1977
- Preis der Literatur-Initiative der Girozentrale Wien, 1978
- Ehrenring der Stadt Salzburg, 1981
- Rauriser Bürgerpreis für Literatur, 1981
- Literaturpreis des Kulturfonds der Landeshauptstadt Salzburg, 1981 und 1991
- Literaturpreis der Salzburger Wirtschaft, 1983
- Goldenes Ehrenzeichen des Landes Salzburg, Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, 1984
- Manuskripte-Preis für das Forum Stadtpark des Landes Steiermark, 1986
- Übersetzerprämie des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, 1986
- Literaturpreis der Stadt Mainz, 1986
- Kunstpreis bildender Künstler aus Österreich und der BRD für einen hochgeschätzten und bewunderten Kollegen, 1987
- Literaturpreis des Kulturfonds der Landeshauptstadt Salzburg, 1989
- Franz-Nabl-Literaturpreis der Landeshauptstadt Graz, 1989
- Ehrenbecher des Landes Salzburg, 1991
- Österreichisches Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, 1991
- Friedestrom-Preis für Dialektdichtung des Kreises Neuss, 1994
- Goldenes Ehrenzeichen des Landes Kärnten, 1996
- Ehrenring der Stadt Wien, 1996
- Buchprämie des BMWVK, 1996
- Georg-Büchner-Preis für Literatur der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, 1997
- Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln, 1997
- Literaturpreis des Landes Steiermark, 1999
Werke (Auswahl)#
Bücher:- med ana schwoazzn dintn. gedichta aus bradnsee. Salzburg: Otto Müller, 1958.
- hosn rosn baa. Dialektgedichte. Mit der Schallplatte seiner "hosn" im Innviertler Idiom. Scherenschnitt-Portraits der Dichter nach Achleitners Entwurf (Mit Friedrich Achleitner, Gerhard Rühm], Vorw.: Heimito von Doderer. Wien: Frick, 1959)
- Dracula Dracula. Ein transsylvanisches Abenteuer. Ill.: Uwe Bremer. Berlin/Zürich: Rainer/Magica, 1966.
- Das im Walde verlorene Totem. Prosadichtungen 1949-1953. Ill.: Daniela Rustin, Nachw.: Hannes Schneider. Salzburg, Wien: Residenz, 1970.
- The Best of H. C. Artmann. Hrsg.: Klaus Reichert, Ill.: Robert Doxat. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1970. (Die Bücher der Neunzehn 192).
- How much, Schatzi? Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1971. (suhrkamp taschenbuch 136).
- meine maorifrau. Ein Gedicht. Ill.: Joachim Knorpp. Euernbach: Knorpp, 1971
- Aus meiner Botanisiertrommel. Balladen und Naturgedichte. Salzburg, Wien: Residenz, 1975.
- Gedichte über die Liebe und über die Lasterhaftigkeit. Hrsg., Ausw.: Elisabeth Borchers. Frankfurt/M: Suhrkamp, 1975. (Bibliothek Suhrkamp 473).
- Grammatik der Rosen. Gesammelte Prosa. Band 1-3. Hrsg.: Klaus Reichert. Salzburg, Wien: Residenz, 1979
- Der handkolorierte Menschenfresser. Ausgewählte Prosa. Hrsg., Nachw.: Rainer Fischer. Berlin: Volk und Welt, 1984.
- Nachtwindsucher. Einundsechzig österreichische Haikus. Berlin: Rainer, 1984. (Kleine Reihe).
- Verzaubert, verwunschen. Das Waldviertel. (Mit Lotte Ingrisch). Hrsg., Fotos: Franz Hubmann. Wien, München: Brandstätter, 1984.
- ARTMANN, H. C., Dichter. Ein Album mit alten Bildern und neuen Texten. Hrsg.: Jochen Jung. Salzburg, Wien: Residenz, 1986.
- gedichte von der wollust des dichtens in worte gefaßt. Salzburg, Wien: Residenz, 1989.
- Wiener Vorstadtballade. Ein Spaziergang rund um den Galizienberg. Fotos: Franz Hubmann. Salzburg: Otto Müller, 1991.
- Das poetische Werk in zehn Bänden. Gesammelte Gedichte. Hrsg.: Klaus Reichert unter Mitwirkung des Autors. Berlin/München: Rainer/Renner, 1994.
- nebel und petunien. (Mit Barbara Wehr). Ill.: Michael Gölling. Ottensheim: Thanhäuser, 1995.
- Gesammelte Prosa. 4 Bände. Hrsg. Klaus Reichert. Salzburg, Wien: Residenz, 1997.
Stücke:
- Kein Pfeffer für Czermak. Ein Votivsäulchen für das goldene Wiener Gemüt. Posse. Wien: Theater am Fleischmarkt, 1958.
- Dracula Dracula. Ein transsylvanisches Abenteuer. Theater im Europa Center (Konrad Jule Hammer), 1966.
- Strip oder wer unter den Menschenfressern erzogen, dem schmeckt keine Zuspeis. Comic Opera. Libretto: H. C. Artmann, Regie: Winfried Bauernfeind,
- Vertonung: Gerhard Lampersberg. Ost-Berlin: Studio der Deutschen Oper Berlin in der Akademie der Künste, 1967.
- Lob der Optik. Aufbruch nach Amsterdam. Die mißglückte Luftreise. Nebel und Blatt. Vier Einakter. Wien: Experiment am Lichtenwerd, 1970.
- Off to Liverpool - oder ein Engel hilft mir aufstehn. Einakter. Regie: Georg Madeja. Wien: Arena 70, 1970.
- Punch. Einakter. Zürich: Neumarkttheater, 1970.
- Erlaubent, Schas, sehr heiß bitte. Eine musikalische Notwendigkeit von Daniel-Graf auf ein Gleichnis von H. C. Artmann. Regie: Werner Woess. Graz: Schauspielhaus, 1974.
Hörspiele:
- interior fotografico. SDR, WDR, 1957.
- Erlaubent, Schas, sehr heiß bitte. SDR, WDR, 1963.
- Am wunderschönen Flusse Pruth oder Des Zaren Dach. Regie: Peter Zwetkoff. NDR, RB, SDR, 1971.
- das donauweibchen, 1971.
- Die ungläubige Colombina. Interior Fotografico. Erlaubent Schas, sehr heiß bitte. Regie: Otto Düben, Peter O. Chotjewitz, Raoul Wolfgang Schnell. SDR, WDR, 1971.
- Die Schwalbe. Regie: Otto Düben. SDR, 1973
- Kleinere Taschenkunststücke. ORF Niederösterreich, 1973.
- Kein Pfeffer für Czermak. Regie: H. Hartwig. ORF Steiermark, 1988.
- Off to liverpool. Regie: Klaus Gmeiner. ORF Salzburg, 1991.
Filme:
- Das Donauweibchen. TV-Film. Drehbuch: H. C. Artmann, Regie: Wolfgang Glück. ORF, 1960.
- Die Moritat vom Räuberhauptmann Grasel. TV-Film. Drehbuch: Friedrich Polakovics, H. C. Artmann, Regie: Otto A. Eder. ORF, 1969.
- Aus meiner Botanisiertrommel. Naturballaden. Regie: Georg Madeja. ORF, 1976.
- Der Bockerer. Spielfilm. Drehbuch (nach dem gleichnamigen Theaterstück von Ulrich Becher und Peter Preses): Kurt Nachmann, Dialoge: H. C. Artmann, Regie:Franz Antel. Deutschland, Österreich, 1981.
Leseprobe#
aus H. C. Artmann - "Fleiß und Industrie"
XIX. Lehrer und Schulwart
1. Das schulhaus besitzt fassaden und eine gründungsinschrift, ein garten mit chloroformrosen umgibt es im quadrat. In seinen fenstern spiegeln sich die blauen himmel, in den augen der schüler spiegeln sich die lehrkörper. Das erlebnis des lehrers ist der rohrstock, er ist seine beste suppe.
2. Der schulwart in der küche hat eine serviette unter das kinn gebunden, er ißt kohl mit klößen, er ist der dunkle engel der brennstofflager, er besitzt keinen lederball, er ist der mann der schulwartin.
3. Lehrer pfeifen trillerpfeifen, während schulwarte kohlenkeller betreten.
4. Die lehrer des australischen kontinents tragen den september als hut auf dem kopfe, links aufgekrempt - die des amerikanischen stets in der hand, breitrandig allerdings.
5. einer der lehrer ist ein bergfex, er erklimmt die höchsten gipfel im nu, macht fotografische aufnahmen, bringt dias aus dem urlaube mit und zeigt sie während des unterrichtes. Das wird erdkunde genannt (im gegensatz zur bürgerkunde). Während der pausen rauchen die lehrer filterzigaretten und denken sich noten aus. Frage: Wieviel notiert Willy, wieviel Adalbert, wieviel Friedhelm?
6. In beiden kriegen fielen eine menge lehrer auf dem felde der ehre - ihre vor- und familiennamen zeigen uns marmortafeln, die die schulwarte allmonatlich mit sidol, einem guten reinigungsmittel, säubern.
7. Lehrer verfügen über reichlich freizeit, sie bringen sie auf die verschiedensten weisen zu: die einen radeln, andere botanisieren, manche unter ihnen gehören politischen vereinen an, alle jedoch verfassen pamphlete zur verbesserung der menschheit.
8. Oft auch flüstert der schulwart dem lehrer etwas ins ohr: Aha! ist es also so?! Sogleich bricht das gewölke am firmament auseinander, ein schwamm wischt alles restliche von der tafel des himmels, die mittagsglocke schrillt, lehrer und schüler werfen sich erleichtert in mützen und überzieher. Es ist bereits lenzlich in den straßen, die vögel fliehen die glatten stangen der turnsäle.
(S. 43f)
© 2006, Jung und Jung, Salzburg.
LITERATURHAUS
Leseprobe#
Eines seiner nicht-mundartlichen Gedichte aus "gedichte von der wollust des dichtens in worte gefaßt", Mit freundlicher Genehmigung des Residenz Verlags Salzburg 1989
Malmö
ich liebe dein licht
das man nicht so fortbläst
wie spinnweben am speicher
so leicht nicht davonbläst
wie blüten aus apfelbäumen
wenn der seewind mitspielt
oder abzischende teekessel
Leseprobe#
aus Asterix - Da Legionäa
Obelix zu Asterix in der Schlacht:
deutsch: Asterix! Das geht nicht: Vor dem Zuhauen wollen sie nichts sagen, hinterher können sie nicht!
wienerisch: wia soe des gee, Asterix! foam hinhaun mochns ned di bapm auf und nocha sans reif fia kukident!
Asterix nimmt einen Schluck Zaubertrank
deutsch: Ein Schlückchen Zaubertrank für morgen, und dann ins Bett. Wir müssen früh rausl
wienerisch: a schlukkal fon mein dranki kaun nii schodn! ... daun, nix oes wia in di hapfn! moang miass ma frü gschdööd sei!
Goscinny / Uderzo. Asterix - Da Legionäa. Asterix ret wienerisch 3. Übadrogn fon H. C. Artmann. Wien: Egmont Falog, 1999.
Literatur#
- G. Bisinger (Hg.), Über H. C. Artmann, 1972
- H. Schneider, Aufgelesen, Dissertation, Wien 1986
- M. Bauer, Verzeichnis der Schriften H. C. Artmanns von 1950 bis 1996, 1997
Hörprobe#
Weiterführendes#
Quellen#
Redaktion: I. Schinnerl
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