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Krafft-Ebing, Richard von#

eig. Richard Freiherr Krafft von Festenberg auf Frohnberg, gen. von Ebing


* 14. 8. 1840, Mannheim (Deutschland)

† 22. 12. 1902, Mariagrün / Graz (Steiermark)


Psychiater und Rechtsmediziner, war einer der führenden Vertreter der Wiener Medizinischen Schule.

Krafft-Ebing, Richard von
Richard Freiherr von Krafft-Ebing. Lithographie v. Baelz
© Ch. Brandstätter Verlag, Wien, für AEIOU

Krafft-Ebings väterliche Linie war im Jahr 1770 von Kaiserin Maria Theresia geadelt und 1805 von Kaiser Franz II. in den Reichsfreiherrenstand erhoben worden. Krafft-Ebing studierte nach der Reifeprüfung Medizin in Heidelberg und Zürich, wo er dem herausragenden Kliniker Griesinger begegnete, der sein Interesse für Psychiatrie weckte. 1863 wurde er mit seiner Arbeit über "Die Sinnesdilirien" mit "summa cum laude" zum Doktor der Medizin promoviert.

Im Zug einer Studienreise gelangte er nach Zürich, Prag und Berlin und Wien, wo er durch Carl von Rokitansky, Joseph Skoda und Johann von Oppolzer sehr angeregt wurde. An der badischen Landesirrenanstalt Illenau arbeitete er von 1864 bis 1868 als Assistenzarzt von Christian Roller und Karl Hergt. So erhielt er eine praktische Einführung in das breite Gebiet von Behandlung und Pflege von Geisteskranken und Nervenleidenden. In einer 1867 entstandenen Arbeit "Erkenntnis zweifelhafter Seelenzustände" führte er den Begriff der "Zwangsvorstellungen" in die Wissenschaft ein, ebenso wie später denjenigen der "Dämmerzustände".

Ende der 1860er Jahre ließ Krafft-Ebing sich als Nervenarzt in Baden-Baden nieder. 1872 wurde er zum Professor der ersten psychiatrischen Klinik an der Universität Straßburg ernannt. Auf Vermittlung seines Lehrers Roller wurde er 1873 mit der Leitung der neu errichteten steiermärkischen Landesirrenanstalt Feldhof bei Graz betraut; zugleich wurde ihm der Lehrstuhl für Psychiatrie an der Grazer Universität übertragen, der er bis zum Jahr 1880 vorstand.

In späteren Jahren konnte Krafft-Ebing sich auf seine Lehrtätigkeit an der Universität konzentrieren. Im klaren Wissen, dass eine Trennung der Psychiatrie von der Neurologie die Weiterentwicklung beider Fächer behinderte, gelang es ihm, die Professur auf beide Fächer auszuweiten. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt Krafft-Ebings war die Untersuchung der Beziehung von Psychiatrie und Strafrecht. Noch in Straßburg 1875 erschien als sein erstes größeres Werk das "„Lehrbuch der gerichtlichen Psychopathologie"; es folgten das "Lehrbuch der Psychiatrie" (1. Aufl. 1879) und sein bekanntestes Werk, die "Psychopathia sexualis" (1. Aufl. 1886), das bald zum Standardlehrbuch der "Sexualpathologie" im 19. Jahrhundert wurde.

In den Jahren seiner Tätigkeit in Feldhof bzw. an der Grazer Klinik legte von Krafft-Ebing den Grundstein zu seiner Weltberühmtheit; aus vielen Ländern kamen Kranke zu ihm. Für die wachsende Zahl von Patienten aus reichen Familien errichtete er eine für die damalige Zeit vorbildliche Privatklinik in Mariagrün bei Graz.

Krafft-Ebbing Uni Arkaden
Büste von Richard Kauffungen
Universität Wien, Arkadenhof
© Rainer Lenius

Krafft-Ebings wachsender Ruhm brachte ihn 1889 nach Wien an die I. Psychiatrische Klinik der niederösterreichischen Landesirrenanstalt, wo er zum Nachfolger von Maximilian Leidesdorf bestellt wurde; das "psychiatrische Duo" Theodor Meynert und Richard von Krafft-Ebing zog hinfort die Blicke der ganzen psychiatrisch-neurologisch interessierten Fachwelt nach Wien. 1892, nach dem Tod von Meynert, berief man Krafft-Ebing an die psychiatrische Universitätsklinik des Wiener Allgemeinen Krankenhauses.

Auch in dieser Zeit publizierte er mehrere Fachwerken, so u.a. 1894 seine Monographie über die "Progressive Paralyse". Fachbegriffe wie jene des "Sadismus" oder des "Masochismus" wurden von ihm neu definiert. Er studierte den "Hypnotismus" und wandte diesen als einer der ersten klinisch an. Auch wurde er als Gerichtsgutachter gerne zu Rat gezogen.

Seine gewichtigsten Beiträge von breiterer gesellschaftlicher Relevanz waren seine wissenschaftlichen Betrachtungen zur Homosexualität, einem damals noch wenig erforschten Arbeitsgebiet der Mediziner. Krafft-Ebing, der seine Theorien anhand von Kriminalfällen und in der Psychiatrie gesammelten Erfahrungen bildete, definierte Homosexualität als angeborene neuropsychopathische Störung, somit als erblich bestimmte Perversion.

Im 19. Jahrhundert galt Homosexualität in weiten Kreisen der Öffentlichkeit und besonders in der Kirche als unmoralisch und wurde in vielen Ländern Europas mit harten Gefängnisstrafen geahndet. Die "Betroffenen" wären, so meinte Krafft-Ebing, für ihre angeborene "Inversion des Sexualtriebes" nicht verantwortlich und gehörten somit auch nicht in die Hände der Strafrichter - dafür aber in jene der Nervenärzte. Diesen erschloss Krafft-Ebing so eine neue Klientel für die Zwangsbehandlung und für Forschungsexperimente.

Sein scheinbar "fortschrittlicher" Beitrag der Entkriminalisierung nimmt sich aus heutiger Sicht deshalb problematisch aus, da Homosexualität dadurch erst pathologisiert und homosexuelle Menschen quasi entmündigt wurden. Dem entgegen steht jedoch Krafft-Ebings Engagement für eine Humanisierung und ein besseres Verständnis der sexuellen "Anomalien", was in seiner in diesen Dingen äußerst strengen Epoche nicht hoch genug zu bewerten ist.

Mit zweiundsechzig Jahren legte Richard von Krafft-Ebing seine universitären Ämter zurück; ein halbes Jahr danach ereilten ihn im Dezember 1902 mehrere Schlaganfälle. Er wurde am Friedhof St. Leonhard in Graz beigesetzt. Im 14. Wiener Bezirk sind eine Gasse und in Graz-Mariatrost eine Straße nach ihm benannt.

Correspondenz-Karte
Feldhof bei Graz, Correspondenz-Karte, original beschriftet am 24. Juli 1898 von Prof. Richard Freiherr von Krafft-Ebing, Krafft-Ebing’sches Familienarchiv, Graz (A).
Verlag Anton Schlauer, Graz. Aus: Wikicommons, unter PD

Weiterführendes#

Werke (Auswahl)#

  • Die Sinnesdelirien, 1864
  • Die transitorischen Störungen des Selbstbewußtseins, 1868
  • Grundzüge der Criminalpsychologie, 1872
  • Lehrbuch der gerichtlichen Psychopathologie, 1875
  • Lehrbuch der Psychiatrie, 3 Bde., 1879-80
  • Psychopathia sexualis, 1886
  • Der Conträrsexuale vor dem Strafrichter, 1894
  • Psychosis menstrualis, 1902
  • zahlreiche Aufsätze in Zeitschriften; die wichtigsten davon gesammelt und um spätere Erkenntnisse vermehrt, in: Arbeiten aus dem Gesamtgebiet der Psychiatrie und Neuropathologie, 4 Bände, 1897-99

Literatur#

Psychopathia sexualis
Psychopathia sexualis. Original-Verlagsbroschur des Erstrucks 1886
Aus: Wikicommons
  • Österreichisches Biographisches Lexikon ÖBL, Bd. 4, S. 190f
  • Neue Deutsche Biographie NDB, Bd. 12, S. 649f
  • Jörg Hutter: Richard von Krafft-Ebing. In: Rüdiger Lautmann (Hrsg.): Homosexualität. Handbuch der Theorie- und Forschungsgeschichte. Campus, Frankfurt a. M. / New York 1993, S. 48-54
  • Volkmar Sigusch: Richard von Krafft-Ebing: Bericht über den Nachlass und Genogramm. In: Zeitschrift für Sexualforschung. 15, 2002, S. 341-354
  • Volkmar Sigusch: Richard von Krafft-Ebing (1840-1902). Eine Erinnerung zur 100. Wiederkehr des Todestages. In: Nervenarzt. 75, 2004, S. 92-96
  • Projekt Gutenberg-DE: Bibliothek der Sexualwissenschaft. 36 Klassiker der Sexualwissenschaft als Faksimile auf DVD. Verlag Hille & Partner 2008
  • Heinrich Ammerer: Am Anfang war die Perversion - Richard von Krafft-Ebing, Wien 2011

Quellen#

Redaktion: J. Sallachner


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