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Starhemberg, Ernst Rüdiger (Fürst)#

* 10. 5. 1899, Eferding (Oberösterreich)

† 15. 3. 1956, Schruns (Vorarlberg)

Politiker, Heimwehrführer


Ernst Rüdiger Starhemberg. Foto, 1935., © Copyright Österreichisches Institut für Zeitgeschichte, Wien - Bildarchiv, für AEIOU.
Ernst Rüdiger Starhemberg. Foto, 1935.
© Copyright Österreichisches Institut für Zeitgeschichte, Wien - Bildarchiv, für AEIOU.
Nahm 1919 beim "Freikorps Oberland" am Sturm auf den Annaberg in Oberschlesien und am 9. 11. 1923 an Hitlers Marsch auf die Feldherrenhalle in München teil; 1929 Heimwehrführer in Oberösterreich, ab 1930 Bundesführer des Heimatschutzes bis 1936. Er unterstützte den austrofaschistischen Kurs von Engelbert Dollfuß; nach dessen Tod von Juli 1934 bis Mai 1936 Bundesführer der Vaterländischen Front; von Kurt Schuschnigg entmachtet, da er für eine enge Anlehnung an Italien eintrat; 30. 9. bis 4. 12. 1930 Innenminister, 17. 5. 1934 bis 14. 5. 1936 Vizekanzler; emigrierte 1937, 1942-45 in Südamerika. Seine Rückkehr löste 1952 Proteste der SPÖ aus.

Werke (Auswahl)#

  • Between Hitler and Mussolini, 1942
  • Memoiren, mit einer Einleitung von H. Drimmel, 1971

Literatur#

  • L. Jedlicka, E. R. Fürst Starhemberg und die politische Entwicklung in Österreich im Frühjahr 1938, in: Vom alten zum neuen Österreich, 1975









Für oder gegen die Nazis? (Essay)#

Von Anna Maria Sigmund

Ernst Rüdiger Starhemberg ca. 1932 Foto: Deutsches Bundesarchiv, Bild 102-13026. Aus: WikiCommons unter CC
Ernst Rüdiger Starhemberg ca. 1932 Foto: Deutsches Bundesarchiv, Bild 102-13026. Aus: WikiCommons unter CC
"Ein Fürst benützt nicht den Hinterausgang", meinte Ernst Rüdiger Starhemberg angesichts des Ansturms von Journalisten, die das Sanatorium in Schruns (Vorarlberg) belagerten, wo er sich im März 1956 nach seiner Rückkehr aus dem Exil aufhielt. Georg Auer von der kommunistischen "Volksstimme" eröffnete die Attacken auf den ehemaligen Politiker. Von den Debatten erregt, erlitt Starhemberg einen Herzanfall, an dem er kurz darauf verstarb.

Als Chef der Heimwehr, Innenminister, Vizekanzler des faschistischen Ständestaates und Führer der "Vaterländischen Front" zählt Ernst Rüdiger Starhemberg bis heute zu den umstrittensten Politikern der Ersten Republik, deren Geschicke er von 1926 bis 1936 mitprägte. Je nach politischer Weltanschauung wird er als "Arbeitermörder vom Februar 1934", Hochverräter und Protagonist des Austrofaschismus verdammt oder als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus gelobt. Seine erste Prägung erfuhr der am 10. Mai 1899 als ältester Sohn des sechsten Fürsten Starhemberg Geborene durch die feudale, konservative Welt des Adels. Den Zusammenbruch der Herrschaft der Habsburger hat Starhemberg nie überwunden. Bis zu seinem Tode hoffte er auf eine Restauration der Monarchie. Ein weiterer Fixpunkt in seinem Weltbild war die Verachtung von Demokratie, Parlament und Parteienstaat. Der Republik Deutsch-Österreich, die nur mehr 12 Prozent des einstigen Gebiets der Monarchie umfasste, gab Starhemberg als "Missgeburt" keine Überlebenschancen. Folglich wandte er den Blick nach Deutschland, erkor sich die DAP, dann die NSDAP zum Vorbild. Adolf Hitler, der "politische Soldat", Propagandaredner und spätere Parteivorsitzende der NSDAP faszinierte den jungen, ziellosen, vom Militär begeisterten Sohn aus bestem Hause derart, dass er im November 1923 am NS-Putsch zum Sturz der bayerischen Regierung teilnahm.

Wie Hitler sah er im Bolschewismus die größte Gefahr für das Abendland. Diese Überzeugung führte ihn zu der rechtsgerichteten Heimwehr - dem Gegenspieler des "Republikanischen Schutzbunds". Er schmuggelte Waffen aus Bayern nach Tirol, fühlte sich als Haudegen und Rebell, befürwortete "rasches und entschiedenes Handeln" gegen den Bolschewismus. In dem von gewalttätigen Straßenschlachten und dem Brand des Justizpalastes überschatteten Jahr 1927 übernahm Ernst Rüdiger nach dem Tod seines Vaters ein riesiges Vermögen, mit dem er - bis zum Bankrott - Heimwehrverbände finanzierte. In der Folge stieg er zu deren Bundesführer auf. Auf die Rede von Otto Bauer, des Führers der Sozialdemokraten, der auf dem Linzer Parteitag mit der "Diktatur des Proletariats" drohte, antwortete die Heimwehr mit dem "Korneuburger Eid". Er ist Bekenntnis und Forderung zugleich: "Wir wollen den faschistischen Staat." Starhembergs eher konzeptlose Politik war von großem Wankelmut. So empfing er 1930, nach dem Wahlsieg der NSDAP in Deutschland, Heinrich Himmler zu einem Privatbesuch, plante ein Zusammengehen von Heimwehr und NSDAP. Die Verhandlungen scheiterten, da Hitler Starhemberg nicht die Führung übertragen wollte. Daraufhin gründete der Heimwehrführer eine eigene Partei, die er bald auflöste und damit eine dramatische Wende vornahm.

Nähe zu Mussolini#

Eine enge Anlehnung an das faschistische Italien und den "Duce" Benito Mussolini, der sich als Schutzherr der kleinen Alpenrepublik gerierte, schien ihm nunmehr die richtige Politik. Mussolini wurde nicht nur der Mentor und Förderer Starhembergs, sondern, wie jüngste Recherchen italienischer Historiker enthüllten, auch der Finanzier der Heimwehr. In der Folge flossen große, von Starhemberg oft persönlich übernommene Geldsummen - rund 3,5 Millionen Lire - aus den Kassen des faschistischen Regimes nach Wien. Unter dem Einfluss des italienischen Diktators ging Starhemberg, eigenen Angaben zufolge, auf kritische Distanz zu den Nationalsozialisten, die er nunmehr als Gefahr für Österreich betrachtete. Seine Funktion als Bundesführer der Heimwehr legte Starhemberg nach einer Amtszeit von nur acht Monaten zurück. Er nahm im Mai 1931 Urlaub, um seine zerrütteten Finanzen zu ordnen, konnte jedoch nicht verhindern, dass der Ausgleich über das Starhemberg-sche Vermögen verhängt wurde. Seine häufige Absenz von der politischen Bühne unterminierte seine Position, denn bei wichtigen Ereignissen war er meist nicht präsent. So weilte er beim Pfrimerputsch in den Bergen, war er bei der Ermordung von Dollfuß auf Urlaub in Venedig und beim Einmarsch Hitlers in der Schweiz.

Im April 1932 nahm Starhemberg, allen zu diesem Zeitpunkt geäußerten NS-kritischen Äußerungen zum Trotz, am "Stahlhelmtag" in Berlin teil, konferierte mit NS-Führern und traf Adolf Hitler. Die Übernahme der Regierung durch Engelbert Dollfuß am 10. Mai 1932 hat Starhemberg sehr begrüßt. Er bezeichnete Dollfuß gegenüber dem "Duce" süffisant als "offenen, ehrlichen Bauernburschen, dabei grundgescheit, auf politischem Gebiet völlig unbeschrieben". Im März 1933 nutzte der neue Kanzler eine Geschäftsordnungskrise zur Abschaffung des Parlaments. Am 1. Mai verkündete er einen "Ständestaat". Starhemberg schrieb dazu in seinen Memoiren: "Als sich Dollfuß daher entschloß, . . . den lahmgelaufenen Parlamentarismus nicht mehr zu aktivieren, statt dessen autoritär zu regieren, tat er nichts anderes, als einem unhaltbar gewordenen Zustand eben ein Ende zu setzen . . . nur durch rechtzeitiges Ausschalten dieses ungesunden Systems konnte Österreich die Kraft aufbringen, jahrelang dem Ansturm des Nationalsozialismus standzuhalten." Man drängte die von der Politik ausgeschlossene Arbeiterbewegung in die Illegalität. Für Starhemberg bedeutete dies keinesfalls eine Schwächung Österreichs im Kampf gegen die immer bedrohlichere Gefahr aus Deutschland, wo seit Jänner 1933 Hitler regierte. Vielmehr glaubte er, die Nationalsozialisten mit einer Feier zum 250. Jahrestag der Türkenbefreiung Wiens einschüchtern zu können. Im Oktober 1933 brachte er seine Heimwehr in die "Vaterländische Front" ein, wofür ihn Dollfuß zum stellvertretenden Leiter der Einheitspartei ernannte.

Am 12. Februar 1934 kam es zu der längst erwarteten, blutigen Auseinandersetzung zwischen Exekutive, Bundesheer und Heimwehr einerseits - und Republikanischem Schutzbund andererseits. Den Auftakt bildeten eine aggressive Rede Starhembergs in Innsbruck und eine noch schärfere des zwielichtigen Wiener Heimwehrführers Emil Fey. Die durch eine Waffensuche in einem Linzer Arbeiterheim ausgelösten Kämpfe forderten 300 Tote. Starhemberg, der sich mit seinen Heimwehrverbänden maßgeblich an der Niederschlagung des Aufstandes beteiligte, wurde mit dem Posten des Vizekanzlers belohnt. Am 25. Juli 1934 wurde Bundeskanzler Dollfuß von Nationalsozialisten ermordet. Der Antritt der Nachfolge, die ihm als Vizekanzler zugestanden wäre, scheiterte an Starhembergs geringem politischen Durchsetzungsvermögen. Obwohl er neben der Kontrolle über den stärksten Wehrverband Österreichs auch Befehlsgewalt über das Bundesheer besaß, misslang der beabsichtigte "Griff nach der Macht". Schon am 29. Juli 1934 gelobte Bundespräsident Miklas den bisherigen Justiz- und Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg als Kanzler an.

Dieser setzte anfänglich die Politik seines Vorgängers fort, behielt auch Starhemberg als Vizekanzler, beförderte ihn sogar zum obersten Führer der Vaterländischen Front. Der 1936 von Italien vom Zaun gebrochene Abessinienkrieg änderte allerdings die politische Lage von Grund auf. Der nunmehr international isolierte "Duce" suchte und fand Annäherung an Deutschland. Italien musste als Schutzmacht Österreichs abgeschrieben werden, und auch Schuschnigg suchte einen Ausgleich mit NS-Deutschland.

Starhemberg jedoch besiegelte das Ende seiner politischen Laufbahn. In einem Glückwunschtelegramm, das auch Schmähungen gegen die Westmächte und die Demokratie enthielt, gratulierte er Mussolini zum erfolgreichen Feldzug. Schuschnigg entfernte ihn daraufhin aus seinen Ämtern. Am 10. Oktober 1936 löste er die Heimwehr auf.

Anschluss-Propaganda#

Ohne Widerstand zog sich Starhemberg abermals "in die Berge" zurück, wurde Privatmann, machte jedoch schon im darauffolgenden Jahr wieder von sich reden. Die Annullierung seiner Ehe mit Maria Elisabeth Salm-Reifferscheidt durch den Heiligen Stuhl erregte großes Aufsehen. Im Dezember 1937 heiratete Starhemberg die berühmte Schauspielerin Nora Gregor, mit der er bereits einen dreijährigen Sohn hatte. Anschließend reiste das Paar in die Schweiz. Von St. Moritz aus erteilte Starhemberg politische Ratschläge: Mit den Nationalsozialisten sei "das beste Einvernehmen" herzustellen. "Nur dies kann die einzige Rettung für die österreichische Unabhängigkeit sein."

Nach dem Einmarsch der deutschen Armee in Österreich am 12. März 1938 wandte sich Starhemberg von Davos aus direkt an Hitler. Er beteuerte, wie sehr er ihn bereits in seiner Jugend verehrt hatte und brachte seinen Hass gegen Schuschnigg zum Ausdruck. "Mein Führer!", schrieb der bisherige Verfechter eines unabhängigen Österreichs, ". . . war es doch das Ziel des Heimatschutzes, Österreich zu einer Staatseinheit mit dem deutschen Volk zu vereinen." Er bat von einer Verfolgung der Heimwehr abzusehen und bedauerte "jene unselige Zeit, in der sich der Österreichische Heimatschutz und die NSDAP bekämpften". Für die Volksbefragung der Nationalsozialisten nach dem "Anschluss" erließ er einen Aufruf, in dem er dem "Führer" für sein "rasches und zielbewußtes Handeln" dankte. An seine Heimwehrkameraden gerichtet schrieb er: "Ich mache es Euch zur Pflicht: Stellt Euch voll und ganz in den Dienst der für den 10. April anberaumten Volksabstimmung und bekennt Euch an diesem Tag zu Großdeutschland und zu seinem Führer". Die Nationalsozialisten blieben unbeeindruckt, verfügten die Aberkennung der Staatszugehörigkeit und die Enteignung des Starhembergschen Besitzes.

Umsonst legte Starhembergs Rechtsvertreter Graf von Medem Briefe nunmehriger Parteigenossen vor, die die NS-Verbundenheit seines Mandanten beweisen sollten. Elisabeth Salm-Reifferscheidt, Starhembergs geschiedene Gattin, wandte sich angesichts ihrer verzweifelten Finanzlage direkt an den Reichsführer SS, Heinrich Himmler. Sie erinnerte an ein persönliches Treffen im Jahre 1930 und bat um Hilfe. Himmler unterstützte sie aus seiner Privatschatulle, bis die Parteikanzlei des "Führers" auf Einstellung der Geldzahlungen drängte. Ernst Rüdiger Starhemberg übersiedelte nach Frankreich, wo er versuchte, eine "Österreichische Legion" zu gründen. Er diente in der französischen Armee, bis er bei Kriegseintritt der Sowjetunion auf Seite der Alliierten den Dienst quittierte. Während sich Starhemberg, der 18 Jahre im Exil verbrachte, in Argentinien und Chile aufhielt, brachte die SPÖ gegen ihn eine Klage wegen Hochverrats ein. In Wien protestieren Sozialisten und Kommunisten gegen die Rückgabe seines Vermögens. Erst im Dezember 1955 kehrte Starhemberg nach Österreich zurück, wo er am 15. März 1956 starb.

Anna Maria Sigmund ist Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung und Autorin zahlreicher historischer Bücher.

Mit freundlicher Genehmigung der "Wiener Zeitung" 10./11. Dezember 2011