Volkskunde#
Die Entwicklung der Volkskunde steht einerseits in der Tradition eines der Aufklärung verpflichteten Interesses für "Land und Leute" (W. H. Riehl), wie es sich in den verwaltungspolitisch motivierten "Landesbeschreibungen" vor allem des 18. und frühen 19. Jahrhundert dokumentiert ("Versuch einer Statistik vom kameralischen Bezirke Fohnsdorf im Judenburger Kreise", 1813 von J. F. Knaffl im Auftrag Erzherzog Johanns verfasst), und andererseits einer romantisch-idealisierenden Richtung, die in philologisch-historischer Orientierung die Bestimmung eines nationalen "Volksgeistes" (Herder) intendierte. In den beiden "Wiener Schulen" der "Mythologen" (G. Hüsing, K. Spiess, E. Mudrak) und der "Ritualisten" (R. Much, O. Höfler, R. Wolfram) wurde dabei die These von einer in germanische Frühzeit reichenden Kontinuität vertreten. Bereits früh kristallisierte sich ein volkskundlicher Kanon von Sammlungs- und Untersuchungsgegenständen heraus: Als ehemals kameralistische Hilfswissenschaft bzw. in ihrer späteren Rolle als realienkundliche Ergänzung einer germanistischen Altertumskunde beschäftigte sich die Volkskunde vorwiegend mit den materiellen Zeugnissen vor allem des bäuerlich-agrarisch geprägten Wirtschaftens (Nahrung, Kleidung, Wohnung, Geräte); daneben widmete sie sich den "geistigen" Zeugnissen (Sitte und Brauch, Märchen und Sage, Glaube und Frömmigkeit) jenes deutschen "Volkscharakters", wie er im Zuge des Nationalitätenkonflikts in der ausgehenden österreichisch-ungarischen Monarchie propagiert wurde.
Um die Wende zum 20. Jahrhundert entwickelte sich die Volkskunde im Umfeld von Germanistik, Urgeschichte, physischer Anthropologie, Geographie und Ethnographie (Völkerkunde) und war anfangs vor allem im Museumsbereich institutionalisiert: 1895 wurde das Österreichische Museum für Volkskunde gegründet, 1913 das Steirische Volkskundemuseum durch V. Geramb, 1924 das Salzburger Volkskundemuseum durch K. Adrian. Als eigenständige Hochschuldisziplin konnte sich das Fach erst spät etablieren: In Graz gab es ab 1924 einen "Volkskundlichen Lehrapparat" unter V. Geramb im Rahmen der Germanistik, ab 1949 ein eigenes Volkskundeinstitut; in Innsbruck ein Volkskundeinstitut seit 1941 in Weiterführung eines 1923 gegründeten "Instituts für geschichtliche Siedlungs- und Heimatkunde der Alpenländer"; das 1932 gegründete "Institut für religiöse Volkskunde" unter H. Koren wurde 1938 aufgelöst; in Wien bestand 1939-45 ein "Institut für germanisch-deutsche Volkskunde", das 1961 als "Institut für Volkskunde" wiederbegründet wurde. Umso größere Bedeutung hatte die österreichische Volkskunde im populär-kulturpolitischen Umfeld von (meist laienhaft betriebener) Heimatkunde, Heimatpflege und (vor allem ländlicher) Volksbildung im Dienst einer staatstragenden österreichischen Volkskultur (Heimatwerke, Heimatmuseen), eine Rolle, die ihr als "angewandte Volkskunde" auch nach dem 2. Weltkrieg im Sinne der Förderung eines "Österreichbewusstseins" lange Zeit zufiel.
Von ihren Inhalten her war die Volkskunde während der Monarchie und der 1. Republik teilweise einem übernational-vergleichenden Standpunkt (M. Haberlandt) verpflichtet, teilweise folgte sie deutschnationalistischen Einstellungen (V. Geramb) von mehr oder weniger völkisch-rassistischer Prägung (R. Wolfram). Nach 1945 wurde Volkskunde - in Ablehnung fachlich wie politisch kompromittierter Volkstums- und Kontinuitätsprämissen - vor allem als "Wissenschaft vom Leben in überlieferten Ordnungen" (L. Schmidt) auf historisch-quellenkritischer Grundlage (L. Kretzenbacher) verstanden. Heute tendiert das "Vielnamenfach" Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde/Empirische Kulturwissenschaft im Anschluss an die seit Ende der 60er Jahre vor allem in Deutschland vorangetriebene Fachentwicklung zu einer mehr sozialwissenschaftlich ausgerichteten Disziplin; als solche folgt sie einem erweiterten, auch alltagsweltliche Kulturmuster und Verhaltensformen berücksichtigenden Kulturbegriff, widmet sich verstärkt gegenwartsbezogenen Fragestellungen. Die Universitäten Wien, Graz und Innsbruck bieten ein Studium in Europäischer Ethnologie an. Bis zum Abschluss als Bachelor sind sechs, für das Masterstudium vier Semester vorgesehen.
Weiterführendes#
Literatur#
- L. Schmidt, Geschichte der österreichischen Volkskunde, 1951
- L. Kretzenbacher, Volkskunde als Faktor der Kulturprägung im Österreich der Zwischenkriegszeit, in: Internationales kulturhistorisches Symposion Mogersdorf 12, 1983
- K. Beitl, Volkskunde, Institutionen in Österreich, 1992
- R. Johler, Konstrukte: Nationalismus, Regionalismus, Volkskultur - Zum Beitrag der Volkskunde, in: Bericht über den 19. österreichischen Historikertag, 1993
- W. Jacobeit, Völkische Wissenschaft, 1994
- Volkskultur im Historischen Lexikon Bayerns
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