Hans Uebersberger
Hans Uebersberger (* 25. Juni 1877 in Klagenfurt; † 8. Juli 1962 in München) war ein österreichisch-deutscher Osteuropahistoriker mit Professuren in Wien, Breslau und Berlin.
Leben und Wirken
Uebersberger studierte 1895 bis 1899 Geschichte an der Universität Wien.[1] Durch Vermittlung des Fürsten Franz von Liechtenstein, damals k.u.k. Botschafter in Russland, konnte er um 1900 als erster deutschsprachiger Historiker Archivforschungen in Moskau und Sankt Petersburg durchführen.[2] 1906 wurde er Privatdozent, 1910 außerordentlicher Professor, 1915 schließlich ordentlicher Professor für osteuropäische Geschichte an der Universität Wien.[3] Er war wesentlich am Aufbau des 1907 gegründeten Seminars für osteuropäische Geschichte, gefördert durch Fürst Liechtenstein, beteiligt.[4] Seine Forschungsschwerpunkte waren die Geschichte Russlands und Polens in der Neuzeit.[5]
Während des Ersten Weltkrieges war Uebersberger neben Richard Kralik, Rudolf von Scala, Heinrich Friedjung, Eugen von Philippovich und Michael Hainisch ein Fürsprecher eines von Deutschland dominierten Mitteleuropas.
Er war Mitglied der, im Geheimen operierenden, antisemitischen Professorengruppe „Bärenhöhle“ an der philosophischen Fakultät, die erfolgreich akademische Karrieren von Juden in Wien verhinderte.[6] 1930/31 amtierte er als Rektor der Universität Wien.[7] In dieser Zeit konnte er das Seminar für osteuropäische Geschichte an der Universität weiter ausbauen, die Bibliothek des Seminars wurde dadurch zur damals größten Fachbibliothek für osteuropäische Geschichte außerhalb Russlands.
In der Zwischenkriegszeit versuchte Uebersberger vergeblich eine wichtige Beraterrolle für die österreichische Regierung zu spielen. Seine positive Haltung zum Nationalsozialismus – er war am 1. Oktober 1932 der NSDAP beigetreten (Mitgliedsnummer 1.343.337)[8] – kostete ihn seine Professur in Wien, ermöglichte ihm aber 1934 die Erlangung des Lehrstuhls für osteuropäische Geschichte in Breslau. Von 1935 bis 1945 hatte er an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, als Nachfolger des zwangspensionierten Otto Hoetzsch, die Professur inne.[9] Als „überzeugter Nationalsozialist“ übernahm Uebersberger „bereitwillig einflußreiche Funktionen im Apparat des Regimes“.[10]
Im Juni 1940 heiratete Uebersberger, nach der Scheidung seiner ersten Ehe, seine ehemalige Studentin und damalige Kollegin, die Historikerin und Schriftstellerin Hedwig Fleischhacker (1906–1978). Schon Ende 1944 war er mit seiner Frau und dem dreijährigen Sohn Alexander vor den alliierten Luftangriffen zu Verwandten nach Geinberg ins Innviertel geflohen.[11][12] Nach Kriegsende 1945 wurde er als politisch belastet in Berlin entlassen.[13][14]
Obwohl politisch diskreditiert, wurden bei seiner Rückkehr nach Deutschland seine Pensionsansprüche anerkannt.[15] Seit 1950 lehrte er an der Ukrainischen Freien Universität in München, ab 1958 hatte er auch einen Lehrauftrag in Göttingen.[3] 1959 bis zu seinem Tod 1962 war er zudem als Emeritus an der Universität Erlangen tätig.[14] Er war korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sein Grab befindet sich im oberösterreichischen Geinberg.[16] Der Nachlass zusammen mit dem seiner Frau lag zunächst im Osteuropa-Institut und seiner Nachfolgeeinrichtung, dem Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, bevor er 2019 dem Archiv der Humboldt-Universität übergeben worden ist.[17]
Schriften (Auswahl)
- Österreich und Russland seit dem Ende des 15. Jahrhunderts. Braumüller, Wien 1906. (Digitalisat)
- Russlands Orientpolitik in den letzten zwei Jahrhunderten. Auf Veranlassung seiner Durchlaucht des Fürsten Franz von und zu Liechtenstein. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1913. (Digitalisat)
- Russland. Heymann, Berlin 1918.
- mit Ludwig Bittner (Hrsg.): Österreich-Ungarns Außenpolitik von der Bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914. Diplomatische Aktenstücke des Ministeriums des Äußern. Kommission für neuere Geschichte, 9 Bände, Österreichischer Bundesverlag, Wien/Leipzig 1930.
- Der Saloniki-Prozeß. Deutsche Übersetzung nach dem serbischen Originaltexte nachgeprüft vom Orientalischen Seminar in Berlin. Arbeitsausschuß Deutscher Verbände, Berlin 1933.
- Rußlands Territorialentwicklung und Nationalitätenpolitik. Korn, Breslau 1942. Wurde nach Kriegsende in der sowjetischen Besatzungszone auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.[18]
- Österreich zwischen Russland und Serbien. Zur südslawischen Frage und der Entstehung des Ersten Weltkrieges. Böhlau, Wien/Köln 1958.
Literatur
- Arnold Suppan, Marija Wakounig: Hans Uebersberger (1877–1962). In: Arnold Suppan, Marija Wakounig, Georg Kastner (Hrsg.): Osteuropäische Geschichte in Wien. 100 Jahre Forschung und Lehre an der Universität. Studien-Verlag, Innsbruck/Wien/Bozen 2007, ISBN 978-3-7065-4525-9, S. 91–165.
- Marija Wakounig: Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung. (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen. In: Karel Hruza (Hrsg.): Österreichische Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900–1945. Band 3, Böhlau, Wien 2019, ISBN 978-3-205-20801-3, S. 157–184.
Weblinks
- Literatur von und über Hans Uebersberger im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Literatur von Hans Uebersberger im Österreichischen Verbundkatalog
- Fackelzug der Wiener Studenten vor der Universität. Rektor Übersberger spricht; umringt von jungen Männern, die die Hand zum Hitlergruß erhoben haben.
Einzelnachweise
- ↑ Walther Killy: Dictionary of German Biographie. Band 10: Thibaut–Zycha. Walter de Gruyter, 2006, ISBN 3110961164, S. 130.
- ↑ Herbert Dachs: Österreichische Geschichtswissenschaft und Anschluß 1918–1930. Geyer-Edition, Salzburg 1974, S. 141.
- 1 2 Günther Kronenbitter: Krieg im Frieden. Die Führung der k.u.k. Armee und die Großmachtpolitik Österreich-Ungarns 1906–1914. Verlag Oldenbourg, München 2003, ISBN 3-486-56700-4, S. 225.
- ↑ Klaus Meyer: Osteuropäische Geschichte. In: Reimer Hansen (Hrsg.): Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen. Walter de Gruyter, Berlin 1992, ISBN 3-11-012841-1, S. 533–570, hier: S. 565f.
- ↑ Richard Georg Plaschka, Horst Haselsteiner (Hrsg.): Nationalismus, Staatsgewalt, Widerstand. Aspekte nationaler und sozialer Entwicklung in Ostmittel- und Südosteuropa. Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1985, ISBN 3-486-52831-9, S. 399.
- ↑ Kurt Ehrenberg: Othenio Abel’s Lebensweg, unter Benützung autobiographischer Aufzeichnungen. Kurt Ehrenberg, Wien 1975, S. 85 f., ausgewertet bei Klaus Taschwer: Geheimsache Bärenhöhle. Wie ein antisemitisches Professorenkartell der Universität Wien nach 1918 jüdische und linke Forscherinnen und Forscher vertrieb. In: Regina Fritz, Grzegorz Rossoliński-Liebe, Jana Starek (Hrsg.): Alma mater antisemitica. Akademisches Milieu, Juden und Antisemitismus an den Universitäten Europas zwischen 1918 und 1939. Band 3, new academic press, Wien 2016, S. 221–242, hier S. 230 (online).
- ↑ Rektoren der Universität Wien im 20. und 21. Jahrhundert
- ↑ Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/45371460
- ↑ Andreas Kappeler: Osteuropa und osteuropäische Geschichte aus Züricher, Kölner und Wiener Sicht. In: Dittmar Dahlmann (Hrsg.) Hundert Jahre Osteuropäische Geschichte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Steiner, Stuttgart 2005, ISBN 3515085289, S. 107–119, hier: S. 107. Werner Weilguni: Österreichisch-jugoslawische Kulturbeziehungen. 1945–1989. Verlag Oldenbourg, München 1990, ISBN 3702802975, S. 101.
- ↑ Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands. 44 (1996), S. 215.
- ↑ Heike Anke Berger: Deutsche Historikerinnen 1920–1970. Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik. Campus, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-593-38443-6, S. 277.
- ↑ Arnold Suppan, Maria Wakounig: Hans Uebersberger (1877–1962). In: Arnold Suppan, Marija Wakounig, Georg Kastner (Hrsg.): Osteuropäische Geschichte in Wien. 100 Jahre Forschung und Lehre an der Universität. Studien-Verlag, Innsbruck/Wien/Bozen 2007, ISBN 978-3-7065-4525-9, S. 91–165, hier: S. 159ff.
- ↑ Walter M. Markov, Fritz Klein: Grundzüge der Balkandiplomatie. Ein Beitrag zur Geschichte der Abhängigkeitsverhältnisse. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 1999, ISBN 3933240972, S. XXXV.
- 1 2 Wolfram Fischer (Hrsg.): Exodus von Wissenschaften aus Berlin. Fragestellungen - Ergebnisse - Desiderate Entwicklungen vor und nach 1933. Walter de Gruyter, Berlin 1994, ISBN 3110139456, S. 47.
- ↑ Heike Anke Berger: Deutsche Historikerinnen 1920–1970. Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik. Campus, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-593-38443-6, S. 278.
- ↑ Arnold Suppan, Maria Wakounig: Hans Uebersberger (1877–1962). In: Arnold Suppan, Marija Wakounig, Georg Kastner (Hrsg.): Osteuropäische Geschichte in Wien. 100 Jahre Forschung und Lehre an der Universität. Studien-Verlag, Innsbruck/Wien/Bozen 2007, ISBN 978-3-7065-4525-9, S. 91–165, hier: S. 164.
- ↑ Archive und Nachlässe der Bibliothek des IOS
- ↑ Buchstabe U, Liste der auszusondernden Literatur. Herausgegeben von der Deutschen Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone. Zweiter Nachtrag nach dem Stand vom 1. September 1948 (Berlin: Deutscher Zentralverlag, 1948). Abgerufen am 28. Juni 2020.
Personendaten | |
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NAME | Uebersberger, Hans |
ALTERNATIVNAMEN | Übersberger, Hans |
KURZBESCHREIBUNG | österreichisch-deutscher Historiker |
GEBURTSDATUM | 25. Juni 1877 |
GEBURTSORT | Klagenfurt |
STERBEDATUM | 8. Juli 1962 |
STERBEORT | München |
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