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vom 16.02.2015, aktuelle Version,

Neuraltherapie

Die Neuraltherapie ist ein wissenschaftlich nicht anerkanntes Verfahren aus dem Bereich der Alternativmedizin. Dabei soll durch Anwendung eines Lokalanästhetikums das vegetative Nervensystem beeinflusst werden und im Gegensatz zu wissenschaftlich anerkannten Lokalanästhesieverfahren Fernwirkungen entfalten. Bisher konnte für den postulierten Wirkmechanismus kein wissenschaftlicher Nachweis erbracht werden.[1][2][3]

Geschichte

Entwickelt wurde die Neuraltherapie maßgeblich durch die Ärzte Ferdinand und Walter Huneke. Im Jahre 1925 injizierte Ferdinand Huneke seiner an chronischer Migräne leidenden Schwester intravenös versehentlich ein procainhaltiges Präparat anstelle der procainfreien Variante. Die intravenöse Applikation von Procain war zum damaligen Zeitpunkt unüblich, da man eine tödliche Hirnlähmung befürchtete. Huneke beobachtete jedoch in diesem Fall eine schlagartige und bleibende Heilwirkung, so dass er gemeinsam mit seinem Bruder Walter die therapeutische Anwendung von Procain weiter erforschte. Über mehrere Jahre entstand durch diese Forschung zunächst die sogenannte Segmenttherapie als Teil der Neuraltherapie.

Im Jahre 1940 behandelte Huneke eine an Migräne und Gelenkbeschwerden in der Schulter leidende Frau im Bereich einer Beinwunde (Osteomyelitis), nachdem er bereits zuvor mehrfach erfolglos die Segmenttherapie durchgeführt hatte. Nach der Behandlung am Bein soll binnen Sekunden eine deutliche Besserung im Bereich der Schulter eingetreten sein. Er postulierte die Existenz sogenannter „Störfelder“; dabei soll es sich um chronische Entzündungszustände handeln, die den Gesamtorganismus „energetisch“ schwächen und Beschwerden in anderen Bereichen des Körpers hervorrufen können. Huneke glaubte, dass es sich bei dem von ihm Sekundenphänomen-Heilung genannten Phänomen um eine Heilung von Krankheitsherden handele, die eine „Fernstörung“ verursacht haben. Einwände, nach denen es sich um Suggestionen handeln könne, wies er entrüstet zurück. Daraus entwickelte er die sogenannte Störfeldtherapie, die von seinen Schülern bis heute beibehalten wird.

Die „Internationale medizinische Gesellschaft für Neuraltherapie nach Huneke e. V.“ (IGNH) wurde 1958 gegründet mit dem Ziel, die Neuraltherapie zu fördern und zu verbreiten. Von diesem Verein distanzierte sich die Deutsche Akademie für Neuraltherapie und Akupunktur e. V. seit 1981, indem sie die Kritik an den Verfahren annahm und Neuraltherapie seitdem als Zusatztherapie im Sinne der diagnostisch-therapeutischen Lokalanästhesie versteht.[4] 1971 erfolgte für das Gebiet der DDR – zunächst als Arbeitsgemeinschaft Reflexmedizin in der Gesellschaft für Innere Medizin – die Gründung der "Deutschen Gesellschaft für Akupunktur und Neuraltherapie" (DGfAN e. V.).

Behandlungsformen

Segmenttherapie

Bei der Segmenttherapie wird ein Lokalanästhetikum, in der Regel Procain, aber auch Lidocain oder Prilocain, in Form von Hautquaddeln oder an Ganglien im Bereich der entsprechenden Headschen Zonen der inneren Organe injiziert. Dabei soll die Wirkung über das vegetative Nervensystem im betroffenen Segment vermittelt werden.

Störfeldtherapie

Nach Huneke soll es sich bei „Störfeldern“ um chronische Entzündungszustände handeln, die den Gesamtorganismus „energetisch“ schwächen und Beschwerden in anderen Bereichen des Körpers erzeugen können. Die häufigsten Störfelder sollen sich in den Mandeln, Nasennebenhöhlen, der Zahn-Kiefer-Region, Schilddrüse und in Narben befinden.

Huneke ging dabei von folgenden drei Grundsätzen aus:

  1. Jede chronische Erkrankung kann störfeldbedingt sein.
  2. Jede Stelle des Körpers kann zu einem Störfeld werden.
  3. Jede Störfelderkrankung ist nur durch Ausschaltung des Störfeldes heilbar.

Durch gezielte Befragung und Untersuchung wird versucht, das Störfeld zu finden und durch Injektion eines Lokalanästhetikums die Störwirkung zu unterbrechen. Dabei soll besonders die Ausschaltung elektromagnetischer Signale, welche über das vegetative Nervensystem Erkrankungen an jedem Ort des Körpers auslösen können, eine Rolle spielen. Beweisend für das Auffinden des Störfeldes soll das „Sekundenphänomen“ sein: Wenn nach Injektion des Lokalanästhetikums die Beschwerden innerhalb von Sekunden für mindestens 20 Stunden gebessert sind, und dieses Phänomen reproduzierbar ist, ist die Quelle des Störfeldes gefunden.

Andere Behandlungsformen

Bei der Therapeutischen Lokalanästhesie (TLA) werden gereizte Nervenwurzeln, etwa im Bereich der Lendenwirbelsäule, mit einem Lokalanästhetikum infiltriert. Teilweise werden auch Sakralanästhesien oder Periduralanästhesien nur zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Ein weiteres Verfahren ist die Reischauer-Blockade, die bei starken Ischias-Reizungen angewendet wird. Die Sympathikusblockade wird bei Algodystrophien verwendet, um Störungen der lokalen Durchblutung zu behandeln.

Eine weitere Variante der Neuraltherapie ist die Funktionelle Neuraltherapie (FNT). Bei der FNT sind an der Körpervorderseite subkutan Punkte definiert, die mit einzelnen inneren Organen „funktionell“ in Verbindung stehen. Bei Erkrankungen dieser Organe sollen auch die jeweils zugeordneten Punkte deutlich druckschmerzhaft und als Knoten tastbar sein. Durch Injektion eines Lokalanästhetikums in diese Punkte soll nicht nur die Übermittlung von Schmerzsignalen aus den funktionell zugeordneten Punkten, sondern auch aus den erkrankten inneren Organen unterbrochen werden. Mittels wiederholter Anwendung soll so der Heilungsprozess initiiert werden.

Bei der Mesotherapie – einer Kombination von Elementen der Akupunktur, Neuraltherapie, Reflexzonen und Homöopathie – werden verschiedene verdünnte Wirkstoffe gespritzt.

Ausbildung und rechtlicher Status

Die Neuraltherapie wird in der Regel durch naturheilkundlich orientierte Ärzte angeboten. Diese können nach einer Fortbildung, die 12-150 Stunden und eine abschließende Prüfung umfasst, diese Behandlungsform durchführen. Es existiert allerdings keine einheitliche Weiterbildungsordnung; die einzelnen existierenden Zertifikate werden von unterschiedlichen Organisationen unter unterschiedlichen Voraussetzungen vergeben. Bis zum 1. April 2006 führten die Neuraltherapie vollumfänglich auch Heilpraktiker nach spezieller Ausbildung durch. Seit dem 1. April 2006 wurden die für die Anwendung verwendeten Lokalanästhetika, meist Procain und Lidocain jedoch unter die Verschreibungspflicht gestellt und somit die Neuraltherapie für den Heilpraktikerberuf beschnitten. Einzige Ausnahme ist die Anwendung von Lidocain und Procain bis 2 % und intracutaner Injektion (i.c. - die sog. Quaddel) in der gesunden Haut. Aber auch diese Form, die Quaddelbehandlung, gehört zum Bereich der neuraltherapeutischen Behandlungsverfahren.

Am 17. Mai 2009 stimmte eine Mehrheit des Schweizer Stimmvolks dafür, dass die Komplementärmedizin - enthaltend die fünf Behandlungsmethoden Homöopathie, traditionelle chinesische Medizin, Phytotherapie, Neuraltherapie und anthroposophische Medizin - in der Bundesverfassung verankert wird. Die Verfassung enthält nun den Satz „Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Berücksichtigung der Komplementärmedizin.“ Zur Umsetzung dieses Verfassungszusatzes werden ab 2012 die fünf Behandlungsmethoden unter bestimmten Voraussetzungen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bezahlt. Diese Regelung gilt provisorisch bis Ende 2017. In dieser Zeit gelten Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der fünf komplementärmedizinischen Methoden als teilweise umstritten und werden hinsichtlich dieser Kriterien evaluiert.[5]

Nebenwirkungen und Komplikationen

Es kommt bei Anwendung der Neuraltherapie immer wieder zu tödlichen Zwischenfällen.[4] Bekannte Komplikationen und Fälle, die zum Teil von Huneke selbst, zum Teil von anderen beschrieben wurden, sind:

  • tödliche Verletzungen nach Stellatum-Injektionen
  • tödliche Hirnblutung nach Injektion in die Arteria vertebralis
  • tödliche Verletzung der Bauchspeicheldrüse
  • Perforation des Augapfels
  • „Krampfgeschehen quer durch den ganzen Organismus" aufgrund einer Überempfindlichkeit gegen Procain
  • Allergische Reaktionen

Bei Anwendung der Neuraltherapie nach Huneke kann es zu schweren Verletzungen der Patienten kommen. Stöhr und Mayer (1976) und andere Autoren berichteten über fünf Patienten, die Nervenwurzelläsionen nach paravertebraler Injektion von Neuraltherapeutika erlitten hatten.[6][7] In einem Falle kam es zu einer lebensbedrohlichen Hirnblutung nach Neuraltherapie.[8]

In der Neuraltherapie kommt dem Lokalanästhetikum Procain traditionellerweise eine herausgehobene Rolle zu. In der klinischen Anästhesie hat diese Substanz jedoch an Bedeutung verloren, da sie einige ungünstige Eigenschaften besitzt. Zum einen breitet sie sich im Vergleich zu anderen Lokalanästhetika schlecht im Gewebe aus, darüber hinaus gehört sie zur Gruppe der Aminoester, bei deren Abbau durch die ubiquitär vorkommende Pseudocholinesterase Paraaminobenzoesäure entsteht. Auf dieses Abbauprodukt reagieren einige Patienten allergisch. Zusätzlich können bei Anwendung von Procain (wie bei jedem anderen Lokalanästhetikum) die typischen Nebenwirkungen dieser Substanzgruppe wie Herzrhythmusstörungen und ZNS-Symptome bis hin zum generalisierten Krampfanfall auftreten.[9] Neben Procain werden auch Lidocain oder Prilocain verwendet.

Wie bei vielen Behandlungsmethoden aus dem Bereich der Alternativmedizin ist die behauptete Wirksamkeit wissenschaftlich nicht bewiesen; daher werden die Kosten der Behandlung in Deutschland nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Auch besteht die Gefahr, dass bei primärer Behandlung gravierender Krankheiten mit Neuraltherapie eine wirksame Therapie durch wissenschaftlich anerkannte Methoden verzögert wird.

Literatur

  • G. Badtke, I. Mudra: Neuraltherapie. Lehrbuch und Atlas, 2. Aufl., München 1998, ISBN 3861261049.
  • P. Barbagli, R. Bollettin: Therapy of articular and periarticular pain with local anesthetics (neural therapy of Huneke). Long and short term results. Minerva Anestesiol 1998; 64 (1–2): S. 35–43.
  • P. Barbagli, F. Ceccherelli: Possible etiopathogenic role of scars in chronic non malignant pain. Cases and case records, Minerva Medica 2005; 96 (suppl. 2 n. 3): S. 15–24.
  • H. Barop: Lehrbuch und Atlas Neuraltherapie nach Huneke, Hippokrates Verlag, Stuttgart 1996.
  • P. Dosch: Lehrbuch der Neuraltherapie nach Huneke, 14. Aufl., Karl F. Haug, Heidelberg 1995, ISBN 3-8304-0632-0.
  • L. Fischer: Neuraltherapie nach Huneke. Neurophysiologie, Injektionstechnik und Therapievorschläge. Hippokrates, 3. Aufl., Stuttgart 2007. ISBN 383045368X
  • J. D. Hahn-Godeffroy: Neuraltherapie nach Huneke – Störfeldtherapie – ein regulationsmedizinisches Verfahren unter Verwendung von Procain, 2. Aufl., Uelzen 2004. ISBN 3-8813-6223-1
  • J. D. Hahn-Godeffroy: Wirkungen und Nebenwirkungen von Procain: was ist gesichert? In: Komplementäre und integrative Medizin. 02/2007, S. 32–34. ISSN 1863-8678.
  • S. Weinshenk: Handbuch Neuraltherapie: Diagnostik und Therapie mit Lokalanästhetika. Urban & Fischer, München 2011.

Einzelnachweise

  1. American Cancer Society: Description of Neural Therapy (Memento vom 3. November 2008 im Internet Archive) : "Available scientific evidence does not support claims that neural therapy is effective in treating cancer or any other disease.", Nov. 2008
  2. Süddeutsche Zeitung: Weißbrot gegen Krebs, vom 16. Februar 2015
  3. Onmeda: Neuraltherapie, abgerufen am 16. Februar 2015
  4. 1 2 Irmgard Oepen: Neuraltherapie- „Zauberspritze“ oder diagnostisch-therapeutische Lokalanästhesie? in: Außenseitermethoden in der Medizin. Ursprünge, Gefahren, Konsequenzen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1986, ISBN 3-534-01736-6
  5. Mitteilung des Eidgenössischen Departements des Innern, 12. Januar 2011
  6. M. Stöhr, K. Mayer: Nerve-root damage from local injections. Dtsch Med Wochenschr. 1976 Aug 13; 101 (33): S. 1218–1220
  7. W. Mattig, W. Buchholz, H. Schulz: Severe iatrogenic lesions caused by Huneke's neural therapy., Z Gesamte Inn Med. 1979 Mar 1; 34 (5): S. 143–147
  8. U. Heyll, D. J. Ziegenhagen: Subarachnoid hemorrhage as life-threatening complication of neural therapy. Case report. Versicherungsmedizin. 2000 Mar 1; 52 (1): S. 33–36
  9. Larsen: Anästhesie, 7. Auflage
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