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vom 01.12.2012, aktuelle Version,

Vereinigte Staaten von Groß-Österreich

Die Vereinigten Staaten von Groß-Österreich (auch Vereinigte Staaten von Großösterreich) waren eine nie umgesetzte Idee einer Gruppe politischer Vordenker um den österreichischen Erzherzog Franz Ferdinand. Sie wurde vom Juristen und Politiker Aurel Popovici konkret ausgearbeitet und 1906 veröffentlicht.

Vorschlag für die Vereinigten Staaten von Groß-Österreich durch Popovici, 1906
Verteilung der Umgangssprachen in Österreich-Ungarn [1]

Nationalitätenkonflikte in Österreich-Ungarn

Mit dem aufkommenden Nationalstaatsdenken im 19. Jahrhundert entstanden in der Habsburgermonarchie zunehmende Probleme. Die Grenzen der einzelnen Kronländer der Monarchie waren rein historisch bedingt und orientierten sich nicht an ethnisch-sprachlichen Gegebenheiten. Eine gewisse Entspannung des Nationalitätenproblems ergab sich zunächst nach dem Ausgleich von 1867, bei dem das Kaisertum Österreich in die Österreichisch-Ungarische Monarchie umgewandelt wurde. Sowohl in der österreichischen als auch in der ungarischen Hälfte waren die beiden staatstragenden Völker, die Deutschen und die Magyaren, jedoch in der Minderheit. Die anderen in der Donaumonarchie lebenden Volksgruppen – vor allem die Tschechen, Polen, Ruthenen/Ukrainer, Rumänen, Kroaten, Slowaken, Serben, Slowenen und Italiener – hatten zunächst keinen oder nur geringen Einfluss auf die Politik.

In der österreichischen Hälfte kam es in den Jahren nach 1867 zu einer zunehmenden politischen Emanzipation der meisten Volksgruppen, die in einigen Landtagen der Kronländer die Mehrheit (Polen in Galizien, Tschechen in Böhmen und Mähren, Slowenen in Krain, Kroaten in Dalmatien) und eine gewissen Kulturautonomie (polnische Universitäten in Krakau und Lemberg, tschechische Universität in Prag) erlangten. Gefördert wurde diese Entwicklung durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1907 in der österreichischen Reichshälfte. Im Königreich Ungarn gab es jedoch bis zum Zerfall der Doppelmonarchie kein allgemeines Wahlrecht und die ungarische Regierung betrieb eine strikte Magyarisierungspolitik, die das Ziel der vollständigen Assimilation der nicht-magyarischen nationalen Minderheiten hatte. Innerhalb des ungarischen Teils war nur das Königreich Kroatien und Slawonien davon ausgenommen, das eine Teilautonomie genoss.

Reformvorschlag von Aurel Popovici

Der Thronfolger Franz Ferdinand sah dieses Problem, das den Staat zu zersprengen drohte, und versuchte Möglichkeiten einer Lösung zu erarbeiten. Er plante eine radikale politische Neuordnung durch die Bildung einer Reihe von ethnisch und sprachlich bestimmten teilsouveränen Gliedstaaten, welche alle Teil einer größeren Föderation beziehungsweise Konföderation freier Völker, die „Vereinigte Staaten von Groß-Österreich“ genannt werden sollte, sein sollten. Durch dieses Vorhaben sollte Identifizierung mit Sprache und Kultur mehr gestärkt werden und die unausgewogene Machtverteilung im Staat korrigiert werden.

Aurel Popovici plante in der von ihm ausgearbeiteten Reform eine föderative Gestaltung des Bundes- oder Reichsgebietes in 15 nahezu einsprachigen Ländern:

Bosnien-Herzegowina behielt vorläufig als Okkupationsgebiet seine bisherige Stellung.

Diese ethnisch-geographischen Einheiten wären aber so homogen wie wenige Nationalstaaten in Europa, und sollten den habsburgisch regierten Bundesstaat der Vereinigten Staaten von Groß-Österreich bilden. Dazu kamen noch einige, zumeist deutschsprachige Enklaven im östlichen Siebenbürgen und anderen Stellen in der Monarchie, die einen beschränkten Autonomiestatus (Nationalautonomie) haben sollten.[2]

Kritische Würdigung aus historischer Perspektive

Eine Realisierung von Popovicis Modell hätte insgesamt sicher eine gerechtere Verteilung der Machtverhältnisse im Gesamtstaat bewirkt. Insbesondere wären auch Nationalitäten zum Zuge gekommen, die bisher so gut wie gar keine Vertretung in der Politik hatten, wie die Slowaken, Ukrainer oder Rumänen. Die Grenzziehungen wären wahrscheinlich auch gerechter gewesen als jene, die durch den Vertrag von St. Germain 1919 und den Vertrag von Trianon 1920 nach dem Ersten Weltkrieg erfolgt sind.

Die Realisierung hätte aber nur gegen erhebliche politische Widerstände erzwungen werden können, da einige Nationalitäten ihre Privilegien verloren hätten:

  • in allererster Linie hätten die Ungarn auf die Herrschaft über die nicht-ungarischen Völkerschaften verzichten müssen, was wohl kaum ganz freiwillig erfolgt wäre,
  • die Polen hätten auf ihre bisherige Herrschaft über die Ukrainer in Ostgalizien verzichten müssen,
  • Tschechen und Deutsche hätten sich über die Abgrenzung ihrer Herrschaftsgebiete in Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien einigen müssen, was angesichts der von beiden Seiten erhobenen nationalistischen Maximalforderungen sehr schwierig gewesen wäre.
  • alle beteiligten Völkerschaften hätten Kompromissbereitschaft bei der Festlegung der Grenzen der Teilstaaten aufbringen müssen, was in den nationalistisch aufgeheizten Diskussionen der Vorkriegszeit, in denen die Donaumonarchie häufig nur als ein „Völkerkerker“ gesehen wurde, schwer durchsetzbar gewesen wäre.
  • eine völlig „ethnisch reine“ Grenzziehung war durch die starke Durchmischung nicht möglich und große Bevölkerungsgruppen hätten als Minderheit in anderssprachigen Staaten leben müssen.

Insgesamt hätte die Realisierung eines solchen Planes eine große politische Energie und großes politisches Durchhaltevermögen erfordert. Hätte sie diese Krise jedoch überstanden, wäre sie stabilisiert worden und existierte vielleicht noch heute. Die Reform wurde jedenfalls nicht in Angriff genommen und die österreichische Regierung behalf sich weiterhin mit einer Politik des „Durchwurstelns“, die die Probleme nur verschleppte und nicht löste.

Einschätzung in der Geschichtswissenschaft

Popovici erscheint als Vertreter der Interessen der geschichtslosen Nationen der ungarischen Reichshälfte.[3] Aber gerade der Radikalismus, mit dem der Autor die jahrhundertealten Kronlandsgrenzen von der Landkarte streicht, machte den konservativen Sympathisanten und Rezensenten eine völlige Zustimmung unmöglich.[4] Popovicis Auflösung der alten historisch-politischen Individualitäten war einfach unvereinbar mit dem alten Prinzip indivisibiliter ac inseparabiliter (unteilbar und untrennbar) der Pragmatischen Sanktion.[5] Groß-Österreich wurde vorübergehend zur „Parole jener säbelrasselnden, romantisierenden Offiziere, Aristokraten, Journalisten“, die den Thronfolger Franz Ferdinand umgaben.[6] Ihnen gefiel vor allem eine Grundintention des Konzeptes: die Erhaltung der machtpolitischen Stellung des Habsburgerreiches in Europa.[7] Robert A. Kann zieht als Fazit, dass die Verhältnisse seit 1867 sicher noch ungerechter als Popovicis Programm waren,

es ist aber nicht dasselbe, den ausgetretenen Pfad althergebrachter Mängel zu beschreiten, die zumindest in Österreich durch die administrative Praxis einigermaßen gemildert wurden, als fast notgedrungen durch verfassungswidrige Mittel eine neue und wieder unvollkommene Ordnung einzuführen. Während nämlich die alten Unbilligkeiten durch die Macht der Tradition auf lange Sicht toleriert würden, war es höchst unwahrscheinlich, dass neue wenn auch geringere Übel – wenn überhaupt – ohne heftigen Kampf hingenommen worden wären.[8]

Siehe auch

Literatur

  • Erich Kowalski: Die Pläne zur Reichsreform der Militärkanzlei des Thronfolgers Franz Ferdinand im Spannungsfeld von Trialismus und Föderalismus. Ungedruckte Diplomarbeit, Wien 2005.
  • Aurel Popovici: Die Vereinigten Staaten von Groß-Österreich. Politische Studien zur Lösung der nationalen Fragen und staatrechtlichen Krisen in Österreich-Ungarn. Leipzig 1906.
  • Alina Teslaru-Born: Ideen und Projekte zur Föderalisierung des Habsburgischen Reiches mit besonderer Berücksichtigung Siebenbürgens 1848–1918. Inauguraldissertation an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt am Main 2005, PDF-Volltext.

Einzelnachweise

  1. Distribution of Races in Austria-Hungary. In: William R. Shepherd: Historical Atlas. New York 1911.
  2. Aurel Popovici: Die Vereinigten Staaten von Groß-Österreich. Politische Studien zur Lösung der nationalen Fragen und staatrechtlichen Krisen in Österreich-Ungarn. Leipzig 1906, S. 308 f.
  3. Robert A. Kann: Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. Geschichte und Ideengehalt der nationalen Bestrebungen vom Vormärz bis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1918. Band 2: Ideen und Pläne zur Reichsreform. Graz/Köln 1964, S. 202.
  4. Theodor Sosnosky: Die Politik im Habsburgerreiche. Randglossen zur Zeitgeschichte. Band 2, Berlin 1913, S. 395.
  5. Wolfgang Hlousa: Das Föderalisierungskonzept von Aurel C. Popovici „Die Vereinigten Staaten von Groß-Österreich“. Ungedruckte Diplomarbeit, Wien 1989, S. 80.
  6. Max Polatschek: Franz Ferdinand - Europas verlorene Hoffnung. Verlag Amaltea, Wien/München 1989, ISBN 3-85002-284-6, S. 231.
  7. Wolfgang Hlousa: Das Föderalisierungskonzept von Aurel C. Popovici „Die Vereinigten Staaten von Groß-Österreich“. Ungedruckte Diplomarbeit, Wien 1989, S. 81.
  8. Robert A. Kann: Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. Geschichte und Ideengehalt der nationalen Bestrebungen vom Vormärz bis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1918. Band 2: Ideen und Pläne zur Reichsreform. Graz/Köln 1964, S. 207.


Das Kartenmaterial ist extrem gut,besonders die Karte der Umgangssprachen...

-- Glaubauf Karl, Samstag, 19. Oktober 2013, 16:33


Das Hauptproblem bestand darin, dass das allgemeine Wahlrecht nur in der cisleithanischen Reichshälfte galt, wodurch Ungarn nicht demokratisiert war, weshalb sich immer weniger Staatsbürger mit dem Gesamtstaat identifizierten....

-- Glaubauf Karl, Samstag, 19. Oktober 2013, 16:56