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Politik ohne Priester, aber mit großem Laienaufgebot#

von Hubert Feichtlbauer

Der CV-Widerstand konnte nicht gebrochen werden -
aber jetzt ist der Konflikt endgültig anachronistisch geworden.

Am 30. November 1933 be- schloss die katholische Bi- schofskonferenz von Österreich einstimmig, den Klerus aus der Politik zurückzuberufen. "Der" Klerus bestand in diesem Fall aus 20 Abgeordneten zum National- rat, drei Bundesratsmitgliedern und einem Dutzend Vertretern in Landtagen und Gemeinderäten, die ihre Mandate "und sonstige führende politische Stellen" in der Christlichsozialen Partei bis 15. Dezember zurücklegen soll- ten. Aber sieh da: Nach Errich- tung des autoritären Ständestaa- tes sahen sich sieben Priester und ein katholischer Laie als Beauf- tragte von Bischöfen in politische Positionen des Ständestaates zu- rückversetzt: Wie reimte sich das zusammen? Heute herrscht die Auffassung vor, dass die Kirche schon damals das Unglück politisieren-der Priester erkannte und weite-ren Schaden von sich abwenden wollte. Leider handelt es sich hier um ein Missverständnis. Man wollte mit dieser Maßnahme, die auch von sozialdemokratischer Seite zuerst als Nein zum auto-ritären Regime gedeutet wurde, in Wirklichkeit der autoritären neuen Verfassung Anerkennung zollen. Der Weihnachtsbrief der Bischöfe 1933 schuf Klarheit: Die Regierung Dollfuß biete die sicherste Garantie für Wahrung der Interessen der Kirche "und deshalb fallen die Gründe weg, weshalb Geistliche Mandate oder sonstige politische Stellen annahmen", las man dort. Wenn sich das als Irrtum herausstellen sollte, behielt sich die Kirche das Recht vor, "ihre Priester wieder zur Verfügung zu stellen." (Alle Zitate detailliert bei "Maximilian Liebmann (CI): "Heil Hitler - pastoral bedingt", Böhlau 2009. Die vorliegende Faktendarstellung folgt im Wesentlichen diesem Buch, Wertungen verantwortet der Verfasser.) Schon in dem zu Pfingsten 1933 Unterzeichneten neuen Konkor-dat, das auf österreichischer Seite Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (F-B) und Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg (Aln), seitens des Heiligen Stuhles Kar-dinalstaatssekretär Eugenio Pa- cclli (Tfs EM), der spätere Papst Pius XII., unterschrieben hatten, erblickte die katholische Kirche eine volle Erreichung der unmit-telbaren Kulturkampfziele: Die obligatorische Zivilehe wurde verhindert, der Religionsunter-richt an den öffentlichen Schulen gesichert, der Religionsfonds (Vermögensmasse der durch

Joseph II. aufgehobenen Kirchen und Stifte) sowie die Kongrua (Gehaltssicherung geistlicher Würdenträger aus diesem Fonds) festgeschrieben. Deshalb brauchte die Kirche keine aktiven Politiker aus Kleriker-Reihen mehr - man vertraute der Interessenvertretung durch die Regierung und verord- nete eine Auflösung der selbständigen katholischen Vereine und Verbände. Diese unterwarfen sich der zentralistischen Neuordnung nicht widerspruchslos. "Der christliche Führergeist kettet die Laienapostel an Bischöfe und Pfarrer mit unzerbrechlichen Ketten" las man im Referatsband "Katholische Aktion und Seelsorge." Und ebenso: "Es ist katholischer, mit dem Bischof in Irrtum als gegen den Bischof in die Wahrheit zu schreiten". Starker Tobak, den abgelehnt zu haben sich der CV nicht genieren muss. Sein Widerstand konnte nicht gebrochen werden. "Sowohl aus der satzungsgemäßen inneren Zweck-natur unseres Verbandes wie aus der geschichtlich gewordenen Lebensform unserer Verbindungen, de-ren Wesenselement die selbständige Führung ihrer Angelegenheiten durch ihre freigewählten Organe darstellt, folgt klar die Unvereinbarkeit mit Bindun-gen, wie sie eingangs dargestellt wurden", schrieb die junge Studentenschaft des CV in der Steiermark, abgesprochen mit dem Gesamtverband des Österreichischen Cartellverbandes, an Fürstbischof Ferdinand Stanislaus Pawlikowski (Trn EM), welcher in Graz der versuchten Zentralisierung eifrig voranschritt.

NEUE ZEITEN MIT ALTEM KONFLIKT#

Weder die einen noch die anderen konnten die Ex-pansion des Hitler-Regimes aufhalten. Ein solcher Gegner hat beide Seiten und beide Konzepte über-fordert.1938 zerstörte die nicht mehr nur autoritäre, sondern brutal diktatorische Naziherrschaft mitleid-los die alte Idylle, und da half die Bereitschaft der Kirche, im Bedarfsfall ihre "Priester wieder zur Ver-fügung zu stellen", nichts mehr. Laut Gerhart Hart-mann (Baj) und Peter Krause (Rt-D) haben rund 30 Carteilbrüder ihren nie verleugneten katholischen Glauben in der Hitler-Zeit mit ihrem Leben bezahlt. Weder die den Bischöfen unterstellte Katholische Aktion (KA) noch die 1933 eigenständig gebliebenen katholischen Verbände überlebten als Organisation. Beide wurden nach 1945 reaktiviert. Wie sollte und konnte es nun weitergehen? Alte Feuer schwel-ten weiter. Die Bischofskonferenz war mehr denn je davon überzeugt, dass ein ihr unterstellter Dachverband, eben die KA mit allen ihren Gliederungen, am besten die katholischen Laien Zusammenhalten und vor unerwünschten Eigenmächtigkeiten bewahren konnte. Im Dezember 1945 beschloss sie auf ihrer Tagung in Salzburg, dass sie sich "zur Errichtung der früheren Vereine ebenso ablehnend verhält wie

zur Errichtung der früheren Jugendorganisationen. Wenn im Einzelfalle eine Widererrichtung notwendig ist, um das frühere Vermögen wiedergewinnen zu können, so geschehe das bloß formell, ohne den Vereinsbetrieb zu aktivieren. Die Auflösung des Ver-eins ist hernach ehestens einzuleiten!" Diese Freude machte der CV den Bischöfen nicht, auch wenn angesehene und starke Persönlichkeiten wie Otto Mauer, Seelsorgeamtsleiter Karl Rudolf (Am) in Wien oder Hanns Koren (CI EM) in der Steiermark und Ferdinand Klostermann in Oberösterreich (dieser freilich mit der gebotenen Bereitschaft zur Selbstkritik) für die Neuordnung kräftig die Trommeln rührten. Klarheit wurde 1953/54 ge- schaffen, als Franz Karasek (Nc), Sekretär von Bun-deskanzler Julius Raab (Nc), über dessen Auftrag und gegen einen starken Widerstand von Episkopat und KA, die Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände (AKV) organisierte, die Otto Mauer nicht zu Unrecht einer "undurchsichtigen Verquickung der Kirche mit der ÖVP" verdächtigte. Im Wesentlichen stellten sich nur der spätere Konzilstheologe Karl Rahner und andere Jesuiten der Untersagung der AKV in den Weg. Und natürlich Bundeskanzler Raab, der die Bischofskonferenz hatte wissen lassen: "Exzellenzen, ich habe gehört, ihr wollt das 'katholisch' dem CV wegnehmen, aber ich sage Ihnen, daraus wird nichts."

ACTIO CATHOLICA UND ACTIO CATHOLICORUM MÜSSEN SICH GEMEINSAM ALS ACTIO FIDELIUM OMNIUM BEWÄHREN#

Die Versöhnung zischen actio catholica und actio catholicorum, wie die AKV sich definierte, erfolgte zögernd, schrittweise, doch fand sich die ÖVP in ihren Spitzenpolitikern Raab und Generalsekretär Hermann Withalm (Nc) früher als vergleichbare andere damit ab, und auf ÖVP-Seite wurden einige führende KA-Vertreter mit reservierten Plätzen auf Wahllisten gelockt. Wahr ist, dass eine offene oder versteckte gegenseitige Verteufelung - der KA als (ungewollter) Wegbereiterin des Nationalsozialismus und der AKV als eigenwilliger Wegbereiterin für eine nicht mit den Bischöfen abgesprochene Justament-Politik - ungerecht ist. Auch bei der Be-kämpfung des Nationalsozialismus hatte es auf bei-den Seiten Vorbilder gegeben. Die Bischöfe lenkten schließlich ein und anerkannten im Oktober 1954 die AKV unter bestimmten Bedingungen. Es gab führende KA-Funktionäre, die politische Funktionen annahmen und hervorragend ausfüllten - z.B. Josef Krainer jun. (Aln EM) - und es gab namhafte CVer, die auch in KA-Positionen und Gliederungen ihren Mann stellten. In Sichtweite des letzten Tores am Ende meines Lebenswegs erfüllt mich mit größerer Intensität als je zuvor die Hoffnung, dass unnötige innerkirchliche Querelen endlich überwunden und actio catholica wie actio catholicorum zur actio fidelium omnium werden - nicht in der Organisation, aber im Handeln. Die Tatsache, dass in der nachkonziliaren Kampfzeit die KA viel kritischer die von umstrittenen Bischöfen verfolgte restaurative Kirchenpolitik verfolgte, dafür aber die jeweilige ÖCV-Führung sich kaum in solche Konflikte einmischte, trug auf etwas skurrile Art ein Ihriges zur Auflösung der alten Fronten ebenso bei wie die Tatsache, dass für eine Fortsetzung des alten Schlachtengetöses beiden Seiten immer weniger "Soldaten" zur Verfügung stehen. Trotzdem muss eingeräumt werden, dass die Zer-klüftung von einst da und dort noch immer spürbar ist. Ich behaupte, ohne Belege dafür zu kennen, dass manche KAler die Zurückziehung der Priester aus der Parteipolitik ein wenig mit einer Zurückziehung aus der Politik überhaupt verwechselt haben und

heute noch diese kritische Distanz (nicht zuletzt gegenüber der OVP) erkennen las- sen. Man horche nur ein wenig in man- chen katholischen Kern kreisen herum und wird dieser Zurückhaltung immer wieder begegnen. Nur in einem Punkt kann von klarer Übereinstimmung gesprochen wer- den: dass auch nach dem Ende der natio- nalsozialistischen Schreckensherrschaft kein noch so politisch begabter Priester mehr (auch Bundeskanzler Ignaz Seipel trug das Norica-Band) als Minister oder Landesrat oder Parteiobmann der katholi- schen Kirche nützen würde. Die Rückberufung aller Priester aus der aktiven Politik brauchte 1945 nicht wie- derholt zu werden, es hatte nach 1933 keine "Einberufung" in die Politik mehr gegeben. Dass es dabei bleiben sollte, be- schloss die Bischofskonferenz schon im April 1945 und Kardinal Theodor Innit- zer (NdW) betonte seinen "ausdrückli- chen Auftrag, dass die Priester sich von der Übernahme öffentlicher Ämter fernhalten, in politische Angelegenheiten sich nicht einmengen und keinerlei Empfehlungen für weltliche Stellen geben." Im Kirchen- recht war das damals in Canon 139 CIC formuliert. Praktisch entwickelte sich dar- aus eine Neuordnung des Verhältnisses der Kirche zu allen politischen Parteien. In der Nachkonzilsära, die der unvergessene Kar- dinal Franz König (Rd EM) souverän und ergebnisreich steuerte, erhielten Laienka- tholiken das Recht, außer der OVP auch andere Parteien zu wählen oder in ihnen zu arbeiten, wenn Personen, Programme und Praxis ("die drei großen P") dies mit ihrem gebildeten Gewissen vereinbar machten. Ein großes Durcheinander in der Politik ist daraus nicht geworden, aber das Bewusst-sein der im Wesentlichen den Laien über-lassenen Autonomie der weltlichen Sachge-biete ist langsam, aber ständig gewachsen. Heute wissen wir: Nichtordinierte Männer und Frauen sind kraft Taufe und Firmung zur Mitgestaltung auch des Heilsauftrags der katholischen Kirche berufen. Alle von ihnen jedoch sind ungeachtet ihres Geschlechtes oder ihrer "kirchenideolo-gischen" Herkunft dringend eingeladen, in Politik und Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Sport Verantwortung zu übernehmen. Lassen wir uns das nicht aus der Hand nehmen!

Dr. Hubert Feichtlbauer (Kb),#

Jahrgang 1932, war als Journalist u.a. beim Linzer Volksblatt und bei den Salzburger Nachrichten, sowie als Chefredakteur der Wochenpresse, des Kurier und der Furche, als USA-Korrespondent des Kurier, sowie nebenberuflich beim ORF tätig. Er war Vorsitzender des Verbandes katholischer Publizisten und Vorsitzender der Plattform "Wir sind Kirche".

in: "Academia" September 2017