Grueber, Johannes#
* 28. 10. 1623, Linz
† 30. 9. 1680, Sárospatak (Ungarn)
Jesuit, Missionar, Mathematiker, Erforscher
Erster Erforscher Tibets
Der Jesuitenpater Johannes Grueber war von 1659 bis 1661 am chinesischen Kaiserhof tätig, wo er Sternberechnungen und geographische Ortsbestimmungen vornahm. Er kehrte als erster Europäer auf dem Landweg von China nach Europa zurück, durchquerte Tibet, hielt sich in Lhasa und Katmandu auf und überschritt den Himalaja. Seine Reisebeschreibungen (die ersten über Tibet überhaupt) sind von besonderem wissenschaftlichen Wert. Er starb als Feldkurat der österreichischen Armee.
In seinem großartigen Buch "China Illustrata" bezeichnete ihn der Zeitgenosse Athanasius Kircher als "kühnsten Reisenden der Weltgeschichte".
Schon 1656 reiste dieser äußerst begabte Mann über Smyrna, Armenien, Persien und Surat nach China, wo er gemeinsam mit Pater Adam Schall bis 1661 mathematische und astronomische Arbeiten durchführte. Letzterer, eines der großen technischen Genies der damaligen Zeit, war auch Festungsbauer und Kanonengießer. Am Hof des Mandschu-Kaisers Schumtschi wurden beide gerne aufgenommen, denn die chinesischen Kaiser pflegten immer wieder die Tradition, alle gelehrten Männer der damaligen Zeit, die für sie in erreichbarer Nähe waren oder an ihren Hof kamen, um sich zu versammeln. Grueber war ein hervorragender Zeichner und Maler, was ihm bald die besondere Gunst Schumtschis sicherte.
Der Schiffsverkehr zwischen Portugal, Spanien und China war damals durch die Niederländer völlig unterbunden, so dass großes Interesse bestand, einen Landweg in das "Reich der Mitte" ausfindig zu machen.
Obwohl Marco Polo (1254-1324) schon mehr als dreihundert Jahre zuvor genau über seine Reisen auf dem Landweg von Europa nach China berichtet hatte, galten sie im 17. Jahrhundert noch immer zum Teil als Fabel und wurden nicht ernst genommen. Ohne geringste Vorkenntnisse einer bestimmten Route entschloß sich Grueber daher im April 1661, von China aus nach Indien zu gelangen. Gemeinsam mit dem belgischen Jesuitenpater Albert d'Orville durchquerte er die zwischen der Mongolei und der Nordostecke Tibets gelegene chinesische Provinz Gansu und wandte sich dann nach lüden in Richtung Lhasa, das er nach argen Strapazen über die unendlichen Hochteppen Tibets, bedroht durch Schneestürme, Sümpfe und Räuberbanden, am 8. Oktober 1661 erreichte.
Dort wurden er und sein Weggefährte - es war die Regierungszeit des "Großen 5. Dalai Lama" - gut aufgenommen. Der Potala (Tempelpalast) befand sich eben in Bau, und so erhielt sich dank Gruebers zeichnerischen Talents ein historisch äußerst bedeutsames Bild dieses damals gewaltigsten Bauvorhabens Asiens. Man sieht es dem zeitgenössischen Kupferstich in Kirchers "China Illustrata" an, daß unter dem 5. Dalai Lama noch viele Jahrzehnte an der "Götterburg" gebaut werden sollte, bis sie ihr heute noch immer so überragend prachtvolles Aussehen erhielt.Die bereits im Jahre 1667 in Kirchers "China Illustrata" veröffentlichte Abbildung des Potala zeigt allerdings auch, daß Grueber Tibet recht "westlich" gesehen hatte. So sieht man zum Beispiel auf der Ansicht von Lhasa eine Kutsche, obwohl es damals - und noch einige Jahrhunderte später - in Tibet keine Räderfahrzeuge gab, denn das Rad war religiöses Symbol der Vollkommenheit und Vergänglichkeit ("Thü khor" = "alles dreht sich") und von den Lamas als weltliches Fortbewegungsmittel somit verboten.
Als Grueber in Lhasa weilte, herrschte im Land Frieden. Die mongolischen Herrscher hatten den 5. Dalai Lama noch einmal als weltliches und geistliches Oberhaupt Tibets, das damals weit über das heutige Gebiet hinausreichte, voll anerkannt. Es dürfte damals bereits an die 50.000 Mönche und rund 750 Klöster im Land gegeben haben, und ständig wurden neue errichtet.
Als Kuriosität sei angeführt, dass man den Tod des 5. Dalai Lama (1682) 15 Jahre lang geheim hielt, um die Fertigstellung des Potala nicht zu gefährden, denn mit Recht wurde befürchtet, dass die Spenden der großen Pilgerströme aus allen Teilen des Reiches ausbleiben würden, so sich herumsprechen sollte, dass bis zur Reinkarnation des nächsten Dalai Lama und dessen Mündigkeit bloß ein Regent ein Interregnum führte.
Nach vier Wochen Aufenthalt in Lhasa zog Grueber südwestlich in Richtung Indien weiter, durchquerte Nepal, hielt sich in Katmandu auf und überschritt den Himalaja. Dies dürfte - nicht nur politischer Umstände wegen - keine einfache Sache gewesen sein, aber offensichtlich reisten die beiden wagemutigen Männer in "geistlicher Robe" und ohne Reichtümer zur Schau zu stellen, die sie wohl auch gar nicht hatten. Somit wurden sie auch nicht behelligt. Schließlich erreichten sie im März 1662 Agra, wo Albert d' Orville an den Folgen der Strapazen starb. Die physischen Anstrengungen müssen gewaltig gewesen sein! - Nach 14 Monaten weiterer Reise zu Land über Persien und Kleinasien gelangte Grueber schließlich nach Rom.
Nicht zuletzt seinem großartigen Erfolg, als erster Europäer auf dem Landweg von China nach Europa zurückzukehren, ist es zu verdanken, dass der damalige Kaiser Leopold I. sich mit dem Gedanken trug, die chinesische Jesuitenmission unter seinen Schutz zu stellen und künftigen Missionaren einen ungefährlicheren Landweg über Rußland nach China zu ermöglichen. Grueber, der die kaiserliche Anregung ausführen sollte, beschloß daher, quer durch Vorderasien nach Indien zu reisen. Aber schon in Konstantinopel zwang ihn eine Krankheit, von der er sich nicht mehr erholen sollte, zur Rückkehr nach Österreich. So wirkte er noch einige Jahre als Feldgeistlicher in Siebenbürgen und Ungarn, wo er 1680 im Alter von 57 Jahren verstarb.
Literatur#
Braumann, F., Ritt nach Barantola, 1960Quellen#
AEIOUH.&W. Senft, Aufbruch ins Unbekannte, Stocker Verlag, Graz, 1999
Redaktion: Hilde und Willi Senft