Harrer, Heinrich#
* 6. 7. 1912, Hüttenberg (Kärnten)
† 7. 1. 2006, Friesach
Alpinist, Forschungsreisender
Er studierte in Graz Geographie und Leibesübungen, um Lehrer zu werden, und konnte beachtliche sportliche Erfolge verzeichnen, so z. B. bei den akademischen Schiweltmeisterschaften. Auch als Bergsteiger tat er sich hervor. International bekannt wurde er als Teilnehmer an der erfolgreichen Erstdurchkletterung der Eiger-Nordwand im Jahre 1938; ferner nahm er an der deutschen Nanga Parbat-Expedition 1939 teil, die durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in einem britischen Internierungslager ihr Ende fand.
Erst der vierte Fluchtversuch - mit dem Ziel Tibet - aus der Gefangenschaft in Nordindien war erfolgreich. Unter ungeheuren Strapazen gelang es Harrer, zusammen mit Peter Aufschnaiter die "Gott-Königsstadt" Lhasa zu erreichen und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für das damals allen Fremden streng verschlossene Tibet zu erlangen.
Harrer betätigte sich in Lhasa als Lehrer und half Aufschnaiter bei dessen technischen Arbeiten. Schließlich errang er die Freundschaft des jungen heranwachsenden 14. Dalai Lama, aus dessen Leben er hochinteressante Details schriftlich niederlegte.
Wegen der Besetzung Tibets durch die VR China (1950) verließ Harrer das Land. Er konnte eine große Sammlung tibetischer Alltags- und Kunstgegenstände in den Westen mitbringen und die Sammlung schließlich als Ganzes an das Völkerkundemuseum der Stadt Zürich verkaufen. Auf seinen Filmen hielt Harrer Vorgänge fest, die vor ihm noch kein Europäer im Westen zeigen konnte. Ihm ist es zu verdanken, dass mit seinem Bestseller "Sieben Jahre in Tibet" die westliche Welt dem Schicksal des tibetischen Volkes und damit einer alten asiatischen Kultur so großes Interesse entgegenbringt.
Er nahm an weiteren großen Expeditionen teil (Anden, 1954; Alaska, 1957; Ruwenzori); einen nicht unwichtigen Beitrag für die Erforschung unserer Erde leistete Harrer auch mit seiner Durchquerung West-Neuguineas 1962: Er bereiste einige noch unbekannte Gebirgsteile dieses Landes und bestieg zusammen mit einigen anderen Alpinisten als erster den höchsten Berg Neuguineas, die 5.029 Meter hohe Carstensz-Pyramide, auf den amtlichen Karten seit neuem auch "Puntjak Jaya" genannt. Auch bei den Xingu-Indianern im Amazonasgebiet leistete Harrer wichtige Forschungsarbeiten.
1995 wurde ihm das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst verliehen, seit 1982 gibt es das Heinrich-Harrer-Museum in seiner Heimatstadt Hüttenberg.
Leseprobe aus "Sieben Jahre in Tibet":#
...Um als Orakel zu wirken, muß der Mönch seinen Geist vom Körper trennen können, damit der Gott des Tempels von ihm Besitz ergreift und durch ihn spricht. In diesem Augenblick wird er durch seine mediale Veranlagung zur Manifestation des Gottes. Das ist die Überzeugung der Tibeter.
Bald hatten wir die acht Kilometer bis zum Netschung-Kloster zurückgelegt. Aus dem Tempel klingt uns eine dumpfe, unheimliche Musik entgegen. Wir treten ein - der Anblick ist furchterregend! Von allen Wänden grinsen grausige Fratzen und Totenköpfe auf uns herab, die weihrauchgeschwängerte Luft beengt die Brust. Gerade wird der Mönch aus seinen Privatgemächern in die düstere Tempelhalle geführt. Er trägt einen runden Metallspiegel auf der Brust, Diener hüllen ihn in bunte Seidengewänder und geleiten ihn zu seinem Thron. Dann zieht sich alles von ihm zurück. Außer der dumpfen, beschwörenden Musik ist kein Laut zu hören. Das Medium beginnt seine Konzentration. Ich beobachte es scharf; wende kein Auge von seinen Zügen. Nicht das leiseste Zucken seiner Mienen entgeht mir. Mehr und mehr scheint das Leben aus ihm zu weichen. Jetzt ist er völlig reglos, das Gesicht eine starre Maske. Und da wie vom Blitz getroffen bäumt sich der Körper auf. Ein Aufatmen geht durch den Raum: Der Gott hat von ihm Besitz ergriffen. Zittern befällt das Medium, wird immer stärker, Schweiß perlt auf seiner Stirn. Da treten Diener zu ihm, setzen ihm einen riesigen phantastischen Kopfschmuck auf. Dieser ist so schwer, daß zwei Männer das ungeheure Ding halten müssen, während sie es ihm aufsetzen, und die schmächtige Gestalt des Mönches sinkt unter dem Gewicht der Tiara noch tiefer in die Kissen des Thrones. Es ist kein Wunder, daß die Medien nicht lange leben, geht es mir durch den Kopf. Die ungeheure körperliche und geistige Anstrengung dieser Seancen verzehrt die Kraft. Das Zittern wird stärker, auf und ab schwankt der viel zu schwer belastete Kopf, die Augen quellen hervor. Das Gesicht ist aufgedunsen und von einem ungesunden Rot überzogen. Zischende Laute brechen zwischen den Zähnen hervor. Plötzlich springt das Medium auf - Diener wollen ihm helfen, er entgleitet ihnen, und zum Gewimmer der Oboen beginnt sich der Mönch in einem seltsamen, ekstatischen Tanz drehen. Sein Stöhnen und Zähneknirschen sind die einzigen menschlichen Laute im Tempel. Jetzt beginnt er mit einem riesigen Daumenring wild auf sein schimmerndes Brustschild zu - das Klirren übertönt das dumpfe Rollen der Trommeln -, jetzt dreht er sich auf einem Fuß, aufrecht unter der riesigen Krone, die vorhin zwei Männern schwer war. Diener füllen seine Hände mit Gerstenkörnern - er wirft sie unter die verängstigte Menge der Zuschauer. Alles duckt sich ich fürchte schon, als Eindringling aufzufallen. Der Mönch ist jetzt unberechenbar...
Störe ich bei der Götterbefragung? Nun wird es etwas ruhiger. Diener halten ihn mit festem Griff, und ein Kabinettsminister tritt vor ihn hin. Über den von der Last gebeugten Kopf wirft er eine Seidenschleife und beginnt die vom Kabinett sorgsam ausgeklügelten Fragen zu stellen. Die Besetzung einer verneursstelle, die Auffindung einer hohen Inkarnation, Krieg oder Frieden, das alles wird dem Orakel zur Entscheidung vorgelegt. Oft muß eine Frage mehrmals wiederholt werden, bis das Orakel zu lallen beginnt. Ich bemühe mich aus dem Murmeln verständliche Worte herauszufinden - unmöglich! Während der Regierungsvertreter demütig gebeugt steht und etwas zu verstehen versucht, schreibt ein älterer Mönch fließend die Antworten nieder. Er hat das schon hundertemale in seinem Leben getan, denn er diente schon dem vorhergehenden Orakel als Sekretär. Ich konnte mich des Verdachtes nicht erwehren, daß dieser Sekretär vielleicht das eigentliche Orakel war. Die Antworten, die er niederschrieb, waren bei aller Zweideutigkeit doch immer richtunggebend und genügten, das Kabinett der größten Verantwortung zu entheben. Gab ein Orakel dauernd falsche Antworten, dann machte man kurzen Prozeß. Es wurde seines Amtes enthoben. Das war eine Maßnahme, deren Logik ich nie begreifen konnte. Es war doch der Gott, der aus dem Medium sprach? Die letzten Fragen, die der Regierungsvertreter noch stellt bleiben unbeantwortet. Haben den jungen Mönch die Kräfte verlassen oder zürnt der Gott? Mönche treten zu dem vor Erregung bebenden Medium, reichen ihm kleine Seidenschleifen. Mit zitternden Händen knüpft es kleine Knoten hinein. Diese Schleifen werden Bittstellern umgehängt und gelten als Amulette, die vor jeder Gefahr schützen. Noch einmal versucht es, ein paar Tanzschritte zu machen, dann bricht es zusammen und wird von vier Mönchen bewußtlos aus der Tempelhalle getragen...
Literatur#
- Harrer, Sieben Jahre in Tibet, Berlin 1956
- Ich komme aus der Steinzeit, Berlin 1963
- Huka - Huka, Berlin 1966 Wiedersehen mit Tibet, lnnsbruck 1987
- Das alte Lhasa, Berlin 1997
- Die letzten Fünfhundert. Expedition zu den Zwergvölkern auf den Andamanen, Berlin o. J.
- Erinnerungen an Tibet, Berlin 1998
- Die Weiße Spinne, 60 Jahre Eiger-Nordwand, Berlin 1999
Quellen#
- AEIOU
- H.&W. Senft, Aufbruch ins Unbekannte, Stocker Verlag, Graz, 1999
- Heinrich Harrer-Museum
Weiterführendes#
- Machreich, W.: Kraxln am Mythos (Essay)
- Heinrich Harrer in: Entscheidung in der WandMarksteine des AlpinismusUli AuffermannSchall-VerlagAdmont2010
- Schratter, R.: Weltbürger oder Mitläufer der Nazi-Zeit? (Essay)
- Harrer-Museum Hüttenberg (Museen)
Ebenso relevante wie wichtige Beiträge, in denen definitiv klargestellt wird, dass H. kein Nazi, sondern ein grosser, kulturell sehr aufgeschlossener Weltbürger war, dem es gelang, die Freundschaft des Dalai-Lama zu erwerben und sich ihrer ein Leben lang würdig zu erweisen.
--Glaubauf karl, Mittwoch, 20. Januar 2010, 20:31