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Michael Mitterauer zum Gedenken. #

Ansprache Bernhard Görgs beim Begräbnis von Horatio am 18.8.2022#

Liebe Familie Mitterauer!

Liebe Freundinnen, Freunde und Weggefährten von Michael!

In den Sechziger-Jahren des 19. Jahrhunderts ist dem damaligen englischen Premierminister William Gladstone ein junger Abgeordneter seiner Fraktion positiv aufgefallen. Der junge Mann hatte aus Sicht des Premiers nur einen entscheidenden Makel: Er war Katholik, praktizierender noch dazu. Für höhere Weihen in der englischen Politik damals völlig inakzeptabel. Deswegen schickte Gladstone Emissäre zu dem Abgeordneten – offensichtlich war es damals unter der Würde eines Premierministers, direkt mit einem einfachen Abgeordneten zu reden- um ihn zu überzeugen, um seiner Karriere willen der ohnehin dem Untergang geweihten katholischen Kirche abzuschwören und Anglikaner zu werden. Nachdem der junge Mann den Abgesandten zugehört hatte, beschied er sie mit folgenden Worten: „Ich bedanke mich bei Mr. Gladstone sehr für sein Interesse, aber bitte sagen Sie ihm: I am a partisan of sinking ships.“ Ich bin ein Fan sinkender Schiffe. Er hat bald darauf sein Mandat zurückgelegt, um als John Lord Acton der bedeutendste englische Historiker des 19. Jahrhunderts zu werden. Auch heute noch kennt jeder seinen Satz, „Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut“.

Mitterauer
Michael Mitterauer v. Horatio
Als ich diese Geschichte vor mehr als zwanzig Jahren zum ersten Mal gehört hatte, habe ich spontan an Michael Mitterauer denken müssen. Nicht nur wegen der auffälligen Parallele der wissenschaftlichen Bedeutung, sondern weil Michael auch so etwas wie ein Freund sinkender Schiffe gewesen ist. Als Wissenschaftler hat er sich nicht für Gewinner und Sieger interessiert, sondern hat die Mühseligen und Beladenen in den Mittelpunkt seiner Forschung gerückt. Und als Person hat er seiner Kirche, deren Schiff im Vergleich zu Gladstones Zeiten heute noch tiefer im Wasser liegt und seinem CV, der auch schon wesentlich bessere Zeiten gesehen hat, die unverbrüchliche Treue gehalten. Ich habe Michael 1962 kennengelernt. Ich hatte damals Geschichte und klassische Philologie an der Wiener Universität studiert und stand kurz vor Studienende. Wirtschafts- und Sozialgeschichte ist damals nicht auf meinem Radar gewesen. Aber ein Kollege, der vom Klima in diesem Institut geschwärmt hatte, hat mich einmal mitgenommen. Und ich bin tatsächlich von dem Institut hoch über der Philosophenstiege von allem Anfang an sehr angetan gewesen. Eine sehr familiäre Atmosphäre mit einem jungen Assistenten, der eine ganz eigene Mischung aus Zurückhaltung und gleichzeitiger Zuwendung zu jedem Gesprächspartner gezeigt hat, als gutem Geist des Instituts. Auch, weil sich der Institutsvorstand, ein Linzer, nur zu seinen Vorlesungen nach Wien gekommen ist.
Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem meine Beziehung zu Michael eine neue Qualität bekommen hat. Es war der 23. November 1963. Am Vortag, einem Freitag war John. F. Kennedy erschossen worden. Weil ich in meiner Trauer unbedingt mit Leuten reden wollte, habe ich mich am nächsten Vormittag entschieden, ins Institut für Wirtschaftsgeschichte zu gehen, damals noch immer meine universitäre Heimat, obwohl ich da schon mit meinem Zweitstudium begonnen hatte. Hatte dabei aber übersehen, dass es Samstag war und offensichtlich außer der Instituts-Pedellin, der legendären Frau Zacek, niemand da war. So habe ich mit ihr über das tragische Ereignis gesprochen. Nach einigen Minuten höre ich eine Tür aufgehen, und Sekunden später steht Michael vor uns. Wir sprechen kurz zu dritt, und dann lädt er mich in sein Zimmer ein, wo wir noch einmal dieses schreckliche Ereignis Revue passieren lassen. Und in unseren Schock und unsere Trauer hinein beginnt er plötzlich seinen Traum von einer besseren Welt zu entwickeln. Gemalt in den Farben der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit. In diesem Moment ist unsere Freundschaft entstanden. In der Folge habe ich dann eine Eigenschaft an ihm entdeckt, die ich diesem sanften und idealistisch gesinnten Menschen gar nicht zugetraut hätte: Eine große Beharrlichkeit in der Verfolgung seiner Ziele. Er hatte die fixe Idee entwickelt, dass ich gut in den Stab des damaligen ÖVP-Generalsekretärs Hermann Withalm – damals hatte die ÖVP noch Generalsekretäre, die die Bezeichnung vedient haben - passen würde. Uns so hatte er all seine Kontakte, und er hatte sehr viele, aktiviert, bis ich im Herbst 1965 Assistent des Wahlkampfleiters geworden bin und so den großen Wahlsieg von Josef Klaus aus unmittelbarer Nähe miterleben durfte. Dann hat er mich, der ich zwar aus einem bewusst katholischen aber sehr CV- kritischen Elternhaus stamme, über ein Jahr lang, zunächst allein und dann gemeinsam mit seinem Freund Heribert Steinbauer bearbeitet, doch CVer zu werden. Letztlich auch mit Erfolg. Er hat mich dann in die sogenannte Passecker-Runde eingeführt, benannt nach einem Café auf der Freyung, das es längst nicht mehr gibt. Da haben sich junge Männer, die ihr Studium entweder bereits abgeschlossen hatten oder kurz davor standen, jeden Mittag zu einem Kaffee getroffen, um unter der Führung der intellektuellen Leuchttürme Heribert Steinbauer und Michael Mitterauer über Gott und die Welt zu diskutieren. Natürlich sind nicht immer alle da gewesen, aber drei oder vier waren es immer. Für mich ein geradezu beglückendes Erlebnis. Und als wir uns vor zirka 15 Jahren entschieden hatten, diese Runde in einem etwas anderen Format aber mit der alten Besetzung einmal im Monat wieder aufleben zu lassen, da war Michael wieder ganz vorne mit dabei. Bis weit in seine schwere Krankheit hinein immer mit Begeisterung und immer zu jedem Thema so vorbereitet, wie nur ein Michael Mitterauer vorbereitet sein konnte.

Ein guter Freund hat mir, als er die Nachricht vom Tod Michaels bekommen hatte, geschrieben, dass seine Tochter, die einst bei Michael studiert hatte, so begeistert von ihm gewesen ist, dass sie gemeint hatte, wer Professor Mitterauer zum Freund hätte, müsste ein guter Mensch werden. Ich bin skeptisch, ob wir, die wir uns zu Michaels Freunden zählen durften, wirklich gute Menschen geworden sind. Aber eines kann ich mit Sicherheit sagen: Er hat unser Sensorium dafür, was gut oder schlecht, was richtig oder falsch ist, ganz sicher geschärft.

Ich habe meine kleine Rede mit einer Geschichte aus den Sechziger-Jahren des 19. Jahrhunderts begonnen. Ich möchte sie mit einer Geschichte aus den Sechziger-Jahren des 20. Jahrhunderts schließen. Ich weiß nicht, wem von Ihnen der Name Wolfgang Graf Berghe von Trips etwas sagt. Das ist der vor Michael Schumacher berühmteste deutsche Formel 1 -Rennfahrer gewesen, der 1961 mit seinem Ferrari in Monza tödlich verunglückt ist. Zeitzeugen haben nicht nur immer von seinem begnadeten Talent als Fahrer gesprochen, sondern auch davon, dass er ein großartiger Mensch gewesen ist, der in die Formel 1, die auch damals schon ein Haifischbecken gewesen sein muss, so etwas wie Aufrichtigkeit und Fairness gebracht hat. Nach seinem Tod ist eine Biographie erschienen, in der der Autor auch über die Rede schreibt, die der beste Freund am Grab gehalten hat. Eine Passage daraus hat mich so berührt, dass ich sie mir gemerkt habe: "Über Tote soll man nur Gutes sagen. Über Wolfgang Berghe von Trips kann man nur Gutes sagen." Ich habe mehr als fünfzig Jahre gebraucht, um eine Anleihe bei dieser Rede nehmen zu können. Und ich tue es aus tiefster Überzeugung. „Über Tote soll man nur Gutes sagen. Über Michael Mitterauer kann man nur Gutes sagen.“