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Streeruwitz, Marlene#


* 28. 6. 1950, Baden (Niederösterreich)


Schriftstellerin, Hörfunk- und Theaterregisseurin


Marlene Streeruwitz wurde am 28. Juni 1950 als Tochter eines Lehrers und (ÖVP-)Bürgermeisters in Baden bei Wien geboren.

Sie studierte Jus, Slawistik und Kunstgeschichte (brach aber wegen Heirat und der Geburt von zwei Töchtern das Studium ab), arbeitete als Journalistin bei einer Öko-Zeitschrift ("Natur ums Dorf") und für Aktionen der Landschaftswiederherstellung.
Nachdem ihre Scheidung zum auslösenden Erlebnis für ihr Schreiben wurde, schrieb sie viele Jahre lang, ohne an eine Veröffentlichung zu denken (die daraus entstandenen Texte nannte sie "Versuche eines antiautoritären Schreibens").

Ab 1986 trat sie mit literarischen Veröffentlichungen und als Verfasserin von Hörspielen ("Kaiserklamm.Und.Kirchenwirt" wurde 1989 ein großer Erfolg) in Erscheinung. Die Uraufführungen von "Sloane Square" und "Waikiki-Beach" am Kölner Schauspielhaus brachten ihr 1992 den Titel "Nachwuchsautorin des Jahres" der Zeitschrift "Theater heute" ein. In den 1990er-Jahren betätigte sich Marlene Streeruwitz am Schauspielhaus Wien (u.a. bei "Die Donau" von Maria Irene Fornes) und am Schauspiel Köln auch selbst als Regisseurin, später vor allem als Hörspielregisseurin. Im Film "Hotel" von Jessica Hausner hatte Marlene Streeruwitz auch einen Auftritt als strenge Hoteldirektorin.

In der Folge widmete sie sich immer mehr dem Prosaschreiben (u.a. auch deshalb, weil sich – wie sie selbst sagt - ihre Theaterstücke "gegen das Postregie-Regietheater" richten und eine "korrekte Übernahme des Texts" verlangen). Es erschienen seither in rascher Folge Romane, Novellen und theoretische Schriften.

1996 erschien ihr erster Roman "Verführungen", für den sie u.a. mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet wurde. (In der für sie typischen, schmucklosen, stakkatoartigen Sprache erzählt sie darin die Geschichte einer allein erziehenden 30-jährigen Frau, die sich mit wechselndem Erfolg durch den Alltag kämpft.) Im Jahr darauf folgte "Lisa's Liebe", ein dreibändiger "literarischer Groschenroman" über eine Frau auf der Suche nach der großen Liebe.

Ihr Roman "Entfernung" kam 2011 in einer Dramatisierung am Schauspielhaus Wien heraus; für den Roman "Die Schmerzmacherin" wurde sie für den Deutschen Buchpreis nominiert; auch 2014 schaffte sie es mit dem Roman "Nachkommen" auf die "Longlist" des Buchpreises – der Roman handelt ironischerweise von einer Autorin, die für den Buchpreis nominiert ist.

Marlene Streeruwitz hielt Poetik-Vorlesungen in Frankfurt und Tübingen und unterrichtete an der Wiener Schule für Dichtung.


Marlene Streeruwitz zählt zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur - ihr Werk umfasst Hörspiele, Dramen, Romane, Novellen, Essays und theoretische Schriften. Ihre Dramen sind besonders von einer provokativ-desillusionierenden Haltung und krassen Gewaltszenen beherrscht, durch die sie Egoismus, Verlogenheit und Käuflichkeit als beherrschende gesellschaftliche Phänomene anprangert.

Sie gilt als feministisch orientierte Schriftstellerin (weil sie ihre Geschichten bewusst aus Frauensicht erzählt); für sie ist der Roman ein politisches Medium - und jede Politik immer auch Geschlechterpolitik.

Sie bezieht in Essays, Vorträgen und Interviews immer wieder klar und pointiert Stellung zu aktuellen und tagespolitischen Themen -so war sie war eine der prominentesten Gegnerinnen der schwarz-blauen Regierung - und gilt als eine der politisch engagiertesten deutschsprachigen Gegenwartsautorinnen.

Marlene Streeruwitz lebt als freiberufliche Autorin und Regisseurin in Wien, Berlin, London und New York.

Auszeichnungen, Ehrungen (Auswahl)#

  • Tübinger Poetik-Dozentur, 1996
  • Mara-Cassens-Preis, 1997
  • Österreichischer Würdigungspreis für Literatur, 1999
  • Hermann-Hesse-Preis, 2001
  • Literaturpreis der Stadt Wien, 2001
  • Walter-Hasenclever-Literaturpreis, 2002
  • Peter-Rosegger-Preis, 2008
  • Droste-Preis, 2009
  • Bremer Literaturpreis, 2012
  • Franz Nabl Preis (Literaturpreis der Stadt Graz), 2015

Werke (Auswahl)#

Dramen
  • Waikiki-Beach, 1992
  • New York, New York, 1993
  • Elysian Park, 1993
  • Ocean Drive, 1994
  • Tolmezzo, 1994
  • Bagnacavolla, 1995
  • Brahmsplatz, 1995
  • Deutro, 1995
  • Und. Sonst. Noch. Aber. Texte 1989-1996. Interventionen, Band 2, 1999

Romane

  • Lisa´s Liebe. Roman in 3 Folgen, 1997
  • Nachwelt. Ein Reisebericht, 1999
  • Partygirl, 2002
  • Jessica, 30. Roman. Drei Kapitel, 2004
  • Nachwelt. Ein Reisebericht, 2006
  • Entfernung, 2007
  • Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin, 2008
  • Bildgirl. Collagen, 2009
  • Das wird mir alles nicht passieren... Wie bleibe ich FeministIn, 2010
  • Kreuzungen. Roman, 2010
  • Die Schmerzmacherin. Roman, 2011
  • Nachkommen. Roman, 2014
  • Nelia Fehn: Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland, 2014
  • Hörspiele und Essays

Literatur#

  • K. Makoschey, M. Streeruwitz, Ausstellungskatalog, Stadt- und Universitätsbibliothek, Frankfurt am Main 1998
  • N. Hempel, M. Streeruwitz, 2000


Leseprobe#

aus Marlene Streeruwitz - Die Schmerzmacherin.

Noch nie waren so viele Raubvögel zu sehen gewesen. Die lange Kälte hatte sie aus den Wäldern herausgetrieben. Sie saßen auf den Pfosten der Feldbegrenzungen und in den Kronen der Obstbäume. Sie kauerten auf den Köpfen der Heiligenfiguren an den Brücken und auf den Kreuzen an den Weggabelungen. Bewegungslos hockten sie in der Wintersonne. Ihre Umrisse dunkle Drohungen vor den Schneefeldern und dem wolkenlosen Himmel. Nichts in Bewegung. Eis und Schnee und die Sonne und kalt. Das breite Tal und die Hügel am Rand. Alles weißglitzernd und der dünnblaue Himmel.

Sie musste langsam fahren. Sie war die Erste auf dem neuen Schnee. Sie fräste eine Spur in die glatte Schneedecke. Aber es gelang kein ruhiges Fahren. Unter dem Neuschnee der Nacht führten die alten Spuren aus Eis und gefrorenem Matsch die Räder. Im Rückspiegel sah es aus, als zöge sie eine gerade Spur. Das Fahren war aber ein Gerumpel. Ihr Auto wurde von den Rillen unter dem Schnee umhergeworfen. Sie hatte versucht, aus diesen Eisspuren herauszukommen. Sie hatte so fahren wollen, wie es aussah zu fahren. Gleiten. Sie hatte gleiten wollen. Gleiten so glatt wie der Schnee. Sie war dann ins Rutschen geraten und viel zu nah an die Büschung zum tiefen Straßengraben hinuntergekommen. (...)

Den Bussard auf dem Brückengeländer hatte sie schon von weitem gesehen. Bei jedem Schlag gegen die Achsen. Bei jedem Knirschen der Räder in einer Querrinne. Sie dachte, der Vogel würde auffliegen. Wegfliegen. Flüchten. Sie begann zu blinzeln. Der Vogel würde sich abstoßen. Er würe die Flügel ausbreiten und wegstreichen. Sie blinzelte in der Erwartung, der Himmel vor ihrer Windschutzscheibe verdunkle sich und einen Augenblick würde dieser Vogel den Blick ausfüllen. (...)

Der Bussard bewegte sich nicht. Der Bussard blieb auf dem Brückengeländer sitzen. Sie hatte den Fuß fast ganz vom Gas genommen. Ihr alter Kia schnurrte langsam über die Brücke. Sie schaute den Vogel an. Weit vorgebeugt drehte sie den Kopf nach links und schaute rechts hinauf den Vogel an. Die gelbschmutzigen Kralllen waren um das Geländer geklammert. Hellbraun flockige Federn pudrig an den Fängen. Dunkelbraun fleckige Federn den Körper hinauf. Sie beugte sich noch weiter vor. Ihr Gesicht knapp an der Windschutzscheibe. Einen Augenblick. Der Vogel. Die Lider. Eine gelbe Iris war zu sehen und gleich wieder hinter wachsfarbenen Häuten verborgen. Der Vogel wandte sich ab. Während sie an ihm vorbeiholperte. Er drehte den Kopf zur Seite. Die Bewegung nur an den Federn am Hals wahrzunehmen und sein Umriss dann seitlich. Der abgewandte Kopf gleich wieder erstarrt. Die augen abgewandt. Weggedreht. Nicht weggeflogen.
(S. 5-7)

© 2011 S. Fischer, Frankfurt am Main.
LITERATURHAUS
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Weiterführendes#

Quellen#


Redaktion: I. Schinnerl