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Das Alltägliche ist politisch#

Schriftstellerin Marlene Streeruwitz trägt wenig feierlich das Bürgertum zu Grabe#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 12. Februar 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Anton Thuswaldner


Marlene Streeruwitz
Marlene Streeruwitz: Archivarin des Beiläufigen.
Foto: © Fischer/Peter Rigaud

Literatur, die zum Denken anregen soll, und kein bloßer Zeitvertreib. Theater-Premiere in der Drachengasse 15. Februar. #

Wien. Als ein sanftes Wesen hat sich Marlene Streeruwitz keine besonderen Verdienste erworben. Von Anfang an betrat sie die Bühne der Literatur und des Theaters mit dem Anspruch, es der Gesellschaft heimzuzahlen. Wo sie hinsieht, bemerkt sie Ungerechtigkeit, Verlogenheit, Duckmäusertum.

Besonders schlecht ergeht es den Frauen, deshalb ergreift sie Partei für sie. Subtilität kennzeichnet ihr Werk nicht. Das wäre zu viel verlangt von einer, die zuschlägt. Sie weiß, dass sie mit harten Attacken Aufmerksamkeit erreicht, damit richtet sie mehr aus als mit jeder feinsinnigen und scharfsinnigen Analyse.

Streeruwitz zählt zu jenen in Österreich häufig anzutreffenden Künstlerpersönlichkeiten, die dick auftragen, poltern und lärmen und es darauf anlegen, ihre Gegner zu verletzen. Dem Establishment, denen, die es sich gerichtet haben, und jenen, die die Möglichkeit dazu geschaffen haben, sagt Streeruwitz den Kampf an. Sie ist die Furie, die in Zeiten des Stillhaltens in den Angriff geht. Als Anti-Partygirl nimmt sie einen politischen Auftrag wahr, den Konsens der Anpassung mit Sprachgewalt aufzubrechen.

Die Tiefen des Alltagslebens#

Ach ja, "Partygirl". So heißt ein Roman aus dem Jahr 2002. Das Leben einer Sechzigjährigen wird gegen die Chronologie von hinten nach vorne erzählt. Alltagswelt wird mit äußerster Genauigkeit abgeschildert, nichts ist so unwichtig, als dass es nicht ins Buch passte. Marlene Streeruwitz, die Buchhalterin des ganz gewöhnlichen Lebens. Schon früher unternahm die Autorin Anstrengungen, all jene Bereiche, die als minderwertig abgekanzelt werden, in den Rang der Literaturfähigkeit zu erheben. Mit dem Roman "Verführungen. 3. Folge. Frauenjahre" begann sie 1996 das Projekt der Rettung von Frauenleben in Prosa. Was als banal aus dem Reich der Literatur verstoßen wird, bekommt bei Streeruwitz einen neuen Wert. Das verlangt ihr einiges ab, eine Form für all das so Unaufregende, Beiläufige zu finden. Es ist ja kein Spiel, auf das sich die Autorin einlässt, es geht ihr um etwas Elementares.

Der Alltag ist politisch, das soll literarisch zum Ausdruck gebracht werden. Also muss die Dringlichkeit ihrer Sprache eingeschrieben, eingehämmert werden. Und so findet Streeruwitz zu einer Form, die sich Schönheit versagt. Eine Frau, die sich dem Diktat der Schönheit unterwirft, ist schon verloren, weil sie sich den Prinzipien einer von Männern gemachten Wirklichkeit unterwirft. Also packt Streeruwitz das Aufbegehren, den Konflikt, den Tumult in ihre Sätze. Ihre Prosa muss rasen, weil sie den Auftrag zu erfüllen hat, ein Widerstandsnest im Herzen der Gesellschaft zu sein. Die Vertreibung der Adjektive als schmückendes Beiwerk, das Stakkato der Wörter als Attacke, das alles nimmt sie in Dienst, um ihrem Publikum die Einnistung in den Text zu erschweren. Es soll draußen bleiben, sich nicht identifizieren, Mitleiden strengstens verboten. Diese Literatur soll zum Denken animieren, zur Analyse der eigenen Lage Anlass bieten.

Schauen wir uns nur einmal den Roman "Kreuzungen" (2008) an, mit dem sich die Autorin ins Zentrum der Macht begibt. Männer sind Schweine, Streeruwitz ist ihre gestrenge Hüterin. Männer sind aber auch arme Schweine. So liefert Streeruwitz ein Doppelporträt des Mannes als Widerling und traurige Erscheinung. Er bekommt ein Gesicht als Wesen, dem nicht zu trauen und dem selbst das Vertrauen abhanden gekommen ist.

Ein Geldmensch steht im Mittelpunkt, der unter Zwang steht, "dieses Geld zu bekommen. Er musste dieses Geld bekommen. Die Summen, mit denen er Lilli halten konnte, wurden ungeheuerlich." Lilli, seine Frau - die Trennung steht längst an - steht im Mittelpunkt all seines Denkens und Tuns. Streeruwitz schreibt aus der Innenschau des verstörten Charakters, der vom Täter zum Opfer wird. Er fühlt sich verfolgt, sieht sich als Gejagten, umstellt von unsichtbaren Gegnern. Mit der Selbstsicherheit ist es vorbei, eine neue Identität wird gesucht, ein Versteck muss ausfindig gemacht werden. Das alles hat keine Logik, wenn man einen Roman erwartet, der soziale Wirklichkeit beschreibt. Aber Streeruwitz denkt und schreibt aus dem Kopf von einem, dem seine gewohnte Alltagswirklichkeit abhanden kommt und im Chaos seines Innenlebens verloren geht.

Gerechtigkeit der Literatur#

Das ist auch eine Form von Gerechtigkeit, wie sie Literatur häufig anstrebt. Ein mieser Charakter geht am System, das er selbst stützt, zugrunde. Ein Buch, das trotzdem nur bedingt tröstlich ist. Dazu trägt die klassische Streeruwitz-Sprache bei. In Romanen wie Stücken ("Sloane Square", "Waikiki Beach") macht sie der geschlossenen Form den Garaus. Sie arbeitet mit Regelverstößen, pfeift auf Linearität. Sie folgt der Logik der Assoziation, kippt mit Lust die Vorgaben der Vernunft, die sie als Kämpferin des Feminismus für eine männliche Erfindung hält.

Mit ihrem Werk trägt Streeruwitz wenig feierlich das Bürgertum zu Grabe. Das verhält sich mit dem kleinen Text "Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin" (2009) nicht anders. Ein ganzes Frauenleben mit allen Verkrümmungen und verkorksten Verstümmelungen auf 60 Seiten. Das kann sie, die Streeruwitz, einem alle Illusionen rauben und dann alleine zurücklassen.

Wiener Zeitung, Samstag, 12. Februar 2011