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Wenn das Lächeln wegfällt#

In Supermärkten sind Gesichtsmasken Pflicht. Wie funktioniert die Mimik ohne Mund?#


Von der Wiener Zeitung (11. April 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Eva Stanzl


Wer eine Maske trägt, benimmt sich anders. Nimmt beim Karneval von Venedig vielleicht den getragenen Schritt von Lagunenbewohnern der Renaissance ein oder deutet mit Quasimodo-Maske ein Humpeln an. Bis auf weiteres zwingt uns das Coronavirus, die Mund- und Nasenpartie abzudecken und, derzeit im Supermarkt, Gesichtsmasken zu tragen.

Die Masken dienen dem Schutz der anderen, jedoch schränken sie das Gesichtsfeld nach unten hin ein. Weswegen wir zum Hinabschauen nicht nur den Blick, sondern auch den Kopf senken müssen. Niemand sieht das schnelle Lächeln, das Fremden Höflichkeit signalisieren soll. Selbst Worte wirken überraschend, wenn der Mund verbogen ist, dennoch müssen wir zum Kommunizieren die Stimme stärker heben. Verändert der Mund-Nasenschutz Mimik und Körpersprache?

Freund oder Feind?#

Im Lauf der Evolution sicherte gerade die richtige Einschätzung der Mimik um die Mundpartie des Gegenübers das Überleben. „Wenn wir jemand neu kennenlernen, schätzen wir die Person innerhalb von 100 Millisekunden unbewusst ein – das ist schneller als ein Wimpernschlag. In dieser Kürze entscheidet unser limbisches System, das ist unser Emotionszentrum im Gehirn, ob jemand Freund oder Feind ist“, sagt der Berliner Mimik- und Körpersprachen-Experte Dirk W. Eilert. „Natürlich ist diese Frage heute im Supermarkt nicht mehr ganz so relevant wie in der Steinzeit, aber das Gehirn funktioniert noch wie damals.“

Der Gesichtsausdruck, der uns am deutlichsten verrät, dass andere keine Gefahr darstellen, ist das Lächeln. Studien zufolge wird in Kulturen mit hoher Multikulturalität wesentlich mehr gelächelt als in vielen europäischen Ländern. Je mehr Sprachbarrieren existieren, desto wichtiger wird die nonverbale Kommunikation. Da die USA praktisch nur aus Einwanderern unterschiedlichster Kulturen bestehen, lächeln die Amerikaner durchschnittlich mehr als wir. Unbewusst häufig zeigen sie mit – nach unserem Empfinden – übertriebenem Lächeln, dass sie nicht in böser Absicht vor uns stehen.

Ein Lächeln erleichtert die Zusammenarbeit und verbindet. Lächeln und Zurücklächeln stellt sogar eine Belohnung für den Körper dar. „Studien zu Mitarbeiter-Gesprächen zeigen, dass sich der Spiegel des Stresshormons Cortisol bei Mitarbeitern senkt, die von ihren Vorgesetzten beim Feedback angelächelt werden“, sagt Eilert, dessen Buch mit dem Titel „Körpersprache entschlüsseln und verstehen“ Ende April erscheint.

Das Mienenspiel ist mit dem limbischen System verdrahtet und reagiert unwillkürlich. Die Körpersprache und im Speziellen die Mimik organisieren das soziale Miteinander, weil sie verraten, wie jemandem zumute ist. Wenn wir eine Maske tragen, sehen andere nur noch die halbe Mimik. Die Augenpartie transportiert vor allem Emotionen wie Trauer, Angst und Ärger. „Zieht jemand etwa die Augenbrauen an den Innenseiten hoch, sodass sich im Stirnzentrum Querfalten bilden, ist das ein Zeichen dafür, dass jemand traurig ist“, erklärt Eilert. Traurige Zeiten? Eine Rettung gibt es: Herzensfreude zeigt sich ebenfalls primär in den Augen, der Augenringmuskel springt an und lässt sie „lachen“ - trotz Gesichtsmaske.

Der US-Entwicklungspsychologe Edward Tronick von der Universität Massachusetts, Boston, analysierte mit seinen „Still-Face-Experiments“ die Reaktionen kleiner Kinder auf Unterbrechen und Wiederaufnahme einer liebevollen Situation zwischen ihm und ihrer Bezugsperson. Wenn die Mütter ihr Mienenspiel plötzlich einstellten, begannen die Kinder innerhalb kürzester Zeit, zu schreien. Fazit: Fehlende sozialer Rückkopplung löst Stress aus.

Erwiesenermaßen macht Einsamkeit krank. Es ist möglich, dass die derzeitigen Kontaktbeschränkungen derartige Gefühle verstärken, aber nicht aus mangelnder Bereitschaft, die Maßnahmen mitzutragen, sondern weil der Körper nichts mit ihnen anfangen kann. Selbst wenn der Kopf begreift, dass ein Mindestabstand von 1,5 Meter unerlässlich ist, fehlt dem Körper trotzdem die Nähe. Wenn neben Masken auch noch Sonnenbrillen getragen werden, fallen alle nonverbalen Codes der Zuwendung – Lächeln, Nähe, Blickkontakt – weg. Wir fühlen uns abgeschnitten. „Sprache ist erst 40.000 Jahre alt, Körpersprache Jahrmillionen. Unser limbisches System springt auf Körpersprache stärker an als auf Worte.“

Flirten mit Maske ist nicht#

Flirten mit Maske ist also nicht. Witze machen wahrscheinlich auch nicht, denn wer in einem der wenigen derzeitigen persönlichen Meetings einen Scherz macht, kann nicht mehr durch ein Lächeln markieren, dass er es nicht böse meint. Den Humor können wir uns dennoch erhalten. „Mit der Maske müssen wir wohl Emotion deutlicher zeigen, damit andere mitkriegen, was wir meinen“, betont Claus Lamm, Professor für Biologische Psychologie an der Universität Wien. „Diese Kommunikation könnte problematisch werden, aber man wird einfach andere Wege finden müssen, wie man seine inneren Zustände vermittelt. Man kann relativ viel über Augen, Körperhaltung und Sprachtönung kommunizieren.“

Wichtig wird es auch, uns intensiv mit Worten zu verständigen. Menschen sind nämlich, anders als Tiere, fähig zur Meta-Kommunikation. Das bedeutet, sie können über den Prozess der Kommunikation reden. „Sprechen Sie es an, wenn sich eine Situation komisch anfühlt – das hilft und lockert auf“, empfiehlt Eilert. Immerhin hat die nonverbale Kommunikation ihren Weg ins Digitale gefunden: Wir schicken lachende Emojis, damit der andere versteht, wie getippte Worte emotional gemeint sind.

„Wir können auch Rituale finden. Gerade jetzt lohnt es, Dankbarkeit zu kultivieren. Das Spüren von Dankbarkeit setzt nämlich das ,Kuschelhormon‘ Oxytocin frei, das übrigens auch angstlösend wirkt“, empfiehlt der Experte.

Das klingt nach einer Strategie. Schreiben Sie täglich drei Dinge auf, für die Sie dankbar sind. Ich lächle Sie übrigens gerade an. ;)

Wiener Zeitung, 11. April 2020