Lederer#
Lederer (auch Gerber) verarbeiteten tierische Häute und Felle mit Gerbstoffen zu Leder. Das Handwerk wurde zunächst auch von Kürschnern, Schuhmachern, Riemern, Sattlern und Säcklern, meist für den eigenen Bedarf, ausgeübt, und gelegentlich waren die einen oder anderen mit den Lederern in einer Zunft vereint. Unklare Abgrenzungen zwischen den einzelnen Handwerken und ökonomische Probleme führten an vielen Orten immer wieder zu heftigen Streitigkeiten, wie eine Vielzahl von Verordnungen belegt. Schon im Mittelalter fand eine deutliche Aufspaltung des Lederergewerbes nach den unterschiedlichen Gerbverfahren statt.
Die Weißgerber (Irher, Ircher) stellten vor allem aus Kalbs-, Schafs- und Ziegenfellen durch Mineralgerbung mit Alaun oder Kochsalz die edleren und dünneren Ledersorten (beispielsweise Glacé- und Kidleder beziehungsweise Chevreaux) her.
Die Rot- oder Lohgerber (Loher, Lorer, Lauer) verarbeiteten die Häute fast aller Tierarten zu Sohl- , Brandsohl- und Oberteilleder, zu Riemen-, Koffer- und Möbelleder, zu Wagenverdeck-, Geschirr-, Zeug- und Blankleder für die Sattlerei und den Wagenbau. Als Gerbstoffe benutzte man besonders Rinden, zum Beispiel von Eiche, Fichte, Tanne, Weide, Hemlocktanne, Birke und Erle. Rotgerber waren ferner spezialisiert auf die Herstellung von Luxusleder wie Lack-, Saffian-, Marokkoleder und Juften oder Juchten und zählten, im Gegensatz zu den Weißgerbern, meist zu den wohlhabenden und sozial angesehenen, oft im Rat einer Stadt vertretenen Handwerkern. Corduaner (Lederbereiter) hießen jene Gerber, die Corduanleder für feine Schuhmacher-, Buchbinder- und Galanteriearbeiten aus Ziegenfellen verfertigten, die mit Sumach (Blätter des Essigbaums) gar gemacht und anschließend gekrispelt wurden.
Die Sämischgerber, die mit den Weißgerbern eng verbunden waren, verwendeten als Gerbstoffe tierische Fette, vor allem Trane (Robben-, Wal-, Seehund-, Leber- und Fischtrane), die in die Haut der Kalbs-, Ziegen-, Schafs- und Rotwildfelle gewalkt wurden. Das auf diese Art gegerbte Sämisch- oder Waschleder war angenehm weich und außerordentlich widerstandsfähig gegenüber Wasser und Hitze und wurde vorzugsweise für Handschuhe, Bandagenzwecke, Reithosen, Wämser, Schürzen und Putzleder verwendet.
Die frischen Häute, die zur Verhütung der Fäulnis entweder sofort verarbeitet oder mit Kochsalz konserviert werden mussten, bezeichnete man als grüne Häute. Die erforderliche Vorbereitung für die Gerbung war für alle Verfahren ungefähr gleich. Die grünen Häute kamen in die sogenannte Wasserwerkstatt und wurden zur Reinigung und zum Aufquellen (Weichen) in reines Wasser geworfen oder eingehängt. Gewässert wurde einige Tage in Bächen und Flüssen oder in besonderen Weichbottichen. Danach kamen die Häute mit der Fleischseite nach oben auf den Schabebaum und wurden mit dem Scherdegen (Streicheisen) von Fleisch- und Fettresten befreit. Der nächste Schritt war die Enthaarung und Beseitigung der Ober- (Epidermis) und Unterhaut (vom Lederer als Fettschicht oder Fleisch bezeichnet), um die eigentliche Lederhaut, das Corium, zu erhalten. Die älteste Methode war das Schwitzen in feuchten, warmen Räumen oder Kammern; es trat Enthaarung durch Fäulnis ein. Die übliche Methode zur Haarlockerung aber war das Einwirken von Kalk, was als Äschern bezeichnet wurde. Das Äschern wurde in mit Holz ausgekleideten, später gemauerten Gruben vorgenommen, in die man die geweichten Häute zuerst mehrere Tage einem alten abgearbeiteten Weißkalkäscher, dem sogenannten Fauläscher, und nachher etwa die gleiche Zeit einer frisch angesetzten Kalkmilch, dem Schwelläscher, aussetzte. Waren die Haare bzw. die Wolle genügend gelockert, wurden die Häute wieder gespült und mit Hilfe des Scherdegens auf dem Schabebaum von Ober- und Unterhaut befreit. Diese Arbeit erforderte besonderes Geschick, um die Lederhaut nicht durch Schnitte zu beschädigen und damit zu entwerten. Die Abfälle der Unterhaut, Leimleder genannt, fanden Verwendung in der Leimherstellung (Leimsieder).
Nach dem Ausscheren folgten die Reinmachearbeiten. Die Häute, die nun Blöße hießen, mussten von Haar- und Hautresten, Fettstoffen, und jene, die geäschert worden waren, von Kalkrückständen befreit werden. Zu diesem Zweck wurden sie erneut gewässert und dann auf dem Baum mit dem Streicheisen geputzt oder gestrichen. Das Entkalken der geäscherten Blößen erfolgte durch Beizen in lauwarmen Aufgüssen von Hunde-, Hühneroder Taubenkot. Diese ekelerregenden Kotbeizen verschwanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts und wurden durch künstliche Beizen abgelöst.
Nun konnte der eigentliche Gerbprozess beginnen, bei dem man eben verschiedene Gerbverfahren unterschied. Die Weißgerberei war bereits den alten Ägyptern bekannt, die sie bei der Leichenkonservierung (Mumifizierung) anwandten. Man gerbte die Blößen einfach durch Einhängen in eine Alaunbrühe, was in der Regel höchstens drei Monate dauerte. In der Rot- oder Lohgerberei hingegen wurden die Blößen ursprünglich mit Lohe (zerkleinerte Eichenrinde oder andere) in Gruben abwechselnd geschichtet und dann mit Wasser übergossen (Grubengerbung). Je nach der Dicke war das Leder erst in ein bis drei Jahren »lohgar«. In manchen Gerbereien dehnte man den Gerbprozess zuweilen auf vier bis fünf Jahre aus. Schneller kam man mittels eines Fasses ans Ziel, das mit den Blößen und einer durch Auflösen von Gerbextrakten entstandenen Brühe (Flotte) gefüllt und hin- und hergerollt wurde. Dabei erneuerte der Gerber mehrmals in bestimmten Zeitabständen, entsprechend seiner Erfahrung, die Brühe in jeweils höherer Konzentration, bis die Leder vollständig gar waren, was in wenigen Monaten oder sogar Wochen erreicht werden konnte (Fassgerbung). Bei der Sämischgerberei walkte der Gerber die Blößen mit den Händen wiederholt im Tranfass, bis sie kein Fett mehr aufnahmen.
Dann spannte er sie auf Rahmen und setzte sie der Luft aus, wodurch sich der Gerbprozess als chemische Reaktion vollzog. Nach vollständiger Gare musste das überschüssige Fett mit Hilfe einer Soda- oder Pottaschelösung ausgewaschen werden. Zum Walken bedienten sich viele Weißgerber gerne der von den Textilhandwerkern genutzten Walkmühlen.
Nach beendeter Gerbung wurden die Häute zur Entfernung des überschüssigen Gerbstoffes mit Wasser gewaschen. Dann warf man sie zum Abtropfen auf einen Bock und hängte sie zum Ablüften auf Stangen in den Trockenboden, in dem man durch witterungsbedingtes Öffnen und Schließen der Türen und Fensterläden den Luftzug regulierte.
Nach beendeter Gerbung wurden die Häute zur Entfernung des überschüssigen Gerbstoffes mit Wasser gewaschen. Dann warf man sie zum Abtropfen auf einen Bock und hängte sie zum Ablüften auf Stangen in den Trockenboden, in dem man durch witterungsbedingtes Öffnen und Schließen der Türen und Fensterläden den Luftzug regulierte.
Der enorme Wasserbedarf brachte es mit sich, dass die Häuser der Lederer üblicherweise an Flüssen oder Bächen lagen, was zu einer starken Verschmutzung der Gewässer führte. Der scheußliche Gestank, der von Gerbereien ausging, zwang sie häufig zur Ansiedlung am Stadtrand, oder es wurden ihnen bestimmte Quartiere bzw. Straßen zugewiesen. In Prag wurden die Lederer im Spätmittelalter schlicht als »Stänker« verunglimpft.
Die Arbeit der Lederergesellen war strapaziös und bedrohte zudem ihre Gesundheit. Am meisten gefährdet waren jene, die mit den rohen Häuten zu tun hatten, weil davon häufig Milzbrandinfektionen ausgingen, die fast stets tödlich endeten. Beim Arbeiten in den Kalkäschern litt die Haut der Hände durch die Ätzwirkung des Kalkes, und das lange Stehen im kalten Wasser und die Durchnässung führten zu andauernden Erkältungen und rheumatischen Leiden.
»Natürlich wusste Madame Gaillard«, heisst es am Beginn von Patrick Süskinds Geschichte Das Parfum, »daß Grenouille in Grimals Gerberwerkstatt nach menschlichem Ermessen keine Überlebenschance besaß.« Jean-Baptiste Grenouille, der finstere Held des Romans und zu diesem Zeitpunkt gerade acht Jahre alt, wird von seiner Ziehmutter Madame Gaillard an einen Gerber namens Grimal verschachert. Es ist das Jahr 1747 in Paris. »Tagsüber arbeitete er, solange es hell war, im Winter acht, im Sommer vierzehn, fünfzehn, sechzehn Stunden: entfleischte die bestialisch stinkenden Häute, wässerte, enthaarte, kälkte, ätzte, walkte sie, strich sie mit Beizkot ein, spaltete Holz, entrindete Birken und Eiben, stieg hinab in die von beißendem Dunst erfüllten Lohgruben, schichtete, wie es ihm die Gesellen befahlen, Häute und Rinden übereinander, streute zerquetschte Galläpfel aus, überdeckte den entsetzlichen Scheiterhaufen mit Eibenzweigen und Erde. Jahre später musste er ihn dann wieder ausbuddeln und die zu gegerbtem Leder mumifizierten Hautleichen aus ihrem Grab holen.
Wenn er nicht Häute ein- oder ausgrub, dann schleppte er Wasser. Monatelang schleppte er Wasser vom Fluß herauf, immer zwei Eimer, Hunderte von Eimern am Tag, denn das Gewerbe verlangte Unmengen von Wasser zum Waschen, zum Weichen, zum Brühen, zum Färben. Monatelang hatte er keine trockene Faser mehr am Leibe vor lauter Wassertragen, abends troffen ihm die Kleider von Wasser, und seine Haut war kalt, weich und aufgeschwemmt wie Waschleder.«
Der Rückgang der handwerklichen Produktion, zuerst in den Städten, dann in den ländlichen Gebieten, war im Laufe des 19. Jahrhunderts unübersehbar. Immer mehr Lederfabriken entstanden, die einerseits mit der Einführung des Quebrachoholzes als Gerbstoff und mit der Chromgerbung (mit Metallsalzen) den Gerbprozess immer mehr verkürzen konnten; andererseits brachte die Mechanisierung und Arbeitsteilung die Entbehrlichkeit von gelernten Gerbern mit sich.
Quellen#
- Verschwundene Arbeit, R. Palla, Christian Brandstätter Verlag, 2010