Stradivarius von Wien#
Franz Geissenhof (1753 – 1821) war einer der besten Geigenbauer seiner Zeit. Seine Instrumente halten dem Vergleich mit jenen des weltberühmten Cremoneser Meisters durchaus stand.#
Von der Wiener Zeitung (Samstag, 6. Februar 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Peter Kastner
"Man Kann Geissenhof ruhig als den Stradivarius von Wien bezeichnen".
Und: "Er war ein ganz hervorragender Meister und einer der besten Geigenbauer seiner Zeit". Dieses gewaltige Lob, diese Worte höchster Wertschätzung stammen von Walter Hamma und stehen in einer der führenden Enzyklopädien über den Geigenbau. Auf Instrumenten von Franz Geissenhof spielen heute renommierte Musiker wie Hiro Kurosaki, Midori Seiler oder Christophe Coin. Eine Violine aus dem Jahr 1785 befindet sich im Eigentum der Gesellschaft der Musikfeunde. Und das Kunsthistorische Museum besitzt gar ein ganzes Streichquartett aus der Hand dieses Meisters.
Die Instrumente sind Teil der "Sammlung alter Musikinstrumente". Dessen Leiter Rudolf Hopfner hat neulich die Ergebnisse einer mehrjährigen Forschungsarbeit über Franz Geissenhof in Buchform vorgelegt. Für den biographischen Teil zeichnet Rita Steblin verantwortlich. Sie hat mit großem Aufwand Archive durchforstet und manch neues Detail über diesen Geigenbauer aus der Zeit der Wiener Klassik ans Licht gebracht. Und doch bleibt letztlich die Frage offen: Wer war eigentlich der Mensch Franz Geissenhof, und wie konnte er zu solcher Meisterschaft in
Von Füssen nach Wien#
Franz Geissenhof wurde am 15. September 1753 in Füssen geboren. Füssen war, wie auch das wenige Kilometer entfernte Vils, im 18. Jahrhundert ein Geigenbauzentrum, zunftmäßig organisiert, an der Handelsstraße von Augsburg nach Venedig gelegen, aufgrund der waldreichen Umgebung bestens mit dem für den Instrumentenbau so wichtigem Tonholz versorgt. Über 80 Geigenbauer waren um 1750 in Füssen ansässig. Doch viele zog es dorthin, wo großer Bedarf an diesen Instrumenten bestand: in die Musikzentren Europas, vor allem nach Wien.
Einer von diesen Emigranten war Johann Georg Thir, der in der Wiener Singerstraße eine Werkstatt eröffnete und dort den jungen Franz Geissenhof zum Gesellen nahm. Nach der Erkrankung Thirs führte Geissenhof das Geschäft zunächst interimistisch, ehe er es übernahm. 1781, zwei Jahre nach dem Tod seines Lehrherrn, heiratete Geissenhof die Schwester des imselen Haus wirkenden Kollegen Mathias Thir.
Über die Jugend des weltberühmten Antonio Stradivari ist ebenfalls wenig bekannt. Bis heute ist es nicht gelungen zu erheben, wann und wo Antonio Stradivari geboren wurde. Dokumente aus seinem späteren Leben lassen schließen, dass er 1644 das Licht der Welt erblickte, vermutlich in einem Dorf in der Lombardei. Wann und unter welchen Umständen er in die Stadt Cremona kam, ist nicht bekannt.
Antonio Stradivari lernte sein Handwerk bei Nicolo Amati, was durch eine Inschrift in einem Instrument aus dem Jahr 1666 belegt ist. Auf dem Etikett bezeichnet sich Stradivari selbst als „alumnus“ Amati. Als einer seiner Schüler, ist man geneigt zu ergänzen. Denn in der Werkstatt Nicolo Amatis arbeiteten etwa auch Andrea Guarneri, Giovanni Battista Rogeri, Francesco Ruggeri und Hieronymus Amati. Sie alle sollten es in Folge zu großer Meisterschaft bringen. Stradivari zog nach seiner Hochzeit (mit 23 Jahren) zunächst in den Kirchenbezirk seiner Frau, 1680 erwarb er ein Haus auf der Piazza San Domenico, in dem der bis zu seinem Tod lebte. Die Pläne dieses Hauses liegen vor, sodass man weiß, dass es neben Küche, Wohnzimmer und einem Verkaufsraum im Erdgeschoß noch mehrere Zimmer in den Obergeschossen gab. Vom zweiten Stock aus gelangte man auf eine halboffene Mansarde, die sich in den heißen Sommermonaten vorzüglich zum Trocknen der frisch lackierten Instrumente geeignet haben dürfte.
Mag dieses Anwesen, wie die Brüder Hill in ihrer Biographie über Antonio Stradivari meinen, auch "bescheiden"“ gewesen sein – verglichen mit den räumlichen Verhältnissen, in denen Franz Geissenhof hauste, mutet es geradezu luxuriös an. Geissenhof zog nach der Hochzeit von der Singerstraße in die benachbarte Riemergasse, ins "Schmidtbierhaus", heute Riemergasse Nr. 10.
Zum Leben und Arbeiten standen nur eine winzige Küche und ein einziges Zimmer zur Verfügung. Geissenhof werkte meist allein, weil er die Maßstäbe an sich so hoch ansetzte, dass kein Gehilfe seinen Anforderungen gerecht werden konnte. Aus heutiger Sicht erscheint es schier unverstellbar, dass unter derart beengten Verhältnissen jene Meisterwerke entstanden, die – wie Hamma urteilt – "an Schönheit und Eleganz kaum zu übertreffen" sind. In Fachkreisen wurde Franz Geissenhof schon zu Lebzeiten Anerkennung und Wertschätzung zuteil. Er wurde mehrfach zum Vorsteher der bürgerlichen Geigen- und Lautenmacher gewählt und war über ein Jahrzehnt lang beeideter Schätzmeister. Doch während seine Kollegen arbeitsteilig werkten und es zu Wohlstand brachten, blieben die Einnahmen im Hause Geissenhof, wie die Steuerlisten zeigen, bescheiden. Hinzu kamen Schicksalsschläge – der Tod der beiden letzten, mittlerweile adoleszenten Kinder –, die Franz Geissenhof tief getroffen haben müssen, und ab 1818 eine Krankheit, die nicht nur an der Lebenskraft zehrte, sondern die letzten Ersparnisse aufzehrte.
All diese Unbilden blieben jedoch ohne Einfluss auf das Werk. Im Gegenteil: Instrumente aus dem letzten Lebensjahrzehnt des Meisters zeigen Franz Geissenhof am Höhepunkt seines Könnens. Anders als seine Kollegen hat Geissenhof schon früh erkannt, dass es Antonio Stradivari war, der im Geigenbau neue Maßstäbe setzte. Einzelne Exemplare des Cremoneser Meisters standen ihm zum Studium oder zur Reparatur zur Verfügung. Geissenhof rezipierte ihre Formen, vornehmlich die einer Violine aus dem Jahr 1716, aus Stradivaris bester Zeit, seiner "goldenen Periode". Geissenhofs Arbeiten aus dieser Zeit gelten als "so vollendet, dass sie von niemand mehr übertroffen werden könnten".
Schicksalsschläge blieben übrigens auch Antonio Stradivari nicht erspart. 1698 starb seine Frau Francesca Ferabosca. Fünf Kinder entstammen einer zweiten Ehe, mit Maria Zambelli. Drei davon gingen Antonio im Tod voran. Existenzielle Sorgen kannte Stradivari Zeit seines Lebens allerdings nicht. Seine Instrumente waren bereits um 1700 europaweit gefragt. Ganze Streichorchester wurden bei ihm in Auftrag gegeben. Antonio führte diese Arbeiten Arbeiten selbst aus oder übertrug sie seinen beiden Söhnen Francesco und Omobono. Auch wenn man sich angesichts der großen Zahl von Stradivari-Instrumenten von der Vorstellung lösen muss, der Künstler habe jedes Exemplar eigenhändig angefertigt, so ist doch alles, was seinen Namen trägt, von exquisiter handwerklicher Qualität.
Im Alter von 85 Jahren erwarb Antonio Stradivari in der Kirche San Domenico eine Grabstelle. In ihr wurden zunächst sein Sohn Alessandro und einige Jahre später seine zweite Frau beigesetzt. Maria Zambelli starb im März 1737, Antonio wenige Monate später, am 18. Dezember 1737, hochbetagt, im Alter von 93 Jahren. Sein Grabstein steht heute im Museo Civico in Cremona, unweit jenes Hauses, in dem Stradivari den Großteil seines Lebens verbrachte.
Franz Geissenhof starb am Abend des Neujahrstages 1821, völlig entkräftet, an den Folgen von "Gedärmbrand", einer damals häufig auftretenden chronischen Entzündungserkrankung. Seine Frau überlebte ihn nur um 14 Monate. Beide wurden am Friedhof in St. Marx begraben.
Instrumente mit Aura#
Weltweit gibt es noch ca. 650 Instrumente von Stradivari. Celli weit seltener als Violinen. Bratschen sind überhaupt nur einige bekannt. Wenige Instrumente aus der Hand des Cremoneser Meisters sind heute reine Ausstellungsstücke. Die meisten stehen nach wie vor im Konzertbetrieb. So auch jene acht Stradivari-Violinen, die Teil der Sammlung „Wertvolle alte Streichinstrumente“ der Österreichisch Nationalbank sind, darunter die berühmte "Chaconne" aus 1725. Sie wird seit Jahren von Rainer Küchl, dem ersten Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, gespielt.
Wie viele Instrumente Franz Geissenhof Zeit seines Lebens schuf, lässt sich nicht sagen. Vorwiegend waren es Violinen, seltener Bratschen, noch seltener Celli. Geissenhof soll kein Stück aus der Werkstatt gelassen haben, das nicht ganz einwandfrei war. Wer je eine Geissenhof-Geige spielen durfte, wird dies bestätigen. Geissenhofs Instrumente, insbesondere die aus dem letzten Lebensjahrzehnt, verströmen eine Aura, der man sich nicht entziehen kann.
Stradivaris Geigen vermitteln das Gefühl, sich klanglich über ein ganzes Orchester erheben zu können. Geissenhofs Instrumente hingegen sind ihres feinen Tones wegen gesucht. Rudolf Hopfner schrieb vor einigen Jahren in der Zeitschrift „The Strad“ sinngemäß: Es war der Klang der Instrumente von Franz Geissenhof, den Haydn, Mozart und Beethoven im Ohr hatten, als sie ihre unvergesslichen Melodien zu Papier brachten.
Peter Kastner, geboren 1964 Studium von Musik und Rechtswissenschaften lebt und arbeitet als Jurist in Wien.
Literaturhinweise#
- William Henry Hill: Antonio Antonio Stradivari. His Life and Work (1644 – 1737). London, 1980.
- Rudolf Hopfner: Franz Geissenhof und seine Zeit. Edition Bochinsky und KHM, Wien, 2009.
Quellen#