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Reinhard Kriechbaum: Heringsschmaus und Kreuzlstecken#

Bild 'Kriechbaum'

Reinhard Kriechbaum: Heringsschmaus und Kreuzlstecken. Geschichten und Bräuche rund um Ostern. Verlag Anton Pustet Salzburg 2019. 264 S, ill., € 19,95.

Der Salzburger Kulturjournalist Reinhard Kriechbaum hat in der Volkskunde (neben Kunstgeschichte und Musik eines seiner Studien) ein reiches Betätigungsfeld gefunden. 2010 erschien als erster Teil einer Trilogie der Band über Weihnachtsbräuche, zwei Jahre später über den Fasching, und 2103 über Bräuche im Sommer und Herbst sowie im Lebenskreis. 2017 begann der Pustet-Verlag mit einem neuen Format: Kompakte, postkartengroße Bücher mit "Geschichten und Bräuchen": Dem ersten, über den Jahreswechsel folgte im Jahrestakt eines über Weihnachten und jetzt, schon nach wenigen Monaten, "Heringsschmaus und Kreuzlstecken". Der Verlag darf sich freuen, einen kompetenten und produktiven Autor zu haben, der sein Wissen unterhaltsam zu vermitteln weiß. Zwischendurch hat Reinhard Kriechbaum auch noch im Rupertus-Verlag das große, buntes Buch Salzburger Brauch herausgegeben.

Bei dieser Fülle wäre es ein leichtes gewesen, vorhandene Texte zu recyceln. Aber der kreative Autor findet immer wieder Neues, auch wenn es um dieselben Bräuche handelt. Bei der inhaltsreichen Kleinformat-Reihe gelingt dies u. a. durch die Ausweitung auf die Nachbarländer Deutschland und die Schweiz. Das ermöglicht interessante Vergleiche, etwa bei den Grünmasken zu Pfingsten. In Niederösterreich gibt es in zwei Orten den "Pfingstkönig" . Der Bursche, der ihn spielt, gleicht einem wandelnden Baum. Das dichte Blätterkleid, das vom Scheitel bis zu den Beinen reicht, erlaubt ihm keinen Ausblick. Daher wird er von Kindern an Stangen geführt. Sie kennen die Stationen, wo sie ihn drehen, umtanzen und ihr Heischelied singen. Verwandte Gestalten nennt man in der Schweiz Pfingstblitter oder Pfingstsprützlig (weil sie die die ZuschauerInnen mit nassen Zweigen bespritzen). In Deutschland heißt die Gestalt - dort ein bis 5 Meter hoher Blätterriese - Pfingstbutz oder Pfingstquack.

Wohl aufgrund des Themas, rund um Ostern, wirkt das Büchlein ernster als die anderen. Ostern als höchstes christliches Fest mit der Fastenzeit davor und der Freudenzeit danach, ist religiös geprägt. Da kommt die theologische Kompetenz des Autors zum Tragen, der um 1990 die Pressestelle der Erzdiözese Salzburg geleitet hat. Prägnant zitiert er Bibelstellen, die wahrscheinlich nicht alle LeserInnen so genau kennen. Dadurch erklären sich viele Bräuche, andere haben soziale oder vitale Gründe. Bei manchen Frühlingsbräuchen wäre "zuallererst an einen Ausdruck von Lebensfreude zu denken", schreibt Reinhard Kriechbaum. Anders als in seinen ersten Büchern (wo dies nur vorsichtig geschah) bezieht er jetzt eindeutig Stellung gegen Kontinuitätstheorien und uralte Vegetationsriten: "In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Volkskunde als Wissenschaft an die Kandare genommen. Man bemühte sich, Bräuche auf heidnisch-germanische Wurzeln zurückzuführen. Die damals aufgebrachten Erklärungen sind zwar wissenschaftlich in den wenigsten Fällen zu halten, doch umso hartnäckiger wiederholen sie manche Brauch-Erklärer." Das prominenteste Beispiel in dieser Jahreszeit, die "Göttin Ostara", stuft er (glücklicherweise!) als "echtes Grimmsches Märchen" ein. Jacob Grimm erfand die Herleitung 1835 in seiner "Deutschen Mythologie". Besonders wirkmächtig erwies sie sich hundert Jahre später und findet bis heute ihre Anhänger.

Fast 90 Bräuche beschreibt der Autor, in acht Kapiteln, ergänzt mit vielen Farbfotos. "Das lange Fasten vor dem Fest" beinhaltet das Hungertuch ebenso wie den Gmundener Liebstattsonntag, der auf der österreichischen UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes steht. In Deutschland darf sich die Palmsonntagsprozession in Heiligenstadt (Thüringen) dieses Prädikats erfreuen. Im 2. Kapitel "Purpurrot und violett" vorgestellt, wurde sie - wie so viele Bräuche - im 16. Jahrhundert von den Jesuiten erfunden, "um dem wortbezogenen Protestantismus ein die Menschen packendes katholisch-sinnliches Schauerlebnis gegenüberzustellen."

Die Gesellschaft Jesu übernahm 1622 das Kloster in Traunkirchen (Oberösterreich). Hier, wie im Salzburgischen Großarl, wo im 17, Jahrhundert ein Großteil der Bevölkerung evangelisch war (und deshalb vertrieben wurde), ist das nächtliche Leiden-Christi-Singen Brauch. Im Kapitel über das "Triduum Sacrum" erfährt man, wie es vor sich geht. Nach der Liturgie am Gründonnerstag ziehen in Traunkirchen Männer von der Kirche zum Kalvarienberg und singen, in Art des Nachtwächterliedes, jede Stunde eine Strophe über das Passionsgeschehen. In Großarl findet das Antlaßsingen auch in der folgenden Nacht statt. Mitten in der Nacht kommen auch die Ostersänger in der Weststeiermark, die Lieder aus der Zeit der Gegenreformation darbieten. "Christ ist erstanden" heißt es in der Osternacht im Kärntner Bleiburg. In Mattersburg im Burgenland erscheinen die Mitglieder des Gesangsvereins nach der Auferstehungsfeier bei den Häusern. Ähnliches ist in Deutschland bekannt.

"Vom Osterhasen und seinen Eiern" liest man im folgenden Kapitel. Man lernt Theorien aus praktischer und theologischer Sichtweise kennen, wobei es die Süßwarenindustrie war, die dem Hasen seine außerordentliche Breitenwirkung bescherte: "Mit der Herstellung von Rübenzucker im 19. Jahrhundert setzte die Massenproduktion von Schokolade ein. Der Rest ist Marketing …" Dann geht es "nach Emmaus und in die Felder" , in Anspielung auf den Gang der Jünger, die in das Dorf Emmaus wanderten und den sie begleitenden Jesus lange nicht erkannten. Hier ist besonders das Grean-Gehen im Niederösterreichischen Weinviertel zu nennen, das vom Arbeitsbrauch zum Angebot für Frühingsgäste in den Kellergassen geworden ist. Ein schöner Auftakt für "sieben Wochen Osterfreude" , die Christen ausleben sollten, wie nicht nur der Autor ermutigt. Populäre Heiligenfeste fallen in diese Zeit, wie jene des Drachentöters Georg, des Evangelisten Markus, der "Eisheiligen" , des Nährvaters Josef und der Wasserheiligen Florian und Johannes Nepomuk.

"Am Ende des Osterfestkreises" stehen, am 40. Tag nach dem Hochfest, Christi Himmelfahrt, am 50. Pfingsten und am 60. Fronleichnam. Zu Christi Himmelfahrt kann man in manchen Kirchen Bayerns und Kärntens einen Eindruck barocker Auffahrtsspiele bekommen: Durch eine Öffnung im Gewölbe werden Figuren des Auferstandenen und von Engeln aufgezogen. In gegenteiliger Richtung erfolgt zu Pfingsten das Heilig-Geist-Schwingen im bayerischen Dillingen. Dann schwebt eine geschnitzte Taube über den Gläubigen. Während dieser Brauch wiederbelebt wurde, sind Fronleichnamsprozessionen seit Generationen üblich geblieben. Wieder waren es die Jesuiten, die für das Salzkammergut die Seeprozessionen erfanden. Hingegen verdanken die bis zu 6 m hohen Samsonfiguren im Lungau den Kapuzinern ihre Einführung. Im konfessionellen Zeitalter waren die biblischen Riesen Teil des Fronleichnamsumgangs. Inzwischen dauert ihre Saison bis in den Herbst, fast jedes Wochenende rückt einer von ihnen, begleitet von der Blasmusik oder Bürgerwehr aus. Folklore ? Vielleicht. Aber das ist hier nicht die Frage. Reinhard Kriechbaum meint im Vorwort: "Ungebrochen scheint jedenfalls die Sehnsucht nach verbindenden Ritualen. Wir alle brauchen Bräuche. Die gemeinsame Wortwurzel kommt nicht von ungefähr."

hmw