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Ernst Lauermann und Wolfgang Maresch: Seinerzeit in Stockerau#

Bild 'Lauermann'

Ernst Lauermann und Wolfgang Maresch: Seinerzeit in Stockerau. Bilder und Geschichten – 1930 bis 1990. Mit Geschichten und Anekdoten von Valerie Berger, Gustav Hanke und Wolfgang Sommer. Mitarbeit: Gabriele Redl. Edition Winkler-Hermaden Schleinbach. 132 S., ill., € 24,90

Was haben alte Fotos und moderne soziale Medien gemeinsam? Mehr als man glauben möchte. Ein beeindruckendes Beispiel liefert das jüngste Buch von Ernst Lauermann. Der frühere Landesarchäologe hat in der Edition Winkler-Hermaden bisher vier Bild-Text-Bände veröffentlicht:Archäologie des Weinviertels (2017), Die dunklen Jahrhunderte des Weinviertels (2018), Der Michelberg (2019), Die Pyramiden des Weinviertels (2021). Mit dem fünften ist er fast in der Gegenwart angekommen. In regem Austausch mit den Einsendern und in Zusammenarbeit mit dem Fotosammler Wolfgang Maresch entstand das Buch über die jüngste Vergangenheit der größten Stadt des Weinviertels, wie es einmal war, und wie es zu dem wurde, was es heute ist, mit all seinen Schönheiten und Grässlichkeiten zugleich. Da es um die Dezennien zwischen 1930 und 1990 geht, lassen sich tragische Ereignisse nicht ausblenden. Zeitzeugenberichte, Anekdoten und Geschichten ergeben gemeinsam mit den Fotos ein lebendiges Bild von Erinnerungen an wichtige Gebäude, Geschäfte, Veranstaltungen, Menschen und Institutionen. Der Autor, der diesmal viel Persönliches einfließen lässt, weiß: Die Zeit wird verrinnen und es wird niemanden mehr geben, der sich an diese Jahre des Aufbruchs, der Euphorie unserer Jugend wird erinnern können.

Er betont, dass es immer Veränderungen gegeben hat, nur waren die Intervalle früher länger. Als einleitendes Beispiel nennt Ernst Lauermann die zwischen 1014 und 1050 gegründete Stadtpfarrkirche. Im 18. Jahrhundert war das Gotteshaus zu klein geworden und nicht mehr repräsentativ. Für den Neubau gewann man einen der führenden josephinischen Architekten Wiens, Peter Mollner (1732-1801). Er schuf in Niederösterreich eine Reihe von Kirchen und in Wien Zinshäuser, wie den alten Trattnerhof. Mit Stockerau ist die Legende des heiligen Koloman untrennbar verbunden. Der irische Königssohn wurde 1012 auf dem Pilgerweg nach Jerusalem für einen Spion gehalten und an einem dürren Holunderbaum gehenkt. In der Folge ereigneten sich dort Wunder. Zwei Jahre später wurden die Gebeine nach Melk überführt und Koloman (bis 1663) als österreichischer Landespatron verehrt.

Ein Kapitel widmet sich dem Verschwundenen Stockerau und der vermeintlich guten alten Zeit. Hier zeigen die Fotos beispielsweise das "Tonkino" oder den 1972 gesprengten Wasserturm. Man vermisst solche Orte, und die Erinnerung verklärt manches. Ein freudiger Blick zurück ist durchaus berechtigt. Nostalgie gibt dem eigenen Leben Sinn, verleiht ein Gefühl von Sicherheit und macht glücklich, meint der Autor. Der Wandel der Zeit zeigt sich deutlich an den Geschäften. Besonders schmerzte 1991 die Schließung des Universalmodegeschäfts Johann Hellmer. Zu seinen Besonderheiten gehörte in den 1950er und 1960er Jahren das Pedoskop, das in der Schuhabteilung aufgestellt war. Ein Röntgengerät, das zur Überprüfung der Passform von Schuhen diente.

Als Industriestandort und Arbeiterstadt wies Stockerau eine spezielle Wirtshauskultur auf. In diesen Lokalen fanden Veranstaltungen statt, ebenso wie in den Stadtsälen, im Kolpinghaus und im Volksheim. Konzerte, Bälle, Parteiversammlungen und Theateraufführungen waren gut besucht. Schon 1901 spielte die "Dramatische Sektion" in einem Café und in einem Kino Theater. 1964 gilt als Beginn der "Freilichtfestspiele". Seit 2018 ist der Bühnen- und Filmschauspieler Christian Spatzek Intendant der Stockerauer Festspiele. 2022 steht "Der Floh im Ohr", eine Komödie von Georges Feydeau, auf dem Programm.

Aufmärsche und Umzüge, ob zu Fronleichnam oder am 1. Mai gingen ebenso durch die Stadt, wie Jubiläumsfestzüge oder der "StadtTraRa" im Fasching. In den 1950er und 1960er Jahren fanden Rennen für Motorräder und Sportwagen statt. Ein spezieller Brauch, die Gründonnerstagspartie, beginnt im Stadtzentrum. Seit 1884 wandern alljährlich rund 100 Stockerauer Männer durch die Donauauen nach Tulln. Dabei haben sich Rituale wie das Umspannen der 5-Mann-Eiche in der Au oder Aufenthalte bei Gedenkstätten etabliert.

Ein großes Kapitel ist Erinnerungen an die Schule gewidmet, denn Jeder war einmal in der Schule - und Ernst Lauermann vor seiner akademischen Karriere Hauptschullehrer in seiner Heimatstadt. Es war immer etwas los, erinnert er sich an Ereignisse, welche die Gemüter der Stadt bewegten. Dazu zählten die Weihe von vier neuen Glocken durch Kardinal Theodor Innitzer (1949), die Installation der ersten Verkehrsampel (1960) oder der Besuch des Bundespräsidenten Franz Jonas zum Stadtjubiläum (1968). Die 1960er und 1970er Jahre waren die Zeit des Neubaus, Erneuerns und des Aufbaus, aber auch der Zerstörung wertvoller Bausubstanz. Im April des Jahres 1977 wurde mit dem Abriss des alten Bahnhofs begonnen. Der Bahnhof war 1840 von Alois Negrelli, Generalinspektor der Kaiser-Ferdinands-Nordbahngesellschaft, im Zuge der Fertigstellung der Bahnstrecke von Floridsdorf nach Stockerau errichtet worden. Der Abriss und der darauf folgende Neubau können als Werk von Kulturhunnen und Asphaltbarbaren bezeichnet werden, kritisiert der Autor, der einleitend schreibt: ,Ich will nur aus meiner Sicht darstellen, wie es einmal war, was sich so alles in unserer Stadt abgespielt hat. Es war die ach so unbeschwerte Zeit der Jugend, in die wir einerseits mit Wehmut zurückblicken, die aber auch ihre dunklen Seiten hatte. So soll das Buch auch Anstoß sein, manches in Zukunft besser zu machen.

hmw