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Matthias Marschik, Michaela Pfundner: Die Rotunde#

Bild 'Marschik'

Matthias Marschik, Michaela Pfundner: Die Rotunde. Ein verschwundenes Wiener Wahrzeichen - Von der Weltausstellung 1873 bis zum Brand 1937 Edition Winkler-Hermaden Schleinbach. 128 S., ill., € 22,90

"Erst wenn einer tot ist, ist er gut", zitierte ein Ausstellungstitel eine Wiener Weisheit (Österreichisches Theatermuseum, 2002). Was man Künstlern nachsagt, gilt auch für Bauwerke, die es nicht mehr gibt. Das klassische Beispiel ist die Rotunde (1873-1937). Als Zentrum der Wiener Weltausstellung errichtet und von den Befürwortern als "achtes Weltwunder" gepriesen, wurde sie von den Wienern als "Käseglocke" verspottet. Nun widmen der Kulturwissenschaftler Matthias Marschik und die Historikerin Michaela Pfundner dem Bauwerk einen Bild-Text-Band in der bewährten Art der Edition Winkler-Hermaden. Er enthält seltene Bilddokumente, Zeitungszitate und aufschlussreiche zusammenfassende Recherchen. Es ist nicht das erste Gemeinschaftswerk des Autorenduos. Von Matthias Marschik erschien 2019 "Die Donauwiese" und 2020 "Donaustädter Attraktionen" (mit Gabriele Dorffner). 2021 folgten "Automobiles Österreich" (mit Edgar Schütz) und mit Michaela Pfundner "Wiener Bilder". Pfundner, stellvertretende Direktorin von Bildarchiv und Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, hat dort u. a. die Ausstellung „Schatzkammer des Wissens“ kuratiert.

Insgesamt 64 Jahre lang stand die Rotunde im Wiener Prater. … Die gigantische Kuppel der Rotunde war mit 108 Meter Durchmesser und einer Höhe von 84 Metern die damals weltweit größte Konstruktion dieser Art. … Die Fläche des Innenraums betrug fast 8000 m² und bot etwa 27.000 Menschen Platz. Rund um den Zentralbau befanden sich, durch Hallen verbunden, vier fast 200 m lange Galerien. Anlass zum Bau war die desaströse Wiener Weltausstellung 1873, der eine Wirtschaftskrise folgte. Eine Choleraepidemie trug dazu bei, dass von den erwarteten 20 Millionen Besuchern zwei Drittel ausblieben. Das Defizit betrug umgerechnet 175 Mio. €.

Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs war die Ausstellungshalle Schauplatz spektakulärer Großveranstaltungen: 1883 bot die "Elektrische Ausstellung" eine Leistungsschau der Zukunftssparte Elektrizität. 1885 sang Alexander Girardi hier erstmals das "Fiakerlied". Ab 1886 veranstaltete Pauline Metternich "Frühlingsfeste" mit Attraktionen wie Damenfechten, Seiltanzen oder Parforce-Reiten. 1891 dirigierte Johann Strauß ein "Monstre-Concert". 1898 zog die Kaiser-Jubiläums-Ausstellung zwei Millionen Besucher an. Firmen aus der ganzen Monarchie präsentierten ihre Produkte. Sensationell war auch die nächtliche Illumination. Leuchtende Girlanden schmückten das Rotundengelände, Scheinwerfer strahlten vom Dach auf die Umgebung.

1921 sollte die erste Wiener Internationale Messe Österreich aus der wirtschaftlichen Isolation führen. Das zu diesem Zeitpunkt kaum mehr genutzte und teilweise verfallene Rotunden-Gebäude musste … umfassend renoviert werden. Zusätzlich bauten österreichische und internationale Aussteller auf dem Messegelände Pavillons, die bald festen Gebäuden wichen. Schausteller und kulinarische Angebote wechselten einander ab. Die "Wiener Messe" hatte sich jedenfalls institutionalisiert und der Besuch wurde zum gesellschaftlichen Ereignis. Innenaufnahmen zeigen, dass die Rotunde mit spektakulären Lichteffekten einen beeindruckenden Rahmen für die Präsentation neuer Produkte bot.

Sie bildete nicht nur eine spektakuläres Ambiente für die ausgestellten Waren, sondern wurde auch gerne als Silhouette eingesetzt. Die markante Dachkonstruktion mit der Kaiserkrone als Blickfang machte sie zum Wiener Wahrzeichen. Die Rotunde diente als Kulisse für Veranstaltungen "zu Wasser, zu Lande und in der Luft". Um die Jahrhundertwende bildete sie den Austragungsort von Motorsportereignissen, Pferderennen, Radwettfahrten und Turnerfesten. 1907 stellte der Konstrukteur Igo Etrich sein erstes Motorflugzeug vor, zwei Jahre später schwebte ein Luftschiff über die Ausstellungshalle. 1913 nutzte man geschickt die Reste der Anlage von "Venedig in Wien", einem der weltweit ersten Themenparks, der bis 1901 bestand. Nun ankerte die Nachbildung eines Dampfers an einem künstlichen See vor der Rotunde.

Ihr Ende kam plötzlich im September 1937, als das Gebäude bis auf die Grundmauern niederbrannte. Eine Stunde lang versuchten Feuerwehr und Polizei ihr Möglichstes. Dann mussten sie aufgeben, weil die riesige Kuppel einstürzte. Von Anfang an galt die Rotunde, die eigentlich als dekoratives Provisorium gedacht war, als brandtechnisch gefährdet. Das Blechdach und der Innenputz verhinderten das Vordringen des Löschwassers. 400 Tonnen Holz und 4000 Tonnen Stahlkonstruktion wurden ein Raub der Flammen, einzig das Südportal blieb noch einige Zeit stehen. Nur die Südportalstraße bewahrt - wie die Nordportalstraße, Rotundenallee, Rotundenbrücke, eine Apotheke und ein Kaffeehaus - die Erinnerung an das verschwundene Wiener Wahrzeichen.

hmw