Johannes Sachslehner: Wiener Hotels und ihre Geheimnisse#
Johannes Sachslehner: Wiener Hotels und ihre Geheimnisse. Fotos von Harald Jahn.
Styria Verlag Wien – Graz. 246 S. ill., € 38,-
Der Blick durch ein Schlüsselloch hat immer etwas Spannendes, vielleicht sogar Verbotenes an sich - besonders wenn es sich um Hotel-Türen handelt. Im neuesten Buch von Johannes Sachslehner sind solche Einblicke erwünscht. Dr. Johannes Sachslehner ist Historiker und Autor zahlreicher Bücher zu kulturhistorischen Themen. In jüngster Zeit erschienen u. a. eine Wien Biographie (2021) und Wiener Villen (2023).
Diesmal schreibt Johannes Sachslehner über 14 Wiener Hotels mit ihrer Geschichte und Geschichten, die sich um sie ranken. Dabei geht der Autor detailreich bis in die Gegenwart und spart düstere Kapitel (Stichwort: Hotel Metropole) nicht aus. Einführend beschäftigt er sich mit "Mythos und Wirklichkeit" .Die Geschichte der Beherbergungsbetriebe Wiens. reicht nicht so weit zurück, wie man annehmen könnte. "Das alte Wien kannte keine Hotels im heutigen Sinn. Wer nicht privat eine Unterkunft fand, war auf einen Einkehrgasthof als Herberge angewiesen." Noch im 18. und 19. Jahrhundert waren Reisende von den Unterkünften nicht gerade begeistert. Sie berichten von "einer Art Gefängnis", "mittelmäßigem Nachtlager und schlechter Bedienung".
Den großen Umschwung brachte das Weltausstellungsjahr 1873. "Für Investoren und Hoteliers, die das große Geschäft witterten, begann ein fieberhafter Wettlauf um Standorte und Kapazitäten." Damals wurden bis heute renommierte Häuser neu oder umgebaut, wie Hotel Klomser, Wimberger – das erste am Gürtel - , Kummer, Imperial, Metropole und Sacher, über die das Buch erzählt. Es berichtet auch von schwimmenden Hotels anno 1873: Die "Ulmer Wohnungsschiffe", die im Donaukanal ankerten, hatten bis zu 28 Ein- bzw. Zweibett-Kabinen. Anfang des 20. Jahrhunderts machte sich Otto Wagner Gedanken über das "Hotel Wien". Er schrieb: "Es ist leider eine nicht zu leugnende Tatsache, dass das Hotelwesen in Wien ziemlich im Argen liegt und und die Errungenschaften, die das Ausland auf diesem Gebiet machte, in Wien wenig Nachhall gefunden haben." So forderte er für jedes Zimmer ein eigenes Bad mit WC. Damals bestanden in Wien 144 Hotels, 84 Pensionen und 38 Gasthöfe mit 11.000 Betten. 1910 zählten sie mehr als 600.000 Nächtigungen.
Heute gilt das Hotel Stefanie in der Taborstraße als ältestes Hotel Wiens. Sein Vorläufer war um 1600 die Herberge "Zur weißen Rose". Seinen Namen erhielt es in den 1880 er Jahren. Er erinnert an Stephanie Clotilde Louise Hermine Marie Charlotte von Belgien (1864-1945), die Witwe Kronprinz Rudolfs. "Heute steht die Büste der unglücklichen Prinzessin aus dem Hause Sachsen-Coburg in der Lobby des Hotels Stefanie - eine Schutzpatronin, die durchaus Glück brachte." Das Haus ist in vierter Generation in Familienbesitz. "Die Tradition ist im Hotel Stefanie lebendig geblieben."
Die Tradition der Entstehung aus einem Einkehrgasthof teilt das Hotel mit einigen anderen. Anstelle des Hotel Kummer in Mariahilf befand sich im Vormärz die beliebte Vergnügungungsstätte "Zum goldenen Kreuz". 1872, gerade rechtzeitig zur Weltausstellung, ließ der Gastwirt Michael Kummer von Ludwig Tischler, einem der produktivsten Wiener Architekten einen Neubau projektieren. Hinter historistischer Fasade entstand ein modernes, fünfgeschossiges Hotel.
Um 1700 befand sich auf dem Neuen Markt der Einkehrgasthof "Zum weißen Schwan". Später traten das Hotel Kranz bzw. Ambassador an seine Stelle. Um 1800 verfügte der "Weiße Schwan" über "elegante Extrazimmer. Wenn man der Anekdote glauben darf, geriet Ludwig van Beethoven mit einem Kellner in heftigen Streit. Dabei soll der Komponist diesem die Schüssel mit der Speise an den Kopf geworfen haben.
Das Grabenhotel in der Dorotheergasse löste den um 1700 entstandenen Einkehrgasthof "Zum goldenen Jägerhorn" ab. Dieser war für guten Wein, wohlfeile Speisen und die Auftritte von Volkssängern bekannt. Angeblich inspirierten sie Franz Grillparzer hier zu seiner Novelle "Der arme Spielmann". 1913 erfolgte der Neubau. In einem kleinen Zimmer im 5. Stock verbrachte der Schriftsteller Peter Altenberg seine letzten Lebensjahre.
Einkehrgasthöfe waren nicht die einzigen Vorläufer von Hotelbauten. Das Hotel Klomser in der Herrengasse war ein Barockpalais, das Eleonore Gräfin Batthyány, eine Freundin Prinz Eugens, für sich umgestalten ließ. Das Rundbogenportal mit Wappen und Krone des Adelsgeschlechtes ist eine letzte Reminiszenz an die noble Vergangenheit. Das Hotel Klomser erlangte durch den Suizid des Spions Alfred Redl, (+ 1913) unrühmliche Bekanntheit.
Am Kärntner Ring war ein 1862-1865 ein Palais für Herzog Philipp vom Württemberg und seine Familie entstanden. Ein Jahrzehnt später erfolgte die Umwandlung in ein Hotel, das zur Weltausstellung 1873 eröffnet wurde. "Das Imperial - der Name war Programm - wurde zum exemplarischen Vorbild und blieb bis heute die erste Adresse der Stadt." Seit 2016 ist es im Besitz einer Investmentfirma aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die "die Geschichte des Hauses als besondere Attraktion schätzt."
Das nahe Hotel Bristol war vor seinem Umbau 1892 Sitz der Generaldirektion einer Privatbahn. Exklusiv und modern ausgestattet, war sein Ziel, "auch die verwöhntesten und anspruchsvollsten Gäste zufriedenzustellen. … Wer hier abstieg, konnte sich als Teil dieser mondänen Gesellschaft empfinde, demonstrierte Weltläufigkeit und Joie de vivre." Zu diesen Persönlichkeiten zählten Englands Thronfolger Prinz Edward und seine Freundin Wallis Simpson. 2011 übernahm die Sacher-Gruppe das Bristol . "Bei den Umbauarbeiten … entdeckte man eine Stuckdecke aus dem Jahr 1916, die freigelegt und restauriert wurde - eine wunderbare Reminiszenz an die Welt der Belle Époque."
Viele der beschriebenen Hotels, mehr noch ihre (Dauer-)Gäste waren oft Stadtgespräch. Allen voran das Hotel Sacher, in dem "soupiert und regiert" wurde. Im Hotel Viktoria auf der Wieden – das seit 1999 Institute der TU beherbergt, pflegte der Schriftsteller Arthur Schnitzler seine Liebschaften. Im Hotel Regina auf dem Alsergrund fand Stefan Zweig sein letztes Wiener Quartier. Zum Hotel Orient passt die Umschreibung "Hier kann zu jeder Tageszeit übernachtet werden."
Als ältestes "Grand Hotel" Wiens nennt Johannes Sachslehner das Hotel National in der Leopoldstadt. Die Pläne stammten von den prominenten Ringstraßen-Architekten Ludwig Förster und Theophil Hansen. Der Grundriss mit einem halbrunden Innenhof und drei Stiegenhäusern war wegweisend für spätere Hotelbauten. Förster plante einen Aufzug, Dampfmaschinen sorgten für Wasserversorgung und Frischluftzufuhr. Neu war auch die Idee, Lokale an Geschäfte und Ärzte zu vermieten. Im Weltausstellungsjahr 1873 bot das "Grand Hotel National" 200 Betten. Später erlebte es wenig glanzvolle Zeiten. 1931 wurde es zwangsversteigert. Der einzige Interessent konnte den Konkurs nicht verhindern. Heute ist der Riesenbau zum "Lost place" geworden. "Die Überlegungen zu einer sinnvollen Nutzung des historisch so bedeutsamen Gebäudes dauern an."