Roman Hans Gröger: Die Straßenbahn in Döbling#
Roman Hans Gröger: Die Straßenbahn in Döbling. Ein Rückblick auf 155 Jahre. Verlag Berger, Horn - Wien. 172 S., ill., € 29,90
Am 8. Mai 1870 fuhr erstmals eine Pferdestraßenbahn der "Wiener Tramway-Gesellschaft" durch die Döblinger Hauptstraße zum "Casino Zögernitz". Damit erhielt Oberdöbling als erste der ehemaligen Vorortegemeinden, die den heutigen 19. Wiener Gemeindebezirk bilden, einen Straßenbahnanschluss, schreibt Roman Hans Gröger. Der Autor, der nach seiner sub-auspiciis-Promotion im österreichischen Staatsarchiv wirkt, hat eine Reihe von Publikationen zur Zeit- und Eisenbahngeschichte veröffentlicht. 2024 erschien im Verlag Berger "Wien ohne Stadtbahn. Ein Konzept aus dem Jahr 1885". 2025 gilt es ein Jubiläum der Wiener öffentlichen Verkehrsmittel zu feiern. Grögers jüngstes Buch ist ein interessanter Beitrag dazu.
Der spätere 19. Bezirk, Döbling, war im 19. Jahrhundert ein gefragter Sommerfrischen- und Ausflugsort. Die außerhalb des Linienwalls – dessen Verlauf die Gürtelstraße folgt – gelegenen Vororte Ober- und Unterdöbling, Grinzing, Sievering, Nussdorf, Heiligenstadt, Neustift am Walde und Salmannsdorf waren wegen ihrer Naturschönheiten und Heurigen bei den "alten Wienern" besonders beliebt. Für kreative Menschen wie Ludwig von Beethoven, Franz Grillparzer oder Ferdinand Raimund waren diese Gegenden Quellen der geistigen Inspiration sowie Orte der kulinarischen Sinnesfreuden. In Heiligenstadt befand sich seit 1811 ein Heilbad, das Beethoven aufsuchte. Wie die Kur- und Schwimmbäder in Oberdöbling und Nussdorf zog es auch Gäste aus Ungarn, Tschechien und Deutschland an. Doch war es mühsam, von der Innenstadt in die rund 3 km entfernten Vororte zu gelangen. Generationen lang verkehrten nur Stellwagen ("Zeiselwagen") mit fixen Standplätzen und Tarifen auf den schlechten Straßen. Um die Jahrhundertmitte kamen, nach amerikanischem Vorbild, schienengebundene "Pferdeomnibusse" auf. Betrieben wurden sie von der "Wiener Tramway-Gesellschaft" (WTG), die 25 Straßenbahnstrecken plante. Die Eröffnung der ersten Linie, vom Schottentor bis zum Casino Zögernitz verzögerte sich. Um den Verkehr zu ermöglichen, musste das Mautamt an der Nussdorfer Linie umgebaut werden. Weil sich die WTG und die Finanzlandesdirektion nicht über die Finanzierung einigen konnten, versperrte das Amt die Durchfahrt mit Brettern. Die beiden bereitstehenden Musikkapellen waren daher ebenso zur Untätigkeit verurteilt, wie auch die 100 Pferde und 30 Wagen im dafür im Garten des "Casinos Zögernitz" errichteten Straßenbahnschuppen. … Die Fahrzeit auf dieser Verlängerung durch die Döblinger Hauptstraße zum "Casino Zögernitz" betrug zehn Minuten, wobei neben der Endstelle noch bei der Schegargasse – hier gab es eine zusätzliche Abstellhalle – und der Gatterburggasse Haltestellen eingerichtet wurden. Man einigte sich rasch und bald betrieb die WTG zwei von Döbling ausgehende Straßenbahnlinien. Eine führte zum Nord- und Nordwestbahnhof, die andere zweigte beim Franz-Josephs-Kai ab und verkehrte über die Ringstraße zur Rotundenbrücke.
In der Folge war es aber die "Neue Wiener Tramway-Gesellschaft", die mit Dampfstraßenbahnen Nußdorf und Heiligenstadt bediente. Da andere Vorortegemeinden keine Straßenbahnanbindungen erhielten, schlossen sie sich zu Interessensgemeinschaften zusammen und ließen Planungen durchführen. … Wirklich dicht wurde das Straßenbahnnetz in Döbling erst, nachdem die Gemeinde Wien die privaten Straßenbahnbetriebe übernommen hatte. Nicht nur der Bau neuer Strecken, sondern auch die Vielzahl der betriebenen Linien und die Größe des Betriebsbahnhofes in Grinzing zeugten davon.
Manche Relationen blieben dagegen ewige Projekte, auch wenn sie schon im Jahr 1903 vorgesehen waren. Auf einer solchen Linie wurde 1908 eine "gleislose Bahn", der O(berleitungs)-Bus von Pötzleinsdorf über Neustift am Walde nach Salmannsdorf betrieben, der bis 1939 verkehrte. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang das bisher erfolglose Engagement der Kulturinitiative Neustift/Salmannsdorf für eine Autobusverbindung zwischen den beiden Bezirksteilen, die nur zu Fuß (25 Minuten Weg) erreichbar sind.
Das detailgetreu recherchierte Buch gibt einen Einblick in 155 Jahre Straßenbahngeschichte und reicht bis in die Gegenwart. Man lernt den Pferdewagenbetrieb der WTG und der Neuen Wiener Tramwaygesellschaft (NWTG) ebenso kennen wie die Dampftramway nach Nussdorf und die Elektrifizierung durch die Städtischen Straßenbahnen. Man sieht die phantasievollen Liniensymbole, an deren Stelle 1907 ein logisch aufgebautes Zahlen- und Buchstabensystem trat. Auf Döbling entfielen die Zahlen zwischen 34 und 40. Man wird über zahlreiche Projekte, ehemalige Strecken und zahlreiche Gebäude informiert. Vergessen ist das Expedit, Sieveringer Straße - Grinzinger Allee - von dessen hübscher Jugendstilarchitektur eine Zeichnung existiert. Hingegen stellt die Endstation des 38ers in Grinzing bis heute ein Kuriosum dar, da sie unter den Arkaden des 1915 gebauten Beamtenwohnhauses situiert ist. Der Betriebsbahnhof Grinzing wurde 1902 errichtet, in den 1960 er Jahren zur Autobusgarage umgebaut und 2007 abgerissen. Man liest auch von Unfällen – deren erster sich 1875 ereignete – bis zur Katastrophe auf der Linie 39, die ein alkoholisierten Straßenbahnfahrer 1960 verursachte und die 19 Todesopfer forderte. Heute sind von den zahlreichen ehemals Döbling durchziehenden Linien nur mehr die Radiallinien "37" und "38" sowie die Durchgangslinie "D" der seit 11. Juni 1999 der Wiener Stadtverwaltung ausgegliederten "Wiener Linien" regelmäßig in Betrieb, schließt Roman Hans Gröger sein spezielles Jubiläumsbuch.