Casino Zögernitz#
Wien 19, Döblinger Hauptstraße 76
Das 19. Jahrhundert war eines der prägendsten für Wien: Napoleonische Kriege und die Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress (1814/15), Bevölkerungswachstum, gesellschaftliche Umbrüche, industrielle Revolution, Fall der Basteien und Bau der Ringstraße bestimmten die alte Zeit (die für viele keine gute war). Gegen Ende des Jahrhunderts (1890/92) wurden die jenseits des Linienwalls gelegenen Vororte eingemeindet. Da die barocke Befestigungsanlage zugleich die Verzehrungssteuergrenze bildete, war das Leben billiger als in den innerhalb gelegenen Vorstädten. Außerhalb konnte man gut und günstig essen und trinken. So entstanden eine Reihe populärer Gaststätten und Vergnügungsetablissements, wie der "Gschwandner" in Hernals (Wien 17).
In Oberdöbling (Wien 19) erkannte Ferdinand Zögernitz (18.10.1795-19.12.1854) die Situation. Er und seine Frau Theresia, geb. Zwinger (5.8.1798-22.3.1881) ersteigerten 1835 vom Grundherrn etliche Parzellen um 6.955 Gulden (ca. 178.000 €) . Das Areal zwischen Osterleitengasse und Pokornygasse hatte prominente VorbesitzerInnen: Vom 13. Jahrhundert bis zur Auflösung des Ordens 1782 waren es die Dominikanerinnen zum hl. Kreuz in Tulln. Nach ihnen hieß die Gegend des Wertheimsteinparks "Tullnerberg". Später Joseph Ferdinand Kestler, Edler von Rosenheim, der 1764 bis 1772 die Wiener Porzellanmanufaktur leitete. Von ihm erwarb Anton Frh. von Spielmann (1738-1813) die Grundstücke. Dieser, Ordensschatzmeister des Maria-Theresien-Ordens, Vizepräsident der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei und Musikmäzen, verkaufte es Kaiserin Maria Ludovika (1787-1816). Ihr Witwer Kaiser Franz II./I. (1768-1835) ließ den Grund parzellieren. Den größten Teil erwarben der Besitzer der Herrschaft Oberdöbling, Heinrich Anton von Würth (1789-1875) und seine Frau Theresia.
Schon nach zwei Jahren war das Casino Zögernitz, bestehend aus Caféhaus, Gastwirtschaft Speiseräumen und Ballsaal fertig. Es entwickelte sich rasch zu einem der beliebtesten Veranstaltungsetablissements Alt-Wiens. Ferdinand Zögernitz beauftragte den Döblinger Unternehmer Benedikt Schegar (1801-1861) mit dem Bau. Schegar war nicht nur Baumeister, u. a. von Großprojekten wie einer Kaserne in Klosterneuburg, er hatte auch ein Patent auf Mosaik-Parkettböden und wirkte als Immobilienmakler. Schegar, der zu den reichsten und angesehensten Döblingern zählte, trug zur Verschönerung des Ortes bei und galt als sehr sozial. Im 19. Bezirk ist eine Gasse nach ihm benannt.
Möglicherweise wirkte Vinzenz Grünauer beim Entwurf des Ballsaales mit. Von diesem Architekten ist nicht viel bekannt, doch wird ihm der Konzertsaal der Klavierfabrik Streicher auf der Landstraße zugeschrieben. Die Akustik des Saales im Casino Zögernitz war berühmt. Hier konzertierten die Stars der alt-Wiener Unterhaltungsmusik. Erstmals 1930, seit 1967 regelmäßig, fanden Schallplatten-Aufnahmen klassischer Musik statt. Nikolaus Harnoncourt wirkte hier mit seinem „Concentus Musicus“ ebenso wie die Wiener Sängerknaben und bekannte OpernsängerInnen. Nach der Revitalisierung im 21. Jahrhundert präsentiert sich der Saal wie um 1865.
Familie Zögernitz
Ferdinand Zögernitz war der Sohn des Bauern Johann Georg Zögernitz und dessen Frau Rosina, geb. Sulzer in Loosdorf 29 (Niederösterreich). In der Inneren Stadt betrieb er erfolgreich ab 1825 "Zögernitz’s Bierhaus im Melker Hof", Schottengasse 3, und besaß 1832-1839 das Haus Am Hof 11 ("Zur goldenen Kugel"), wo er vermutlich auch das Gastlokal innehatte. Zögernitz zählte zu den bedeutendsten Gastwirten des Wiener Biedermeier. 1850 ernannte ihn der Verein der bürgerlichen Bierwirte zum Obervorsteher. Seine Ehe mit der Köchin Theresia, geb. Zwinger wirkte sich wohl positiv auf das Geschäft aus. Sie war die Tochter des bgl. Seilermeisters Georg Zwinger und seiner Frau Theresia, geb. Fleischherr. Der Wirt und die Köchin heirateten am 16.5.1820 in Wien-Lichtental. Der "bürgerliche Gastgeber und Hausbesitzer" Ferdinand Zögernitz starb 60-jährig im Melkerhof. Seine Frau, laut Todesanzeige Realitätenbesitzerin, überlebte ihn um 27 Jahre.
Das Ehepaar hatte fünf Kinder:
(1) Theresia Zögernitz (23.4.1821-8.8.1895). Sie heiratete am 31.8.1842 in Poysdorf (NÖ) Michael Johann Laun (1815-1871, Suizid wegen finanzieller Probleme) bgl. Golddrahtzieher, Kaffeesieder, Lohnkutscher.
(2) Ferdinand Johann Zögernitz (1.12.1822-10.5.1888). Er leitete das Casino 1846-1851, ehelichte am 4.7.1848 in St. Peter Maria Brunner (1825-1883), die Tochter des Tischlers Jakob Brunner und dessen Frau Katharina, geb. Eisenbeck. Ferdinand Johann und Maria Zögernitz starben in ihrem Haus Wien 8, Alser Straße 43.
Ferdinand Johann und Maria Zögernitz hatten fünf Kinder: Ferdinand (1849-?); Maria (1850 -?), sie heiratete 1867 den Kaffeesieder Johann Hembsch (1842 -?); Karl Alois (1853-1871, Kontorist); August Franz (1857-1936, "der älteste Beamte des Niederösterreichischen Bauernbundes") und Pauline (1863-1902), verehel. Edle v. Buhs.
Von den Zwillingen Anna und Johanna Zögernitz (3) und (4) ist nur bekannt, dass sie am 16.5.1824 in St. Stephan getauft wurden und ihre Eltern damals in der Bäckerstaße 2 wohnten.
(5) Maria Zögernitz (1.6.1827-24.4.1908). Sie heiratete 1844 den Handlungskommissär Leopold Wahser (1818-vor 1850) und, jung verwitwet, am 11.5.1850 in der Schottenkirche den Handlungsgesellschafter Franz X. Globotschnig (1813- vor 1859) aus Pischelsdorf (Steiermark).
Maria und Franz X. Globoschnig hatten sechs Kinder: Maria (1851- ?); Hermine (1852-?); Theresia (1854-1854); Franz (1855-?), Helene (1858-1900) und Stephanie (1859-?)
Die (vermutlich 1895 angelegte) Familiengruft befindet sich auf dem Döblinger Friedhof, Gruppe 10, 13.
Casino
Die Bezeichnung Casino ("kleines Haus"). kommt aus dem Italienischen Das älteste, das Casino Pio, befindet sich in den vatikanischen Gärten. Im 18. Jahrhundert erreichte der Bautyp Wien, wo sich Herren (Adelige, Offiziere, Doktoren, Beamte) unter ihresgleichen vom Frühstück bis spätabends aufhalten konnten. Im 19. Jahrhundert wurden Casinos zu angesehenen Vergnügungsstätten für jedermann. Bürger trafen sich zum Kartenspielen und Politisieren, ebenso waren weibliche Gäste im Casino erwünscht. Man nannte es auch Etablissement, Lokalität oder Restauration. In Wien gab es rund 30 davon, das Zögernitz blieb als einziges erhalten.
Casino Zögernitz
Ferdinand Zögernitz ließ sich - außer Konzerten, guter Küche und "echten Weinen" - einiges einfallen, um Gäste aus der Stadt nach Oberdöbling zu locken. Schon seit 1811 bestand ein Verkehr mit Stellwagen, die nun hier hielten. Fuhrwerke des 1829 gegründeten Fiakervereins bekamen bei seinem Lokal einen Standplatz. 1870 fuhr die erste Straßenbahn Wiens zum Casino. Bis 1902 war es die Endstation der Pferdestraßenbahn, die sechs Mal täglich kam. Eine Fahrt kostete 30 Kreuzer, was dem Preis von drei Semmeln entsprach. Die Remise befand sich im Gasthausgarten.
Das Casino Zögernitz bot Unterhaltungsmusik höchster Qualität. Zur Eröffnung spielte Johann Strauss I. (1804-1849), der als Hauskapellmeister in den folgenden beiden Jahren zweimal wöchentlich Soireen veranstaltete. Johann Strauss II. (1825-1899) organisierte 1850 das Fest "Prunkszene aus der Residenz" mit einem großen Ball, imposanter Illumination und Feuerwerk. Er komponierte zu diesem Anlass den Walzer "Johannis-Käferln" (op. 82). Auch Josef Strauss (1827-1870) und Eduard Strauss I. (1835-1916) gastierten mit ihren Orchestern. 1871 wurde der Komponist Carl Michael Ziehrer (1843-1922) Hauskapellmeister. Zuvor spielte Joseph Lanner (1801-1843), der mit dem Fleischhauer Johann Georg Lahner (1772-1845) befreundet war, im Festsaal. Die Wiener nannten das Zögernitz Würstelburg, weil es der beste Abnehmer von Lahners "Original Wiener Frankfurter Würstel“ war, und sie witzelten "Der Lanner für's Herz und der Lahner für'n Magen".
Wenige Jahre nach der Eröffnung des Casinos kauften Ferdinand und Theresia Zögernitz von der verwitweten Theresia v. Würth ein angrenzendes Grundstück um umgerechnet ca. 83.000 €. Sie ließen ein zweistöckiges Hotel mit Stallungen errichten und öffneten den Park, in dem Gartenfeste stattfanden, für das Publikum.

Wenige Besitzer, viele Pächter
Es ist bemerkenswert, dass das Casino Zögernitz in den rund eineinhalb Jahrhunderten seines Bestandes von nur drei Familien besessen, aber meist verpachtet wurde.
Ferdinand Johann Zögernitz leitete das Casino 1846-1851, noch zu Lebzeiten seines Vaters Ferdinand. Wie dieser war er ein erfolgreicher Gastronom, der auch das Bierhaus im Melkerhof und das Café im Kaisergarten betrieb. Nach seinem Ableben (1888) wollten sene Schwestern Theresia Laun und Maria Globotschnig sowie seine Kinder August Zögernitz, Maria Hembsch und Paula v. Buhs den Besitz verkaufen. Sie fanden lange keine Interessenten. 1896 pachtete der renommierten Cafetier Franz Diglas das Casino. Er hatte das erste Gasthaus im Türkenschanzpark eröffnet und besaß zwei Lokale in Döbling. Das Zögernitz betrieb er mit seinen Söhnen Franz und Hans Diglas, ebenfalls bekannte Restaurateure.
1903 kauften Moritz, Wilhelm und Karl Kuffner (von Dioszegh) das Casino. Die Industriellenfamilie besaß außer ihrer Brauerei, Spiritus- und Presshefefabrik in Ottakring in der nahen Hardtgasse 24 eine Brauerei. Franz Diglas jun. blieb bis 1912 Pächter des Casinos. Dort erfolgten größere Umbauten, wie Änderungen des Festsaals, Errichtung einer Kegelbahn, Bau des (noch erhaltenen) Springbrunnens im Garten.
1913 wurde das Gastronomen-Ehepaar Alfred und Maria Stegbauer Pächter und 1919 Besitzer des Casinos. Noch zu Zeiten der Kuffners ließen sie das Haus durch deren Baumeister Leopold Miedel, einen Schüler Theophil Hansens, adaptieren: Die Fassade wurde verändert (Gauben eingebaut), Gartensäle und Küche umgestaltet, die Haustechnik modernisiert und eine neue Kegelbahn errichtet. Das Entree erhielt 1913 durch einen (noch erhaltenen) Keramikbrunnen einen künstlerischen Blickfang. Er stammte von der Fliesenfirma Schwadron, der bedeutendsten ihrer Zeit, die das Diana- und Amalienbad ausgestattet hatte. Nach Beschädigungen im Ersten Weltkrieg bauten Alfred und Maria Stegbauer ihr Haus wieder auf und richteten im Garten ein Freiluftkino ein. Bis zum Tod Alfred Stegbauers (1936) folgten weitere Umbauten: Einbau einer Galerie im Festsaal, neuer Restaurantsaal, Veranda im Kaffeehausgarten.
1940-1945 verwendete die Wehrmacht das Gebäude. 1946/47 nützte es die US-Army als "Manhattan Casino". In den Nachkriegsjahren ließ Rudolf Stegbauer im Obergeschoss Hotelzimmer errichten und den Festsaal renovieren. Seit 1976 fungierte die "Rudolf Stegbauer KG" als Besitzer. Rudolf Stegbauer starb 1984. Die letzten Mitglieder der Familie vererbten das Casino der Erzdiözese Wien.
2008 stellte das Bundesdenkmalamt das inzwischen ruinöse Gebäude unter Schutz. Im selben Jahr erwarb der Immobilienentwickler Hermann Rauter die Liegenschaft. 2009 bis 2014 fanden in der "Residenz Zögernitz" als Zwischennutzung Events statt, nachdem der Saal als Veranstaltungsstätte für 245 Personen genehmigt worden war. Hermann Rauter ließ - trotz Widerstand einer Bürgerinitiative - 2017 bis 2020 auf dem Grundstück 48 Eigentumswohnungen zwischen 50 und 270 m² errichten. So konnte seine Residenz Zögernitz Immobilien GmbH, Wien 1, die Revitalisierung des Casinos - (8 Mio €) - finanzieren. 2021 nahm das Restaurant "Kulinarium" den Betrieb auf. Das Interior Design entwarf der Star-Architekt Denis Kosutic. Seit 2025 ist Andreas Spindler Küchenchef.
2023 eröffnete das Museum "House of Strauss". Es ist ein Museum, wie man es nicht besser machen kann: informativ, seriös und mit dezenter modernster Technik. Angebote wie Konzerte und das Kulinarium vervollständigen das "Erlebnis für alle Sinne".
Quellen
Döbling. Eine Heimatkunde des XIX. Wiener Bezirkes. S. 170 f.; Judith Mayr: Das Casino Zögernitz (Diplomarbeit TU Wien 2018); Österreichisches Biographisches Lexikon; Wien Geschichte Wiki; wien.ORF.at
Taufe Ferdinand Zoegernitz
Tod Ferdinand Z.
Hochzeit Ferdinand und Theresia Z.
Taufe Theresia Zwinger
Tod Theresia Zögernitz-Zwinger
Taufe Theresia Zögernitz-Laun
Tod Theresia Zögernitz-Laun
Hochzeit Theresia Zögernitz und Michael Johann Laun
Taufe Michael Johann Laun
Tod Michael Laun, Golddrahtzieher
Suizid M.Laun
Taufe Ferdinand Johann Zögernitz
Tod Ferdinand Johann Zögernitz
Trauung Ferdinand Johann Zögernitz und Maria Brunner
Taufe Maria Brunner
Tod Maria Zögernitz-Brunner
Taufe Zwillinge
Taufe Maria Zögernitz-Wasser-Globotschnig
Tod Maria Globotschnig
Trauung Maria Wasser und Franz X. Globotschnig
Siehe auch
House auf Strauss