Das Unikat#
von Martin KruscheDer Steyr 100, eine Konstruktion von Karl Jenschke, markiert nicht nur den Auftakt der Stromlinien-Ära in Österreichs Automobilindustrie, er ist auch ein wichtiger Vorbote des Themas Volkswagen. In der Vorkriegszeit war das ja keine Automarke, sondern ein Genre. Produzenten hatten überlegt, welche Art Automobil so preiswert daherkommen könnte, daß sich breitere Bevölkerungskreise ein eigenes KFZ leisten könnten.
Freilich gab es vor dem Steyr 100 schon Stromlinienfahrzeuge, wie etwa den Tropfenwagen von 1921, der aber eine Kleinserie von etwa 100 Einheiten blieb. Jenschkes Steyr ist da eine andere Kategorie.
Mit dem Expeditionsfahrzeug von Max Reisch wird genau dieses Konzept freilich unterlaufen. Positiv gedeutet: Die technische Basis erwies sich als tauglich, ein Unikat abzuleiten, das sich für die Zwecke von Reisch eignete. Robust, standfest, kompakt. (Und alles andere als stromlinienförmig.) Sozusagen ein früher SUV.
Die Geländelimousine war damals freilich kein Thema, das Sport Utility Vehicle noch nicht am Horizont, denn wo die Welt per Automobil erkundet werden wollte, gab es ohnehin mehr Gelände als Straßen.
Peter Reisch verwaltet das komplexe Archiv, mit dessen Inhalten die Reisen seines Vaters dokumentiert sind. Unter den Archivalien befindet sich auch ein Schreiben des Karosseriebauers Ferdinand Keibl. Ursprünglich ein Sattler und Wagenbauer in Wien, also ein Produzent aus der Kutschenwelt. Ein klingender Name, der auch im Flugzeugbau vorkommt.
In einer Online-Enzyklopädie der Karosseriebauer sieht man, daß Keibl Automobile der Oberliga eingekleidet hat: (coachbuild.com) Das reicht von Austro-Daimler und Bugatti über Rolls Royce zu Hispano Suiza und Isotta Fraschini, Laurin & Klement nicht zu vergessen.
Wie man dort ergebenst dankend bestätig und um einen gütigen Besuch bittet, mag als Hinweis verstanden werden, daß man an den Umgang mit sehr anspruchsvoller Kundschaft gewohnt war. Der „in Frage kommende Aufbau“ wurde also nicht vom Karosseur aus dem Ärmel gezogen, sondern von Max Reisch konzipiert.
Plausibel, denn seine konkreten Reiseerfahrungen waren zu jener Zeit noch nicht als allgemeines Wissen in der Fahrzeugwelt verfügbar. Entsprechendes Know how wurde eben durch solche individuellen Unternehmungen generiert und flossen in jenes Fachwissen ein, das Automobilproduzenten auch in großen Rennen erwarben.
Um ein Beispiel zu nennen, die Pariser Zeitung Le Matin veröffentlichte im Jänner 1907 die Aufforderung, in einer Automobilfahrt von Peking nach Paris zu beweisen, was mit dieser Technologie möglich sei.
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