Flüstern#
...um besser gehört zu werden#
von Martin KruscheWir sind uns an jenem Abend, der als Mittagessen begonnen hatte, völlig einig geworden. Wenn der Stand der Dinge bei vielen Menschen ein Gezeter und Gezänk auslöst, ein Lärmen, bei dem Leute einander ins Wort fallen, müssen wir eventuell flüstern, um deutlich verstanden zu werden. Dieses Flüstern soll inhaltlich fundiert sein. Die grundlegende Anforderung ist eigentlich simpel. Ich kann mich zu Angelegenheiten äußern, wenn ich mich mit der Sache vertraut gemacht habe. Ohne jede Kenntnis bin ich mit Fragen besser dran. Das gesellt sich zum Flüstern. Dieses: „Was ist eine gute Frage?“
Als wir jüngst unter der alten Linde saßen, beschattet, da die Sommersonne jetzt ihre ganze Kraft zeigt, ließen sich einige Klarheiten überprüfen und bestätigen. Inge Wolfmayr ist einerseits erfahrene Lehrerin, andrerseits Dozentin am Ausbildungszentrum für Sozialberufe der Caritas in Graz.
Franz Wolfmayr, vormals Lehrer, war lange Zeit Präsident und ist heute Senior Advisor des EASPD Brussels. (Das Kürzel steht für European Association of Service Providers for Persons with Disabilities.)
Beide sind seit vielen Jahren damit befaßt, in Theorie und Praxis auszuloten, wie menschliche Gemeinschaft und deren Ökonomie gestaltet sein sollten, damit diese Gemeinschaft möglichst niemanden ausschließen muß. Dabei geht es überdies um die Sicherstellung von Verteilungsgerechtigkeit.
Das sind einige der Rahmenbedingungen für eine dritte Qualität, einen achtsamen Umgang miteinander. Niemand muß erst Essays lesen, um eine Vorstellung zu bekommen, was die Verletzung der eigenen Würde sei. Wir machen schon als Kinder unmißverständliche Erfahrungen, um zu wissen, was damit gemeint ist.
Wenn ich daher mit Inge und Franz derlei Dinge erörtere, habe ich erfahrene Gegenüber, die seit Jahrzehnten ihre Theoriebildung und die laufenden Diskurse an der pädagogischen Praxis überprüfen, auch an realen betriebswirtschaftlichen Anforderungen.
Eben solche Zusammenhänge, in denen Aktion und Reflexion beieinandergehalten werden, sind für mich unverzichtbar, weil ich meinen Weg in die Kunst vor rund vierzig Jahren mit einem Verständnis subkultureller Verfassungen begonnen hab. Dabei ist es geblieben, da ich mich in all den Jahren nicht an Institutionen gewöhnen konnte.
Entgegen der spießbürgerlichen Klischees vom Künstler als bohemehaftem Freak, der seine Existenz über das Brechen von Konventionen entfaltet, hat mich gerade in meinem romantischen Zugang zum Künstlerdasein immer eine bestimmte Vorstellung von Professionalität interessiert, die sich in solchem Sinn bewährt: betriebswirtschaftlich tragfähig, ohne dabei auf Kosten anderer zu expandieren.
In meinem Fall war das nie ein moralisches Konzept, sondern eine Frage nach Folgerichtigkeit. Was wird wovon bewirkt? Ich vermute, genau das hat mir vor wenigstens dreißig Jahren ein gemeinsames Themenfeld mit den Wolfmayrs und einigen anderen inspirierten Menschen aufgemacht.
Seither ist die Kette jener Momente nie abgerissen, in denen wir uns über offene Fragen verständigt haben. Das hat eine ganz wesentliche politische Dimension. Politik ist ja nicht bloß das, was Funktionstragende der Politik tun. Erst wenn dieses Tun in Wechselwirkung mit dem Gemeinwesen (Polis) kommt, wird Politik daraus.
Ein Aspekt, nein, eine Bedingung, die derzeit offenbar etwas in Vergessenheit geraten ist. Darum dieses Gezänk und Geplärre, wo Menschen aus verschiedenen Lagern einander anbrüllen, um sich gegenseitig nach Kräften etwas beizubringen, was anscheinend nicht gehört werden will. Eine etwas gespenstische Situation. Nun sind wir also übereingekommen, daß wir herausfinden möchten, was ein Flüstern bewirkt, wenn rundum gebrüllt wird.