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Die Praxis des Kontrastes#

von Martin Krusche

Vor mehr als einem Jahrzehnt waren sie junge Rabauken, aufschießende Kinder mit eigenwilligen Frisuren. Die Pizzeria, in der wir uns öfter einfanden, besteht nach wie vor. Meine nächtlichen Gänge haben sich dann durch diese Kerle verändert, weil es mir unpassend erschien, daß ich dort meine Drinks habe, wo sie sich gerade im Nachleben erproben. Ich mußte mir also ein paar andere Plätze suchen.

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Eine etwas übertriebene Pose, da ich von den meisten ihrer lebhaftesten Nachtstunden ohnehin nichts wußte. Als die Burschen zu Teenagers herangewachsen waren, hielt sich meine Wißbegier sehr in Grenzen. Ich hatte eine simple Regel an die Wand geschrieben. So lange wir keinen Arzt brauchen oder die Polizei vor meiner Tür steht, ist es mir wahrscheinlich egal.

Ich fand es ganz bemerkenswert, wie an manchen Stellen reagiert wurde, als klar schien, daß sie Arbeiter werden. Hackler. Keine Matura. Kein Studium. Keine Dissertation. Ein geistiges Leben im Freistil. Ich finde es amüsant, daß man annehmen könnte, wir seien Teil einer „bildungsfernen Schicht“. Das ist ja eine ziemlich abschätzige Wortwahl. (Ich fand all diese radikalen Aufsteiger mit ihrem Schweißgeruch der Ambition immer irgendwie unangenehm.)

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Mein Vater Hubert war ein Kriegsinvalide. Eisernes Kreuz. Nahkampfspange. Goldenes Verwundetenabzeichen. (Das ist kein Renommee.) Mein Großvater Richard war ein Steinmetz und ein ganz guter Zimmermann. Natürlich macht einen das nachdenklich. Daraus erklärt sich vielleicht mein Beruf, der immer noch vielen Menschen als anrüchig erscheint.

Nachdenken als Profession, das steht seit Generationen unter dem Urteil „Müßiggang ist aller Laster Anfang“. Freilich haben allgemeine Urteile keine tiefgehende Relevanz. Aber darüber muß ich mich mit den Burschen nicht auseinandersetzen, wenn wir uns in der vertrauten Pizzeria treffen, wo die zwei Kerle heute noch bestellen, was sie schon vor mehr als einem Jahrzehnt bestellt haben.

Wir reden über das Leben, über die Liebe, über die Arbeit, über Auslandserfahrungen und Inlandsereignisse. Das brachte mit einen Dollarschein als Souvenir ein. („Ich hab noch mehrere davon.“) Wir sehen uns Bilder auf ihrer Haut an. Alles erzählt eine Geschichte.

Als sie noch sehr viel kleiner waren, hatten wir hier einmal erörtert, was das Alter mit mir machen werde. Damals beschlossen die beiden, extra für mich eine Firma zu gründen, die dann da sei, um mich zu Hause regelmäßig mit italienischem Essen zu versorgen. Der Lieferwagen würde vergoldete Stoßstangen haben und erhielte eine aussagekräftige Aufschrift: „Wir bringen die Soße!“

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Sie sehen, ich muß mir um den Rest meines Lebens keine Sorge machen. Wenn es dereinst um sein wird, sollen die Burschen ein Fest feiern, bei dem eventuell italienisches Essen auf den Tisch kommt und bei dem nicht damit zu rechnen ist, daß sie nüchtern bleiben. Vielleicht wird einer diese Worte in die Tischplatte ritzen: „Der hat gelebt!“