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Kleinräumig vivaldisieren#

(Kleinkunst als soziokultureller Angelpunkt)#

von Martin Krusche

Man muß schon sehr gut bei Stimme sein, um selbst einen kleinen Raum damit zu füllen. Marion Gartlgruber verfügt über so eine Stimme, der man die Erfahrung anhört. Und sie spielt die erste Geige bei „Whiskey und Vivaldi“. Die Formation gastierte eben im Gleisdorfer „Wosnei x“.

„Whiskey und Vivaldi“ im Gleisdorfer „Wosnei x“. (Foto: Martin Krusche)
„Whiskey und Vivaldi“ im Gleisdorfer „Wosnei x“. (Foto: Martin Krusche)

Das ist ein Geschäft in einer Passage im Zentrum der Stadt. Vintage Fashion, Designer-Stücke, Graphik. Das ist daher auch durch Lage und Dimension ein vorzüglicher Ort für Kleinkunst. Der Begriff ist vielleicht etwas aus dem Gebrauch gekommen. Das mögen übliche Konjunkturen im kulturellen Geschehen sein. Es illustriert aber auch Fokus-Verschiebungen.

So macht es beispielsweise einen Unterschied, ob Musikformationen bloß geholt werden, damit der Geschäftsumsatz raufgeht, oder ob die Einladungen einer persönlichen Passion folgen. Intentionen teilen sich mit. „Whiskey und Vivaldi“ ist ein Quintett, das einen quer durch Europa führt. Klezmer, Swing, Tunes der Fahrenden, Momente aus dem großen Balkan-Songbook…

Wer sich dieses Europa als ein Konglomerat gut eingezäunter Nationalstaaten vorstellt, sollte alles zurückgeben, was nicht von der eigenen Ethnie stammt. Das wäre dann eine Art Knast mit Internetverbindung.

Bevor Zoran Blagojevic an sein Akkordeon geschnallt wurde, haben wir darüber geplaudert, ob dieses Instrument auf dem Balkan das Klavier ersetzt hat, oder ob es eher den Dudelsack ablöste. (In Österreich war der Dudelsack einst fixer Bestandteil unserer Volksmusik, mußte schließlich der Geige weichen.) Falls Sie nicht gerade zu einem kleinen Kreis gehören, der einen Backstage-Paß hat, können Sie in großen Häusern keinesfalls mit den Akteuren plaudern. Im "Wosnei x" geht das.

Derlei ist ein wesentlicher Aspekt des Kleinkunst-Genres. Diese Magie, der man so nahe kommen darf. Das hat auch eine physische Dimension. Im eigentlichen Sinn: sehen, wie es gemacht wird. Das ist eine völlig andere Qualität, als sie auf große Distanz, von hohen Bühnen herab, stattfindet. Die Club-Atmosphäre steht im erheblichen Kontrast zum Großereignis.

Das hieße auf Gleisdorf bezogen: das Forum Kloster hat seine eigene Dynamik und seine regionale Funktion. Was in Club-Dimension geschieht, folgt ganz anderen Prinzipien. Sowas bedeutet eben, daß die reale soziale Begegnung in überschaubaren Zonen andere Kommunikationsformen möglich macht, als die Halle, der Saal.

So auch die mobile Zapfstation, an der Tino Pölzer ausgab, was er in seinem regionalen Betrieb braut. Sein Affenberger Bier ist ein weiterer Beleg dafür, wie die Braukunst wieder in kleineren Zusammenhängen angekommen ist, aus dem Industriellen heraustreten konnte. Reale soziale Begegnung! Aktuelle Veränderungsschübe werfen die Frage nach der Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft auf. Wer jetzt schon mit „Lösungen“ hausiert, hat vielleicht die aktuellen Fragen nicht verstanden. Derzeit sind zahllose Gespräche zu führen, die durch nichts ersetzt werden können.

Bierbrauer Tino Pölzer an seiner mobilen Schank. (Foto: Martin Krusche)
Bierbrauer Tino Pölzer an seiner mobilen Schank. (Foto: Martin Krusche)

Dazu mögen top down organsierte Informationsveranstaltungen allerhand beitragen. Doch ich hab erst kürzlich wieder erlebt, daß Profi-Personal der Region eben projektbezogen und ergebnisorientiert denkt. Das bedeutet oft, es werden bestimmte Ergebnisse angestrebt, weil die formuliert werden mußten, um ein Projektbudget abzuholen.

Merken Sie, worauf ich ziele? Wenn wir nun schon in der Vierten Industriellen Revolution stecken, noch dazu seit vielen Jahrzehnten in einer völlig globalisierten Wirtschaft, leben wir ein derart komplexes System, da müßte permanent an tausenden Stellen erörtert werden, wie sich Menschen darin zurechtfinden, was sie gerade wissen und können.

Dieses laufenden Ergründen des Status quo innerhalb eines sozialen Mikroklimas, das schafft keine Institution. Das muß bottom up passieren. Da können dann Top down-Konzepte ansetzen, um begleitend und verstärkend zu wirken. Genau! Das sind also erst einmal kulturelle Agenda, die an der Basis bearbeitet, von der Basis her geleistet werden müssen. Zurück zu „Whiskey und Vivaldi“.

Eine kleine Reise durch europäische Musiken, ergänzt um einige Momente aus Übersee, das läßt einem alle Freiheit, ob man ganz emotional in so einer Situation bleiben möchte, ob man auch auf eine andere, etwa rationale Ebenen pendeln möchte. Und im Club-Rahmen findet man dazu jederzeit die passenden Gegenüber, zum Tanzen, zum Reden, zum An-der-Schank-hängen, wie es beliebt.

Debatten haben Platz, ohne sich aufzudrängen. Immer wirkt auch die Welt herein, weil uns eine mediengestützte Info-Sphäre umgibt, in der wir laufend lernen müssen, wie wir Kopf und Herz vor einem völligen Data Overflow schützen. Die Musiken sind dabei weit wichtiger, als man vordergründig annehmen möchte, weil sie so mühelos über kulturelle und ideologische Grenzen hinwegkommen. Also „Whiskey und Vivaldi“ mit diesem kontrasteichen Repertoire.

Wir leben mit Brüchen, an denen einerseits von „echter Volksmusik“ gesprochen wird, andrerseits ein Produkt der Unterhaltungsindustrie (wie Andreas Gabalier) als Repräsentant der Volksmusik gilt. Das ignoriert völlig, wie bedeutend und facettenreich, aber auch wie musikalisch hochkarätig vieles an Volksmusik ist.

Wie wird’s gemacht? Handwerk und Emotion werden in der Club-Atmosphäre greifbar. (Foto: Martin Krusche)
Wie wird’s gemacht? Handwerk und Emotion werden in der Club-Atmosphäre greifbar. (Foto: Martin Krusche)

Also: der Club und der Konzertsaal als komplementäre Systeme. Das wird nicht allerorts verstanden. Eine große Hütte muß mit einem Programm bespielt werden, das viele Menschen anzieht. Das ist aus ökonomischen Gründen klar. Das kann überdies ein paar günstige soziale Effekte bringen. Publikumsfrequenz, geschäftlicher Umsatz etc. Die kulturpolitischen Implikationen kennen wir nicht mehr, weil uns diesbezügliche Debatten völlig abhanden gekommen sind.

Wenn aber Kultur nicht bloß als Teil von Stadtmarketing verstanden wird, sondern als ein Genre, ohne das Zukunftsfähigkeit nicht erlangt werden kann, wäre die Politik dringend gefordert, ihre aktuellen Inhalte zu überprüfen. Woher ich das weiß? Ich geb Ihnen einen Hinweis. Europa hat vor einer Weile Erfahrungen gemacht, die das illustrieren.

Als Erzherzog Johann von Österreich im Jahr 1816 James Watt besuchte und sich die damals neuen Dampfmaschinen erklären ließ, war England die führende Industriemacht der Welt. Die USA und Deutschland überholten die Briten freilich im Laufe des 19. Jahrhunderts. Das gelang in Deutschland mit einer gigantischen Bildungsoffensive. Die Regierung investierte in alle nur denkbaren Kultureinrichtungen, in Gymnasien, Bibliotheken, Konzertsäle, Polytechnika…

Sehen Sie sich um. Wo Österreich derzeit investiert, ist kaum die Höhe der Zeit zu erreichen. Das wirft einigen Diskussionsbedarf auf. Es sollte klar sein, mit Public Relations wird es nicht zu machen sein. Da muß an der Basis etwas passieren; und zwar weit mehr, weit geistreicher, als es derzeit der Fall ist. Wie? Ich sag ja, wir haben Diskussionsbedarf. Die Club-Atmosphäre ist sicher ein sehr geeigneter Rahmen für Beiträge zu diesen Aufgabenstellungen.