Automotive 1: Im Wandel#
(Auftakt in Hofstätten)#
von Martin Krusche
Entlang der Zapfsäulen tun sich verschiedene Parkbuchten für PKW auf, dahinter öffnet sich der große Lastwagen-Parkplatz. Gegenüber einer der zwei Frächter, die hier zwischen Schiene und Straße liegen. Mein Besucher hatte gefragt, ob ich einen Platz mit Blick auf die belebte Straße wüßte. Hier sind wir also. Wir ticken beide von der Art, daß wir im Freien immer ein Ohr auf die nächste Fahrbahn ausgerichtet haben. Wer uns kennt, übt gewöhnlich Nachsicht, daß wir Gespräche kurz unterbrechen, wenn ein markanter Sound auf eine anrollende Rarität verweist. Auch diesmal hab ich die Kamera griffbereit. Das kleine Kästchen hochziehen, während dieser Bewegung einschalten, die Hüfte drehen und über das Objektiv hinausschauen, was daherkommt, voilá: ein Vorkriegs-BMW.
Wo sich das zugetragen hat? In Hofstätten an der Raab haben sich agrarische Welt und Mobilitätsbranche verzahnt, wobei auch Momente eines urbanen Lebens Platz fanden. Dazu gehört diese Raststation mit weitläufigen Parkplätzen und einem feinen Restaurant mitten in der Oststeiermark.
Ich hätte also keinen besseren Platz finden können, um mich mit Norbert Gall zu treffen. Es ging um Fragen, was derzeit interessante Punkte seien, wenn man die Entwicklung der Industrie betrachtet. Dabei selbstverständlich ein besonderes Augenmerk auf unsere Mobilitätsgeschichte.
Wir fanden in der Sommerhitze einen schattigen Platz mit freier Sicht auf die Bundesstraße. Das bedeutet, wir konnten – wie eingangs erwähnt – während unserer Konferenz im Auge behalten, was draußen vorbeirollte. Der kleine BMW Dixi, eine Lizenzversion des legendären Austin Seven, ist bloß ein Beispiel. Auch die alte Touring-Version des Zweier-BMW auf dem Parkplatz fanden wir inspirierend.
Zwei Petrol Heads, denen sonntags fad ist? Keineswegs! Norbert Gall ist „Head of Marketing for Toyota and Lexus in Austria“; so heißt das formell. Davor war er mit Lastwagen (DAF) befaßt. Das hatte er nach seinen Aufgaben als Brand Manager von Abarth Austria übernommen. Und heute eben der Welt größter Automobilproduzent. Eine Hintergrundfolie dieser Profession ist Galls langjährige Beschäftigung mit klassischen Autos.
Damit hatte ich also einen sehr sachkundigen Gesprächspartner für den Auftakt unseres Projektes „Vom Pferd zum Sattelschlepper“, welches wir eben in Hofstätten etablieren konnten. Das wird im Kern von Bürgermeister Werner Höfler getragen. Damit bekommt das Thema seine speziellen Konturen.
Höfler ist aktiver Bauer und daher mit der agrarischen Welt aus eigener Anschauung bestens vertraut. Ein wichtiger Aspekt, denn die ganze Region hat solche Wurzeln in den einstmals eher kleinen Selbstversorgerwirtschaften, die kaum für den Markt produziert haben, außer über Sonderwirtschaften wie etwa Obst oder Hopfen.
Nun ist aber in Höflers Gemeinde auch die Mobilitätsbranche sehr markant vertreten. Vom Traktorzentrum über den Autohändler bis zum Speditionswesen, das teils international agiert, teils regional die nahen Industriebetriebe beliefert. Außerdem ist in Hofstätten der Motorsport zuhause.
Zugleich steht dort die lokale Tierklinik für den sozialgeschichtlichen Umbruch, in dem etwa das Pferd vom teuren Zugtier, vom „Hafermotor“ der alten Wirtschaft, zum sportlichen Sonderereignis für die menschliche Freizeit wurde. Da saß ich also am passenden Ort mit einem Experten. Erst kürzlich hatte mich Altmeister Manfred „Hasi“ Haslinger in seinem neuen Prius mitgenommen, als wir die Lehrwerkstatt von Magna Steyr im Werk Graz-Thodorf besuchten. Bei der Gelegenheit meinte er unterwegs: „Die haben jetzt zehn Millionen davon gebaut. Die wissen, wie es geht.“
Ich mochte es nicht glauben, aber Gall bestätigte: Toyota hat vom Prius weltweit über zehn Millionen Einheiten auf den Markt gebracht. Dazu kommen Details wie das Wiener Prius-Taxi mit einer Million pannefrei gefahrenen Kilometern. Das interessiert mich, weil mich die Zukunft des Automobils im Privatbesitz als Basis individueller Massenmobilität beschäftigt.
Pardon! Das klingt ein wenig verschachtelt. Also: Individuelle Mobilität einer ganzen Bevölkerung, gestützt auf den Privatbesitz von Kraftfahrzeugen, derzeit hauptsächlich mit Verbrennungsmotoren. Das ist ein junges Phänomen und hat schon ein erkennbares Ablaufdatum. Wir erinnern uns heuer, daß vor genau 60 Jahren der Steyr-Puch 500 präsentiert wurde, dem der Steyr-Fiat 600 vorausgegangen war. Mit eben solchen Kleinwagen hat damals die Massenmotorisierung auf dem Automobilsektor erst begonnen.
Und Toyota? Ende 19. Jahrhundert: Spinnmaschinen und Webstühle. Dann der Ankauf einer gebrauchten Dampfmaschine. Im Jahr 1924 ein automatisierter Webstuhl, 1936 das erste Auto. Gall erzählte von einigen grundlegenden Unterschieden im Denken der Konzernleitung. Was Asien und westliche Companies in Kontrast bringt, ist die unabdingbare Konzentration auf das Wohl der Firma. Daß sich eine Einzelperson besonders hervortut, für wichtiger nimmt als die Company, gilt als verpönt. Bei Toyota wurde klargestellt: „Wir sind nicht so groß, um nicht auch scheitern zu können“.
Natürlich hat mich interessiert, was nach Galls Ansicht die wesentlichen Faktoren seien, aus denen sich Toyotas Marktsituation ergeben habe. Er nennt vorrangig die langjährigen und hohen Investitionen in technische Innovation. Dazu komme eine möglichst präzise Marktforschung. Was genau brauchen die Menschen in dieser oder jener Region der Welt? Wie werden die Produkte massentauglich? Das berührt den dritten Faktor, den Gall betont: Qualität. Und natürlich die Frage, wann Investitionen auch wieder hereinkommen.
So hat mich dann interessiert, was Gall vermutet, weshalb die „Big Three“ der USA (Chrysler, Ford und General Motors) in der letzten Dekade derart brutal abwirtschaften konnten. „Sie haben die Innovationen völlig vernachlässigt. Was ist denn von Amerikas alter Autoindustrie an Neuigkeiten gekommen? Man kann nicht ewig die gleichen Autos bauen. Und den Leuten in Amerika ist es heute halt auch nicht mehr egal, wie viel Sprit ihr Auto sauft.“ Also Innovation, Qualität und Rentabilität. Das war freilich vor über hundert Jahren auch schon so. Weltweit.
David Sedgwick listete im Mai 2016 auf, welche Konzerne sich als führend erwiesen, also aktive Patente in nenneswerter Anzahl halten. (Seine Quelle: Source: Thomson Reuters.) Europa ist da wenigstens mit dem Giganten Bosch vertreten. Aber was heißt das schon in einer globalisierten Wirtschaft? Das Ranking: 1. Toyota: 4.214 Patente / 2. Hyundai: 2.469 Patente / 3. Bosch: 2.390 Patente / 4. Denso: 2.169 Patente / 5. Honda: 2.039 Patente.
Gall faßt zusammen, daß für die Kundschaft Spritverbrauch, gebotene Qualität und insgesamt Wirtschaftlichkeit hochrangige Themen seien. Das zu gewährleisten verlangt auch nach Aspekten wie das „Kaizen“, eine Bestrebung der laufenden Optimierung. Gall zur Produktion: „Man kann alles verbessern. Manchmal eben nur in kleinen Schritten.“
Aber bei Toyota sei man längst mit weiteren Fragen befaßt. Da gehe es um die Geschäftsmodelle der Zukunft. Die Company werde sich vom Automobilproduzenten zum Mobilitätsanbieter verändern. Das meint alle Situationen, in denen etwas bewegt werden muß, also zu Lande, zu Wasser und in der Luft.
Dabei könnten Umweltfragen nicht ignoriert werden. Es gehe auch um Ressourcen und um Infrastruktur. Das bedeutet, Toyota werde sich völlig umgestalten. Dieser Prozeß führt augenblicklich über Technologieschritte bei den Autos zu nächsten Abschnitten der Konzernschwerpunkte. Gall ist überzeugt, daß Dieselmotoren in wenigen Jahren völlig vom Markt verschwunden sein werden. Er meint persönlich, ab 2025 könnte die Verteilung der Antriebsarten etwa so aussehen: Benziner: 30%, Elektroautos: 40% und Wasserstoff: 15%.
Wenn man bedenkt, wie enorm einst die Konsequenzen des beginnenden Automobilismus für die gesamte Infrastruktur der Menschen waren, wie sie das Antlitz der Welt verändert haben, kann man ermessen, welch enorme Umbrüche uns derzeit bevorstehen, wenn die Ära des KFZ im Privatbesitz endet, wenn sich Mobilitätskonzepte ändern, wenn Technologiesprünge neue Antriebssysteme etablieren.
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