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Jahreswechsel 2017/18#

(Die Beziehung zwischen den Projekten „Mensch und Maschine“ und „Dorf 4.0“)#

von Martin Krusche

Eben verrinnen die letzten Stunden des Jahres 2017. Ruhige Stunden, um in ein paar Erinnerungen zu schwelgen. Naja, besser gesagt: in Überlegungen. Heuer haben sich hier zwei Möglichkeitsräume auf interessante Art verzahnen lassen. Einerseits das Projekt „Mensch und Maschine“ als ein webgestützter Denkraum. (Was ich so lieber ausdrücke, als den etwas hohl klingenden Containerbegriff „Virtueller Raum“ zu verwenden.) Andrerseits das Projekt „Dorf 4.0“ als eine Projektzone abseits des Landeszentrums; also in der Provinz.

Ortsteil Wetzawinkel in Hofstätten an der Raab. – (Foto: Martin Krusche)
Ortsteil Wetzawinkel in Hofstätten an der Raab. – (Foto: Martin Krusche)

Dieses Verzahnen hat einige inhaltliche Gründe, deren Angelpunkt unser Weg in die Vierte Industrielle Revolution ist. Es hat aber auch Gründe in einigen Annahmen über Wissens- und Kulturarbeit, die das alte „Denkmodell Zentrum-Provinz“ überwinden soll.

Der Schweizer Wissenschafter Heinrich Bortis hat an einer Stelle seiner Ausführungen über unsere Wirtschaftsgeschichte notiert: „Die industrielle Revolution wäre nicht möglich gewesen, ohne eine Agrarrevolution: Es muss ein beträchtlicher landwirtschaftlicher Überschuss vorhanden sein, damit ein Industriesektor aufgebaut werden kann.“

Ein wichtiger Hinweis, unsere jüngere Technologiegeschichte nicht ohne Blicke auf die Landwirtschaft zu betrachten. Sieht man sich die Verläufe der letzten 200 Jahre genauer an, verblüffen manche der erkennbaren Aspekte dieser Kräftespiele, wo sie sich mit aktuell erfahrbaren Situationen auf dem Lande in Verbindung bringen lassen. Das Projekt „Dorf 4.0“ manifestiert sich in einer kulturellen Kooperation dreier Dörfer der Oststeiermark: Albersdorf-Prebuch, Hofstätten an der Raab und Ludersdorf-Wilfersdorf.

Alle drei Dörfer sind in der agrarischen Welt verankert und mentalitätsgeschichtlich stark davon geprägt, haben aber zugleich markante Verknüpfungen mit der Industrie und mit dem urbanen Leben. Alle drei Dörfer haben keinen gewachsenen Ortskern, sondern sind schon während der 1960er Jahre in der Dynamik äußerer Einwirkungen zu polyzentrischen Orten geworden, wie das heute fast allen Städten in Europa blüht oder sich vielerorts schon ereignet hat.

Da wir uns hier mit Kulturprojekten befassen, ist unser Fokus auch auf kulturelle Aspekte gerichtet, wobei sich eine spezielle Gewichtung bei der Volkskultur abgezeichnet hat. Überdies soll es im konzentrierten Blick auf die Sozial- und Technologiegeschichte gelingen, das besser zu sehen, was derzeit unser Leben an diesen Provinzorten bewegt und wie es da oder dort mit den größeren Zentren in Wechselwirkung kommt.

Das Leben in der agrarischen Welt dürfte bei uns konstant bescheiden gewesen sein, die längste Zeit kaum von technischen Innovationen groß verändert. Die beiden Weltkriege waren nicht nur durch den Blutzoll und die Traumata von nachhaltiger Wirkung. Sie schlugen wie Keile in das vertraute Wirtschaften der Leute, weil die meisten Bauern in der Oststeiermark Selbstversorger waren und nicht für den Markt produziert haben. Daß sie in Kriegszeiten einen großen Teil ihrer Produkte abliefern mußten, schuf tiefe Irritationen.

Was daran so brisant war? Ich hab bei Bortis eine knappe Formulierung gefunden, die es auf den Punkt bringt: "Der landwirtschaftliche Überschuss ist gleich der landwirtschaftlichen Produktion (der Ernte) minus dem notwendigen Konsum der Produzenten (landwirtschaftliche Arbeiter, Bauern)." Daher erschütterte oder zerstörte gar das erzwungene Abliefern die gewachsenen Wirtschaftsformen, wenn die agrarische Bevölkerung bis dahin wesentlich nur für den eigenen Konsum produziert hat, wobei die regionalen Betriebe entsprechend klein waren, meist nur sechs bis elf Hektar umfaßten.

Bürgermeister Werner Höfler (links) und Puch-Pilot Georg Kurtz bei Mythos Puch IV. – (Foto: Martin Krusche)
Bürgermeister Werner Höfler (links) und Puch-Pilot Georg Kurtz bei Mythos Puch IV. – (Foto: Martin Krusche)
Die Künstler Martin Krusche (links) und Winfried Legmann (ganz rechts) beim Aprilfestival. – (Foto: Martin Krusche)
Die Künstler Martin Krusche (links) und Winfried Legmann (ganz rechts) beim Aprilfestival. – (Foto: Martin Krusche)
Ein Roboter von Niki Passath beim 2017er Kunstsymposion. – (Foto: Martin Krusche)
Ein Roboter von Niki Passath beim 2017er Kunstsymposion. – (Foto: Martin Krusche)

Wenn also während des „Zweiten Dreißigjährigen Krieges“, in der Zeit von 1914 bis 1945, die Arbeitsbedingungen in unserem Projektraum von außen so radikal beeinflußt, verändert wurden, gibt das der Mechanisierung unserer Landwirtschaft, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, einen speziellen Kontrast.

Im Rückblick auf unser Projekt mit deinem Toten „Vom Pferd zum Sattelschlepper“ zeigt sich, es war eigentlich eine Situation „Zwischen Pferd und Sattelschlepper“ zu erkunden. Wo die Mittel für Maschinen verfügbar wurden, brach eine fundamental andere Ära an, die zu einer fundamental neuen Verteilung der Arbeit zwischen Mensch und Maschine führte. Genau das ist aber auch heute der Fall, da die Vierte Industrielle Revolution begonnen hat. Die Verteilung der Arbeit zwischen Mensch und Maschine ist neu zu verhandeln, neu zu klären. Das hat vor allem auch politische und kulturelle Konsequenzen. Dabei hilft uns eine wenigstens skizzenhafte Kenntnis der Vergangenheit.

Was die Ursprünge angeht, neigt Heinrich Bortis, auf Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaft spezialisiert, übrigens zur Ansicht, daß die Städte nicht aus den Dörfern entstanden seien, was ich für eine sehr anregende Überlegung halte. Bortis: „Vermutlich war Jericho von einer gewaltigen Schutzmauer umgeben, die sicher für eine Stadt bestimmt war; zudem setzte der Bau einer derartigen Schutzmauer bedeutende landwirtschaftliche Überschüsse voraus, sowie eine erhebliche Arbeitsproduktivität, die ihrerseits auf einer Stadt-Land-Arbeitsteilung beruhte. Es besteht also die starke Vermutung, dass die Stadt nicht aus dem Dorf entstanden ist, sondern dass sich Dörfer und Städte parallel entwickelt haben.“

Unternehmer Ewald Ulrich (2.v.r.) mit den Bürgermeistern (v.l.) Peter Moser, Robert Schmierdorfer und Werner Höfler. – (Foto: Martin Krusche)
Unternehmer Ewald Ulrich (2.v.r.) mit den Bürgermeistern (v.l.) Peter Moser, Robert Schmierdorfer und Werner Höfler. – (Foto: Martin Krusche)

Darin läge sogar ein historisch begründetes Argument für die Empfehlung, die Provinz kulturell nicht zu „urbanisieren“, also städtische Konzepte auf den ländlichen Raum anzuwenden, eine „Verstädterung“ zu bedienen. Wir sollten eigenständige Entwicklungen bevorzugen, denn über eine Stadt-Land-Arbeitsteilung muß immer noch nachgedacht werden, zumal längst eine neue Landflucht eingesetzt hat.

Das wirft ferner die spannende Frage auf, wie in der Provinz kulturpolitisch zu verfahren sei, da wir heute eine informationelle Umwelt haben (Internet, Social Media etc.), die das alte Denkmodell Zentrum-Provinz, wie es im 19. Jahrhundert entstanden ist, völlig hinfällig macht, während wir zugleich mentalitätsgeschichtlich natürlich von mehreren Generationen unserer Vorfahren geprägt sind.

Solche Fragen stellen sich nicht bloß in der Gemeinde Hofstätten an der Raab. Wir haben sie auch schon in Albersdorf-Wilfersdorf und in Ludersdorf-Prebuch angeschnitten. Es wäre überdies sehr interessant zu erfahren, welche kulturpolitischen Visionen sich in den Städten Weiz und Gleisdorf abzeichnen, da diese Orte quasi wie Brückenköpfe in der Energieregion Weiz-Gleisdorf fungieren.

An all dem wird weiterzuarbeiten sein, um zu klären, wie unter dem Einfluß der nun wirksamen Vierten Industriellen Revolution auf den Dörfern mit diesen Themen umgegangen werden kann.