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Postbus#

(Eine beiläufige Episode)#

von Martin Krusche

Wie gerne ich mich im Autobus zurücklehne und einen Profi die Arbeit des Fahrens erledigen lasse. An den heutigen Verkehrsverhältnissen reizt mich kaum noch etwas, selbst am Lenkrad zu hocken; außer es geht um eine ruhige Route und eventuell um ein kurioses Auto. (Steyr-Puch Pinzgauer 6x6 jederzeit. Oder ein alter Volvo 145. Die Deesse von Citroen auf jeden Fall.) Graz, wenn ich bloß an die Passage zwischen Landeskrankenhaus und Operncafé denke, sehe ich vergnügt vom Postbus aus.

Bestens möbliert: die aktuellen Postbusse. (Foto: Martin Krusche)
Bestens möbliert: die aktuellen Postbusse. (Foto: Martin Krusche)

Es sind zur Zeit recht viele neue Busse unterwegs, die haben eine komfortablere und hübschere Inneneinrichtung als ich zuhause. Es steckt immer wenigstens ein Buch in meiner Tasche. Ich hab in Bussen meine bevorzugten Lesewinkel. Das ergibt eine antiquierte Pose zwischen all den Youngsters, die ihre Smartphones nach dem Sinn des Lebens befragen. Wenn ich über die Oberfläche wische, dann bloß um eine Seite glattzustreichen. Manchmal mag ich aber nur aus dem Fenster sehen.

Kürzlich, auf dem Weg nach Graz, hatte ich den Bus fast für mich alleine. Mit dem Fahrer wechselte ich wenige Worte zur Frage, ob ich die 20 Cent zum Fahrpreises als Münze fände. Dann die freie Platzwahl. Nach einer Weile der Fahrt bemerkte ich einen etwa zehnjährigen Buben hinter mir, Tasche am Rücken, Smartphone am Ohr. Er war in ein lebhaftes Gespräch verwickelt und huschte zwischen den Sitzen hin und her, um herauszufinden, wo sich der Bus gerade befand. Wir hatten die Lembach-Mühle eben erst hinter uns gelassen. Der Bub lief zum Fahrer vor. Nun wurde klar, daß er eigentlich nach Pischeldsdorf sollte, demnach in die falsche Richtung unterwegs war.

Der Fahrer hielt bei der nächsten Möglichkeit, legte dem Buben seine Möglichkeiten dar und sagte ihm eindrücklich: „Du mußt doch schauen, was bei mir vorne oben steht. Hast du geschaut?“ Der Bub bejahte. „Und was steht da?“ Eben. Er wußte es nicht. Zehnjährige können sich ganz gut um ihre Angelegenheiten kümmern, außer sie verlieren gerade die Orientierung. Und das war unübersehbar geschehen. Wie soll er zurückkommen? Wo ist die nächste Haltestelle? Wann kommt der passende Bus?

Ich vermute, der Fahrer hat selbst Kinder und wußte daher, daß hier jemand für Augenblicke mit der Situation überfordert war, folglich nicht einfach auf die eher schmale, sehr stark befahren Straße gestellt werden konnte. Überdies war der Himmel schon seit Tagen bedeckt, es herrschten also trübe Lichtverhältnisse.

Wie gefährlich diese Straße sein kann, hatte mir vor einige Wochen ein Baustellenleiter geschildert, da man auf dieser Strecke, bei Ludersdorf, zum Schluß gekommen war, man müsse den Kindern von der Siedlung zur Bus-Haltestelle hin eine Fußgängerunterführung bauen. (Zu machen Zeiten war dort das Verkehrsaufkommen so hoch, daß man bei den Bauarbeiten Schwierigkeiten hatte, damit klarzukommen.)

Verkehrsdichte: Sicher zum Bus in Ludersdorf. (Foto: Martin Krusche)
Verkehrsdichte: Sicher zum Bus in Ludersdorf. (Foto: Martin Krusche)
Schöner wohnen für eine halbe Stunde <img src='/images/emoticons/wink.png' title=';-)' alt=';-)' width='20' height='20' /> (Foto: Martin Krusche)
Schöner wohnen für eine halbe Stunde ;-) (Foto: Martin Krusche)

Also sah ich den Busfahrer aussteigen und dafür sorgen, daß das Kind in die richtige Richtung losging und sicher über die Straße kam, nachdem er ihm noch einmal verdeutlicht hatte, daß auf der Stirn des Busses jeweils zu lesen sei, wohin die Fahrt ginge.

Man mag dieses kleine Ereignis für banal, womöglich für unerheblich halten. Aber das ist es nicht. In genau solchen beiläufigen Situationen, wenn jemand bloß für Augenblicke die Orientierung verloren hat, unter Streß kommt, auch nur eine Minute lang nicht weiß, wie das nun gelöst werden soll, sind Menschen sehr gefährdet, kann ein Leben in manchen Situationen womöglich verlöschen. So simpel ist das.

Daher mag ich es sehr, wenn ich sehen darf, daß jemand nicht einfach seinen Job runterbiegt und dabei grade das Nötigste tut, sondern die ganze Situation im Auge behält. Wer selbst Kinder hat, gewinnt aus diesem Zusammenhang vielleicht das Gefühl: Sie sind unsere Schutzbefohlenen. Und zwar nicht nur die eigenen, sondern alle. Sie können oft mehr, als man ihnen zutrauen möchte, aber wenn sie anstehen, sollte jemand auf sie achten; und sei es bloß die halbe Minute, bis so ein Bub sicher über die Straße gegangen ist.