Notiz 067: Standpunkte#
(Auch ich frage mich, wo ich stehe)#
Von Kerstin Feirer#
Gibt es eine Orientierung, ohne zu wissen welchen Standpunkt man hat? Und sagen Standpunkte automatisch etwas über die Orientierung aus? Das frage ich mich. Aus mehrfach gegeben Anlass. In den letzten Jahren bemerke ich im politischen Kontext ein Ringen um „die Mitte“. Egal von welcher Seite kommend. Niemand will mehr links, also „im Abseits“ stehen.
Und selbst die Rechten drängen sich gerne in den Mittelpunkt, da sie sich von dort aus ihre gesellschaftliche Akzeptanz holen, die sie eigentlich mit dem Ausgang des 2. Weltkriegs verspielt hätten sollen. Aber unabhängig davon, wer dieses Gerangel letztlich für sich entscheidet, stehen wir alle vor der Frage, was heute eigentlich links oder rechts sei. Zumal wir ja nach wie vor mit diesen undeutlichen Begriffen hantieren.
Auch ich frage mich, wo ich stehe. Vor Jahren hätte ich diese Frage noch mit „links von der Mitte“ beantwortet. Heute merke ich, dass diese Aussage nicht stimmt und dass herkömmliche Kategorien wie links und rechts meinen Standpunkten keinen geeigneten Orientierungsrahmen mehr bieten. Und ich weiß, damit bin ich nicht allein.
Aufgefallen ist mir die eigene „Orientierungslosigkeit“ zunächst durch höchst widersprüchliche Zuschreibungen im Außen. In linken Kreisen gelte ich als „neoliberal“. In konservativen Kreisen als „kommunistisch“ und am äußersten rechten Rand, als „linksgrünversifft“, was auch immer das heißen soll. Man könnte meinen, dass diese widersprüchlichen Zuschreibungen aus einem Bedürfnis heraus, kontrovers zu sein, resultieren.
Nur fand ich dazu keine Hinweise, da ich im Diskurs in erster Linie meine Haltung vertrete und die ist offensichtlich weder hier noch dort zu verorten. Ein weiteres Indiz findet sich dafür bei meinen „Wahlkabinen“-Auswertungen in den letzten Jahren. Die Ergebnisse könnten nicht irritierender sein: Neos und Kommunisten gleich auf, gefolgt von Grün. Faktisch nicht vorhanden sind türkise, rote und blaue Balken. Und ich wundere mich über den Widerspruch, den ich zwar nicht empfinde, der aber offensichtlich in meiner Haltung steckt. Zumindest solange ich links – rechts denke.
Ich würde nie kommunistisch wählen und ich stehe dem Kapitalismus äußert skeptisch gegenüber. Ich bin Verfechterin einer offenen Gesellschaft, die Freiheit für alle garantiert. Das schließt auch jene mit ein, die nichts beitragen können oder wollen. Die Grenze der eigenen Freiheit ergibt sich durch die Freiheit des anderen. Um das höchste Gut zu schützen: die Würde des Menschen, der eben auch versteht, dass ihm diese „von Natur aus“ verliehen wird. Also ist die Natur an sich mit Würde ausgestattet, die es im gleichen Ausmaß zu achten gilt, wie die eigene. Daran glaube ich. Aber, was ist das jetzt? Links? Liberal? Verrückt? Oder bin ich längst darüber hinaus?
Ich kann mit dem Widerspruch leben. Da sich meine Standpunkte, nach meinem moralischen Empfinden nach, richtig anfühlen. Und ja, ich finde meine Prinzipien überall wieder. In der christlichen Soziallehre genauso, wie in marxistischen Schriften, ohne das Gesamtpaket kaufen zu müssen. Das Beste aus allen Welten, so denke ich, ist meine Richtung, ohne mich nirgendwo einordnen zu müssen. (Kerstin Feirer ist Cartoonistin und Teil eines Unternehmerinnen-Trios, das in Gleisdorf das Wosnei x / Mode, Kunst, Design eingerichtet hat.)
- Zum Thema: „Links/Mitte/Rechts“ (Eine Standortbestimmung)
- Dorf 4.0: Die Notizen-Übersicht