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Notiz 074: Zu Kurtz gekommen#

(Lafers Monographie über einen eigentümlichen Gleisdorfer)#

Von Martin Krusche#

In der Adventzeit werden gerne Sinnsprüche rausgehauen, Innenstädte extra beleuchtet, als würden wir nicht so schon in einem Lichtersturm leben, daß man nachts kaum noch Sterne sehen kann. Wir werden mit den ewig gleichen Weihnachts-Pop-Songs gequält und zur Besinnlichkeit aufgefordert. Diese Szenario ist heuer noch verschärft, weil Corona-Pandemie und Lockdown unsere Bewegungsfreiheit einengen. Offizielle Stellen fahren offizielle Programme. Doch was real zu Herzen geht, findet dennoch statt, ohne inszeniert zu werden.

Monika Lafer (links) und Dietlinde Grill (Foto: Martin Krusche)
Monika Lafer (links) und Dietlinde Grill (Foto: Martin Krusche)

Mittwoch, mitten im Advent. Ich gehe inzwischen immer dann einkaufen, wenn der vorherige Kilo Brot gegessen ist und ein nächster nötig wird. Rucksack am Rücken, Maske im Gesicht, Kamera in der Hand. Ich bin ein blicksüchtiger Mensch.

Als ich am Tor zur alten Poststation vorbeikam, stand da eine Frau mit einem großformatigen Buch in der Hand, sah mich an, zog ihre Maske zum Kinn herunter. Ich dachte auf Anhieb, daß mir nun die Mitgliedschaft in einer Tierschutzorganisation angeboten würde oder ein ähnliches Straßengeschäft, bei dem sich Menschen einige Cent verdienen. Es kam anders.

Intermezzo#

Vermutlich ist Ihnen auch schon dieser Slogan untergekommen: „Ohne Kultur wird’s still“. Eine schlampige Nachricht, denn erstens gilt: Die Kunst schweigt nie! In keiner wie auch immer denkbaren Situation verstummt dieser Teil menschlicher Eigenart. Und zweitens wird die Kultur nur dort sehr schweigsam, wo sie und die Kunst zu Mägden des Marketings gemacht werden; wenn also andere lauter plärren.

Aber dann bleibt immer noch, daß inspirierte Menschen an relevanten Themen arbeiten. Das dient meist nicht jenen Prioritäten, wie sie Politik und Verwaltung verfolgen. Vor allem wo es um ein geistiges Leben geht, das Zukunftsfähigkeit generiert; unter anderem durch ein Verständnis der Vergangenheit. Welche Schritte führten über welche Inhalte zu unserer Gegenwart?

Weiter: Camillo#

Was immer uns gelingt, beruht auf den Vorleistungen anderer Menschen. Wir schöpfen nicht aus dem Nichts, auch wenn populäre Legendenbildung das gerne behauptet, um uns irgendein „Genie“ vorzuführen. Das ist gerade in der Kultur deutlicher als sonstwo, zugleich eine Falle, denn Geschmäcker und Neigungen der Menschen reagieren prinzipiell langsam und orientieren sich meist recht wenig an der Höhe der Zeit. Rückschau, Standortbestimmung, Zukunftsfähigkeit…
(Foto: Verlag Sublilium Schaffer
(Foto: Verlag Sublilium Schaffer

Es ist hilfreich, wenn sich Menschen der Deutung unserer Vorgeschichte(n) annehmen. Camillo Kurtz war jemand, der als Maler zu seiner Zeit nicht gerade die umfassende Zustimmung seines Clans hatte. Dazu erzählte mir einer seiner Verwandten, der Arzt Georg Kurtz, launige Geschichten. Aber er war auf jeden Fall, ein Mann, der über seine Obsession des Künstlerlebens dieser Region wichtige Impulse gab. Anregungen, die nicht plakativ sind, sondern konstituierend, was ein geistiges Klima angeht. In der Kunst werden uns Möglichkeiten der Conditio humana ausgeleuchtet.

Der Rückblick zeigt, daß solche Existenzen hier neue Impulse in die alte agrarische Welt brachten und in den Fundamenten dazu beitrugen, daß aus einem Dorf eine Stadt werden konnte. Sie ahnen nun vielleicht, mir war von Monika Lafer vor der alten Poststation kein Abonnement und keine Vereinsmitgliedschaft angeboten worden. Sie, die selbst aktive Malerin ist, hat über Camillo Kurtz gearbeitet, was nun eine stattliche Monographie ergab.

Der Zufall hatte für unsere Begegnung gesorgt. Am Tor zu jener historischen Anlage, die einst eine wichtige Markierung an der alten Ungarnstraße war. Reiserouten, Kommunikationslinien, Kontraste. So bekommt Wandel eine Chance. Auf symbolischer Ebene paßte das alles wunderbar zusammen.

Dann kam Dietlinde Grill aus dem Haus. Ihr galt Lafers Besuch. Sie trägt ja die Verantwortung dafür, daß dieses schöne Ensemble der alten Poststation, von außen kaum noch sichtbar, erhalten bleibt. So war ich vergnügt, denn es zeigt sich eben allemal: die Kunst schweigt nie, die Kulturschaffenden legen ihre Werkzeuge nicht aus der Hand, Kultur ist etwas Komplexeres und Weitreichenderes als Kulturmanagement. Es bedarf inspirierter Menschen, die Wissensdurst haben und handeln.