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Malerin Herta Tinchon (Foto: Martin Krusche)
Malerin Herta Tinchon (Foto: Martin Krusche)

Ein Appell#

(Zur Frage, was derzeit eine gute Frage sei)#

Von Martin Krusche#

Meine Begegnungen mit Künstlerin Herta Tinchon ziehen eine Spur durch viele Jahre. Nun lief ich ihr vor den Bug. Tinchon hat ihren 90 Geburtstag schon hinter sich, wohnt auf einer steilen Anhöhe, genießt es also, daß sie mit so einer handlichen, vollelektrischen Renn-Semmel nicht bloß Kurven kratzen kann, was das Zeug hält, sondern auch jeden Hügel mit wehenden Fahnen überwindet.

Ich stand ihr also zufällig im Weg, bin mit so einem handlichen Vehikel ja weder leicht wegzuhupen noch ohne ausreichenden Anlauf umzufahren. Das führte zu einer kleinen Plauderei, in der ich naturgemäß nach ihren aktuellen künstlerischen Vorhaben fragte.

Im Jahr 2006 hatte mir Tinchon erzählt: „Das war dann immer mein Traum. Ich wollte zeichnen und malen.“ Aber in den 1940er-Jahren schien es für ein Gleisdorfer Mädchen undenkbar, die Existenz als Künstlerin anzustreben. Tinchon entschied sich für die Lehrerbildungsanstalt. Sie war da aber an einen „höchst kunstsinnigen Lehrer“ geraten.

Tinchon: „Er hat die Kunstgeschichte gut gekannt und uns große Reproduktionen von moderner Kunst gezeigt. Da war ich sofort entflammt.“ Obwohl die „Moderne“ in der Malerei damals schon über ein halbes Jahrhundert alt gewesen ist, waren solche Zugänge hierzulande keineswegs üblich. „Picasso, über den haben sich die Leute damals ja sehr aufgeregt.“ Die Zeichensäle der Grazer LBA (Lehrerbildungsanstalt) waren im Dachgeschoß. Man konnte dort auch in seiner Freizeit immer arbeiten, was Tinchon reichlich nutzte.

In all den Jahren mußte sie dennoch oft hören: „Geh, du mit deinen Schmierereien.“ Tinchon wurde Lehrerin, war in Volks- und Hauptschulen tätig. „Volksschule, die ganz Kleinen, mit denen war ich am glücklichsten.“ Natürlich mit einem Schwerpunkt in der Kunsterziehung.

Als Tinchon ihre beiden Kinder bekam, hatte sie den Traum Malerin zu sein fast begraben. Sie sagte: „Das drängende Verlangen danach ist ja immer da. Man kann ihm nur nicht jederzeit nachgehen.“ Es sei ein ständiges Suchen, sagte sie. Themen? Farben? Ausdruck? Alles! „Meist hab ich eine Vorstellung, die ich ansteuere, aber dann bekommt es seine eigene Dynamik.“ In der Art entstehen ihre Werke (im günstigsten Fall) oft ohne Fragen: „Wenn es so fließt, da bin ich in einem anderen Zustand. Da weiß ich dann vom Anfang bis zum Ende, wie es geht.“

Das handwerkliche Fundament ist da, die langjährigen ästhetischen Erfahrung sind dazugekommen. Tinchon weigert sich aber, einem bestimmten Stil allzusehr anzuhängen. Dennoch findet man eine durchgängige Handschrift. Nebenbei bemerkt: „Musik war für mich auch immer sehr wichtig.“

Wir haben uns, nachdem sie mit ihrem Kurvenkratzer in eine passable Parkposition reversiert hatte, über den Stand der Dinge und den Zustand der Welt unterhalten, auch über die Gleisdorfer Befindlichkeiten, denn die Stadt wird seit geraumer Zeit zunehmend mit Rechtsradikalen und Neofaschisten assoziiert. (Siehe dazu: „Der Brief“!)

Tinchon blickt ja mit ihren über 90 Jahren auf eine großen Bogen vielfacher Veränderungen zurück, war, wie man leicht nachrechnen kann, in die Tyrannei hineingeboren worden. Als wir nach dieser Plauderei auseinandergingen, blieb da die Frage, was denn nun eventuell ein angemessener Appell sei.

Nein, ich hausiere nicht mit Antworten. Manchmal ist es wichtig, erst einmal eine gute Frage zu finden. Aber ich weiß, daß Tinchon eben eine Leinwand bespannt und grundiert hat. Da wird sich etwas zeigen. Ich werde demnächst nachfragen, ob man schon was sieht.