Racing Green#
(Bentley: eine Begegnung in Unruhe)#
Von Norbert Gall#
Ja, und so sind wir... Begeisterungsfähig sind wir bei schon kleinen Sichtungen, die unser Herz ein wenig schneller schlagen lassen. Ein rostiger Fiat 850D beim Schnalzer südlich von Graz. Ein klappriger daily driver Opel Ascona als last car standing. Ein herrlich sägender 911er aus früheren Jahren, der uns bei einem Oldtimertreffen begegnet. Seltene Autos machen uns wuki, wie man bei uns in Wien sagt.
Dann fährt man nach Monaco. Sieht da den klassischen Ferrari mit Borranis und Colombo V12 über der Vorderachse. Den offenen Bentley im italienischen Maßanzug von Pininfarina. Autos, die uns emotional schwer in die Ecke treiben, bringen uns in solcher Dichte in einen absoluten Ausnahmezustand. Und dann schwebt man halt so glückstrunken durch diese Häuserschlucht und versucht, diese Erlebnisse irgendwie in die ewige Bestenliste einzuordnen, die eh schon grad ordentlich über den Haufen geworfen wird... biegt um die Ecke und sieht DAS.
Ich weiß nicht, wie ich meine Gefühle beschreiben soll. Es hat mich einfach komplett umgehauen, ich schwöre, meine Beine wurden wackelig und ich musste mich kurz an eine Mauer lehnen, um das in seiner Dimension zu erfassen. Die legendären Bentleys aus den späten 1920ern sind bei uns höchstens vereinzelt bei den bestbesetzten Rallyes des Landes zu bestaunen.
Ennstal und so. In diesem monegassischen Moment hat sich, glaube ich, meine bisherige Lebensration an Vintage Bentleys schlagartig mehr als verdoppelt. Vierzehn dieser wuchtigen Legenden auf Rädern standen da, in einem Defilée in british racing green aufgereiht. Jedes dieser Fahrzeuge mit seiner Geschichte, jedes für sich ein Vermögen wert, jedes ein eigener Charakter.
Walter Owen (W.O.) Bentley gründete 1919 eine Marke unter eigenem Namen. In der relativ kurzen Zeit ihrer Unabhängigkeit bis 1931 hinterließ man der Welt eine ganze Reihe an unvergesslichen und unverwüstlichen Modellen, mit denen unter anderem die legendären Bentley Boys rund um Woolf Barnato legendäre Rennsiege einfuhren. Nicht zuletzt die fünf Le Mans Siege zwischen 1923 und 1930 lassen die für damalige Verhältnisse straßentauglichen Supersportwagen mit Motoren von 3 bis 8 Litern Hubraum auch fast hundert Jahre (!) später bei vielen als einige der besten Autos gelten, die jemals gebaut wurden.
Laut Wiki entstanden in den zwölf Jahren des unabhängigen Bestehens knapp über 3.000 Chassis mit den unterschiedlichsten Karosserien - meist jedoch als „open tourer“ wie hier im Bild. Mehr als die Hälfte davon waren 3 Liter, vom mythischen 8 Liter entstanden hingegen nur 100 Exemplare. Der 4 1/2 Liter kam auf 720 Stück, wobei nur 50 davon supercharged waren.
Beim Durchstöbern der Bestandslisten gewinnt man jedenfalls den Eindruck, dass die allermeisten dieser vierrädrigen Kolosse - der feinsinnige Monsieur Bugatti betitelte die Bentleys als „schnellste Lastwägen der Welt“ - vor allem dank ihrer monumental-soliden Bauweise auch heute noch existieren.
Zwei Wochen nach diesem Erlebnis bin ich einfach nur glücklich darüber, im richtigen Moment vor das richtige Hotel spaziert zu sein. Und kann das Gesehene verarbeiten. Ich bin dabei auf eine Seite gestoßen, die wirklich ALLES über Vintage Bentleys aus dieser Ära weiß. Wie praktisch, dass in UK ein Fahrzeug lebenslang sein Kennzeichen behält - das ist nicht nur für diese archivarische Tätigkeit sehr hilfreich, es identifiziert jedes einzelne Auto nach kurzer Suche auf Knopfdruck inklusive ausgiebiger Vita.
Liebe Grüße und viel Freude beim Staunen!
Norbert
Die Fahrzeuge nach Nummerntafeln#
- FR 8901 ist ein 4 1/2 Liter Zweisitzer ursprünglich mit Smallshaw Karossie (März 1928)
- XO-704 ist ein 3 Liter Viersitzer mit Van den Plas Karosserie (Juni 1923)
- WY 9514 ist Chassis 198, ein 3 Liter Viersitzer mit Van den Plas Karosserie (März 1923)
- KF 3740 ist ein später 4 1/2 Liter ursprünglich ursprünglich mit Gurney Nutting Saloon Karosserie (Februar 1931) - der Kompressor ist nachträglich eingebaut.
- UT1 ist ein 4 1/2 Liter ursprünglich mit Gurney Nutting Saloon Karosserie (Juli 1929)
- HH-WO (!) 45H ist ein 4 1/2 Liter ursprünglich mit Gurney Nutting Saloon Karosserie (März 1928)
- GP 8242 ist ein 4 1/2 Liter mit HJ Mulliner Karosserie (August 1929)
- GU 1927 ist ein 4 1/2 Liter mit Van den Plas Karosserie (März 1929)
- UU4080 ist ein 4 1/2 Liter ursprünglich mit Harrison Karosserie, jetzt Van den Plas rebuild
- 27 JC / EXT 10 und BF 5408 waren nicht gelistet…
- Alle Fotos: Norbert Gall
- Das Funken-Register
