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(Foto: Karin Klug)
(Foto: Karin Klug)

Übergänge: Gedanken über das Sterben#

von Karin Klug

Es wird gestorben, reihum. „Die Einschläge kommen näher, je älter man wird“, habe ich mal jemanden sagen hören. Ich erlebe, wie Menschen diese Welt verlassen. Menschen, die ich gut kannte. Weniger gut. Menschen, die ich vor Jahren aus den Augen verloren hatte. Die Jahre des Nicht-Wiedersehens haben nichts ausgemacht. Die Menschen waren ja da. Nur eben woanders. Jetzt sind sie nicht mehr da. Ganz woanders. Jetzt gibt es tatsächlich kein Wiedersehen mehr. Und das erschüttert mich. Wieso konnte ich mich nicht verabschieden? Wann habe ich M. oder D. zuletzt gesehen? Wie und wo war unsere letzte Begegnung? Warum haben wir uns aus den Augen verloren? Wie ist es D. oder M. zuletzt gegangen? Mit einem Mal werden diese Überlegungen laut. Jahrelang habe ich kaum gedacht an D. oder F. oder M. Jetzt berührt mich ihr Sterben zutiefst.

Wir sind seltsame Wesen, wir Menschen. Leben drauflos, als würden wir ewig leben. Das glauben wir auch eine Zeitlang. Kaum jemand denkt schon viel nach über den Tod, das Sterben, solange er oder sie jung ist. Und sich noch nicht mit dem Tod konfrontieren musste. Das Leben scheint endlos. Wenn sich der Tod nicht mit unabänderlicher Gewissheit in unser Leben drängt, bleibt er lange außen vor. In unserer Gesellschaft hat der Tod keinen Platz.

Ich hatte Glück. Wenn man so will. Ich habe den Tod in jungen Jahren nicht kennengelernt. Das Leben schien unendlich. Was heute nicht ging, das wurde auf morgen verschoben. Oder übermorgen. Oder irgendwann. Man hatte ja Zeit, endlos. Träume duften in der Warteschleife überdauern. Begegnungen ebenso. Aufgeschoben auf später. Auf irgendwann.

Und dann plötzlich tritt er in Erscheinung. Der Tod. Meist unerwartet. Unbeirrbar. Mitleidlos. Ein Schrecken greift um sich. „Der Tod ist die größte Zumutung des Lebens“, hat einmal jemand behauptet. Es trifft jede und jeden von uns. Unabhängig von Aussehen, Status, Religionszugehörigkeit, Kontostand. Und mit einem Mal verschieben sich Zeitachsen. Wichtigkeiten. Werte. Auch wenn wir es lange nicht glauben mögen - keine und keiner bleibt verschont. Das hat nahezu etwas tröstliches. Das Einzige, das wir Menschen allesamt mit Gewissheit gemeinsam haben, unabänderlich, ist unser Geborenwerden und unser Sterben. Da gibt es nichts daran zu rütteln. Kein Verhandeln. Keine Ausnahmen. Kein Entkommen. Der Tod kommt auf jeden und jede von uns zu. In den meisten Fällen wissen wir nicht, wann das sein wird.

Als ich W. das letzte Mal getroffen habe, zufällig, nach vielen Jahren, hat er - schwer erkrankt - gemeint: „Es geht schnell.“ Zwei Wochen später war er tot. Ich werde ihn nie wiedersehen. Nicht auf dieser Erde. Nicht in dieser Welt. Was kommt danach?

Darüber zerbrechen wir uns seit Menschengedenken den Kopf. Philosophien und Religionen, Sekten, Glaubensgemeinschaften, Wissenschaft und Forschung bieten (unterschiedliche) Antworten dazu an. Jede und jeder schnürt sich so sein eigenes Überzeugungspaket. Wenn er oder sie überhaupt darüber nachdenkt. Man kann dem Nachdenken über das Sterben und das Danach nämlich auch lange Zeit entfliehen. Zu viel zu tun. Immer beschäftigt mit anderen Sachen. Bis, ja, bis der erste Mensch geht, der einem nahestand. Und dann noch einer. Fragen drängen sich ins Bewusstsein: Wer ist der nächste? Bin ich es womöglich? Und wann? Unnütze Fragen. Auf die es keine Antworten gibt. Worüber also nachdenken. Wenn wir ans Sterben denken. Darüber, wie wir es uns gut machen können. Wie wir sterben lernen können vielleicht. Das Sterben der anderen und unser eigenes Sterben. Will ich mich vorbereiten darauf? Manche legen gerne schon zu Lebzeiten die ersten Schritte für danach fest. Wo will ich begraben sein. Welche Art der Bestattung. Wer soll eingeladen werden. Welche Musik. Blumen. Kränze. Ein Essen danach. Wer erbt. Wer soll nicht erben. Manch andere dagegen wollen sich bis zu ihrer Sterbestunde partout nicht damit beschäftigen. So oder so, der Tod holt uns alle.

Für die sogenannten Hinterbliebenen beginnt mit dem Sterben der große Schmerz. Die Trauer. Der Tote hat es bereits hinter sich. Die ihm Nahestehenden, für sie wird der Tod zur Qual. Der Verlust. Dieses Unabänderliche. Dieses nie wieder. Das hallt in unseren Herzen und Köpfen. Nie wieder! Nie wieder im Arm halten. Nie wieder sich treffen. Miteinander essen. Was auch immer. Es ist vorbei. Für immer. Dieses nie, dieses für immer haben etwas Grausames, Quälendes. Wir sprechen oft von immer und ewig, von nie und nie wieder. Aber erst im Erleben des Todes wird uns die Bedeutung von nie und für immer bewusst. Denn jetzt ist es eingetreten. Unwiderruflich. Jetzt gibt es kein Zurück, kein Verhandeln mehr. Nie mehr wiedersehen. Für immer gegangen. Wir müssen mit Erinnerungen vorliebnehmen. Mit den Bildern in unserem Kopf. In unseren Herzen. Damals, als… vorbei. Gestern noch… vorbei. Und ein Morgen gibt es mit diesem Menschen nicht mehr. So wie es auch für mich, für jeden von uns dereinst kein Morgen mehr geben wird.

Es scheint mir so, als würden wir alle in einem Zug sitzen. Und bei jeder Station steigen einige aus. Und einige ein. Manche hüpfen auch schon während der Fahrt aus dem Zug. So ändert sich laufend die Gemeinschaft derer, die im Zug sitzen. Woher kommen wir? Und wo fährt er hin, dieser Zug? Wir haben nur eine begrenzte Zeitspanne. Diese Fahrt in unserem Lebenszug. Wann wir aussteigen müssen, wissen wir meist nicht… oder erst knapp davor.

Wie also gestalten diese Zeit unterwegs? Wie sich auf das Aussteigen, das unabänderliche, vorbereiten?

Gabriele von Arnim schreibt in ihrem wunderbaren Buch „Das Leben ist ein vorübergehender Zustand“ über ars moriendi, die Kunst des Sterbens, einem Begriff aus dem Mittelalter: „Die Menschen damals wussten, was wir erst wieder lernen müssen, dass der Tod nicht nur unausweichlich ist, sondern auch natürlich. Und dass ein lebendiges Wissen um ihn tröstlich leuchten kann im Dunkel der Angst.“



Bücher zum Thema#

  • Gabriele von Arnim: Das Leben ist ein vorübergehender Zustand. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2025
  • Margareta Magnusson: „Frau Magnussons Kunst, die letzten Dinge des Lebens zu ordnen“. Fischer Verlag, 2018
  • Anna Mitgutsch: Wenn du wiederkommst. Roman. btb Verlag, 2011.
  • Karin Simon: Von Bleiben war nie die Rede. Knaur Menssana, München 2023.
  • Bronnie Ware: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen. Goldmann Verlag, 10. Auflage, 2015