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Wo war ich als ich nicht da war?#

Von Karin Klug#

Die letzten Jahre waren heftig. Eine Herausforderung, eine Erschütterung, eine Krise nach der anderen. Manchmal gleichzeitig, überlappend, dann wieder in rascher Abfolge. Eine schlimme Trennung. Eine Wohnung leerräumen. Krankheiten, Behandlungen, Operationen bei nahen Angehörigen. Wechselnde Dauerbaustellen mit dröhnendem Lärm in nächster Nähe und ohne Ende. Keine Erholung möglich. Notoperationen. Permanente Sorge um die Eltern. Kümmern. Checken. Fahren. Erledigen. Daneben das berufliche Standbein, die Praxis schließen. Runterfahren. Die Räume kündigen. Wieder leerräumen. Die tausend Dinge, die mit einer Berufsaufgabe verbunden sind. Weiter Krankheiten in rascher Abfolge, Arztbesuche mit Angehörigen. Therapien. Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten. In Krankenhäusern, Notaufnahmen. Bitten und Betteln um Aufnahme. Warten. Warten. Warten. In kahlen Fluren, in überfüllten Wartezimmern. Den Diagnosen hinterherlaufen. Nächtliche Telefonate. Verzweiflung. Panik. Schmerz. Trauer. Und Tod. Alles gepackt in ein paar Jahre. In denen ich kaum zum Verschnaufen gekommen bin.

Abends ins Bett fallen. Morgens auf und weitermachen. Kämpfen. Kümmern. Bis weit über die eigenen Grenzen hinweg. Das Elternhaus leerräumen. Zum Kauf anbieten. Es war so nicht geplant. Nichts war so geplant. Die Krankheiten sind plötzlich gekommen. Das Berufsende ein unvorhersehbares notwendiges Ergebnis von Erschöpfung, Überforderung und nicht-mehr-können.

Und darüber hinaus: Keine Zeit mehr für gar nichts. Keine Kraft mehr für gar nichts. Keine Zeit um Freundschaften zu pflegen. Oder viel zu erklären. Keine Zeit für Reisen, Urlaube. Kaum war das eine geschafft, kam das nächste. Ohne Verschnaufpause dazwischen. Und irgendwann keine Reserven mehr. Batteries empty.

Rund sechs Jahre später. Allmählich kehrt Ruhe ein. Mein Vater ist in ein ganz wunderbares Haus am Waldrand - und doch mitten in der Stadt - übersiedelt. Wo er Rückhalt und Gemeinschaft erlebt. Wo er nochmal seine Hobbies pflegen kann. Sich fit hält. Und vieles ganz neu erlernen muss. Und darf.

Und ich? Etwas zerzaust und zerfleddert. Runter von der Überholspur, vom Daueradrenalin. Ich kann mich langsam erholen. Wieder zu Kräften kommen. Innehalten. Durchatmen. Und nachjustieren. Wo stehe ich heute? Was will ich heute? Wer bin ich heute? Und: Wo sind meine FreundInnen geblieben? Wo gab es Verständnis, Rücksicht, Hilfe gar? Wer hat sich abgewandt, weil es halt lange Zeit gar nicht lustig war mit mir. Interessant wie sich alles verschiebt. Wo ich Unterstützung erlebt habe ohne je damit zu rechnen. Wo sich Menschen abgewandt haben, weil ich ja nie Zeit hatte…

Wo also war ich als ich nicht da war? Ich war in einer anderen Welt. In der die Sorge um andere wichtiger war als alles andere. Meine nächsten Angehörigen. Meine Eltern. Die mich ein Leben lang unterstützt haben. Es war meine Entscheidung, so weit an und über meine Grenzen zu gehen. Gut war es nicht. Aber aus meiner Sicht unabdingbar und unerlässlich.

Und jetzt: Neustart. Langsam auftanken. Auftauchen. Zurechtrütteln. Ich bin noch ein bisschen planlos. Die letzten Jahre haben mich aus meinem vertrauten Leben katapultiert. Ein neues Leben gibt es noch nicht wirklich. Das möchte erst entdeckt, geschaffen werden. Aber ich bin guten Mutes. Ich taste mich voran. Ein kreativer Akt: sich ein Leben neu gestalten. Sich wieder in die Welt setzen. Vorsichtiger, achtsamer, ruhiger vielleicht.