Lemmerer und der Steirerblues II#
(Einige Hintergründe)#
Als Teenager fand ich kaum Berührungspunkte mit der ursprünglichen Volksmusik Österreichs. Außerdem hatte die Unterhaltungsindustrie derlei Genres gekapert und geplündert. Was einstmals regional eher eigentümlich war, manche lokale Eigenheit aufwies, wurde abgeflacht, glattgebürstet, und flott massentauglich gemacht. Dazu wurden auch die Inhalte konsequent bereinigt, denn die Volksmusik ist stellenweise ziemlich deftig, unverblümt. Da wurde ersatzweise viel klischeehafter All-Austrian-Ramsch reingestopft.
Ich vermute, dabei spielte auch eine Rolle, daß weite Teile der Bevölkerung nicht an eine eher ärmliche Herkunft in der agrarischen Welt erinnert werden wollten. Dafür wurden Bilder vom Leben auf dem Lande bis zur Unkenntlichkeit geschminkt. Egal! Was sich verkauft, läuft.
Weggabelungen#
Unabhängig davon könnte man ja... Moment! Da war noch ein anderer Effekt. Konservative Kreise benützten die „echte Volksmusik“ für ihre Identitätsbildung, mißbrauchten sie dabei teilweise auch. Anders ist mir zum Beispiel ein unsägliches Machwerk wie das „Steirische Liederbuch“ unerklärlich. Da trennten sich die Wege.Was mir da in Kindertagen als Kulturgut und Beschreibung des Lebens „einfacher Leute“ aufgedrängt wurde, bleibt für mich weitgehend indiskutabel. Es ist keinesfalls Kulturgut subalterner Schichten, also des „Volkes“. Das regte aber Gegenpositionen an. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie „Ö.D.A. - Österreichische Dialektautor:innen und -archive“ entstand und wie die Zeitschrift „morgenschtean“ wieder für Klartext sorgte. Ich erinnere mich an einen Auftritt von Christina Zurbrügg, die über ihr Akkordeon hinweg „A Butten voll Kinder, an rotzigen Mann“ sang. Sowas war mit „Im Märzen der Bauer“ und seinen „Rösslein“, die bei uns ja kaum wer hatte, wenig vereinbar.
Der Verlag wirbt für das „Steirische Liederbuch“ noch heute mit dem Statement „Dieses traditionelle Liederbuch wird seit vielen Jahren erfolgreich im Schulunterricht eingesetzt und enthält viele Klassiker des Alpenraums sowie zahlreiche fremdsprachige Lieder.“ Lustig! Was da alles an relevanten Stoffen hätte vorkommen können, aber nicht vorkommt, wäre etwa bei Gerlinde und Hans Haid zu erfragen gewesen, aber auch bei Musikern wie Sigi Lemmerer. (Sogar das Volksliedwerk der Steiermark ist da längst kühner geworden.)
Egal! Als Youngster hab ich das alles unter „Bauern-Jazz“ und „Steilhang-Blues“ gereiht, mit einem Schulterzucken abgetan. Erst später fand ich andere Zugänge zur Volksmusik aus dem alpenländischen Raum, zur Musik unserer Leute. Das heißt: Musiken mit regionalen Prägungen, aber oft auch von neuen Begegnungen berührt, für Einflüsse aus anderen Gegenden offen. (Ja, gut, dazwischen gab es auch hartgesottene „Traditonsschützer“. Irgendwer fürchtet sich immer vor Veränderungen.)
Wie erlebten allerhand von den britischen Inseln, schätzten Folk Music, Blues, Country und Bluegrass, aber auch Musiken aus Italien oder von unseren slawischen Nachbarn; nicht zu vergessen französische und spanische Tunes... Wem sagt „Bleizi Ruz“ noch was? Wer kann mit dem Begriff Sevdalinke etwas anfangen? Ich vermute, in meiner Generation können viele noch „The fog on the tyne is all mine, all mine!“ mitbrüllen. Oder „Seven Drunken Nights“.
Mit den laufenden Hörerlebnissen und durch reale Kontakte mit Leuten aus vielen Regionen änderte sich meine Auffassung von Volksmusik völlig. Ende der 1970er Jahre und in den frühen 80ern entwickelten sich in meinem Umfeld Strömungen, zu deren Teil ich stellenweise wurde. Das reichte dann von Straßenmusik über endlose Sessions in Clubs und Wirtshäusern zu diversen Festivals wie dem weststeirischen Bärfolk oder dem italienischen Folkest ein.
Es gab für uns einige Schlüsselpersonen, deren Namen in der Szene einen ausgezeichneten Klang hatten. Beispielsweise Ernst Pozar als Patron der jungen Folkies. Instrumentenbauer Arnold Lobisser in Hallstatt. Hermann Härtel beim Steirischen Volksliedwerk. Freilich auch etliche Persönlichkeiten, die schon auf Bühnen reüssiert haben, als wir noch Kinder gewesen sind.
Inzwischen war aus den Folkfriends Aniada a Noar geworden, Broadlahn hielt Verbindungen zum Jazz offen. Graymalkin kombinierte ganz unterschiedliche Einflüsse und viele Leute meiner Generation hatten sich die Anerkennung älterer Volksmusikanten erarbeitet. (Das alles kann man in Geschichtsbüchern nachlesen.)
Ich bin selbst über viele Jahre in ganz unterschiedlichen Kombinationen mit meinen Texten und mit der Mundharmonika live im Geschehen gewesen. Seite an Seite mit Folkies, Jazzern, Blues-Leuten... Im Dezember 2002 stand ich in Liezen gemeinsam mit Sigi Lemmerer und Hans Peter Knauss vor Publikum. Von daher kenne ich Lemmerer also nicht nur durch seine Musik, sondern auch durch persönliche Begegnung. Das ist ein Ausgangspunkt dieser Geschichte. (Fortsetzung folgt!)
- Kunst Ost (Das Projekt)