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Nachbau des Benz Patent-Motorwagens Nummer 1 in einer Grazer Ausstellung
Nachbau des Benz Patent-Motorwagens Nummer 1 in einer Grazer Ausstellung

Episode 49: Details#

(Wagen, Voiturette, Automobil)#

Von Martin Krusche#

Ich habe mehr als ein Streitgespräch absolviert, um geltend zu machen, daß ich zwei wesentlichen Behauptungen zu unserer Mobilitätsgeschichte nicht zustimme. Beide Behauptungen wurden vor allem 2011 breit ausgestreut und werden bis heute wiederholt.

Sie dominierten damals auch das Cover der Sonderbeilage „Mein Auto“ in der Kleinen Zeitung vom 18. Februar 2011. Da wurden sie in einem Satz zusammengefaßt: „Vor 125 Jahren erfand Carl Benz das Automobil.“

Meine Ansicht lautet: Weder hat Benz das Automobil erfunden, noch ist der Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 ein Automobil im eigentlichen Sinn. Dieser Sinn und Wortgebrauch hat sich überdies erst nach der Präsentation jener vorzüglichen Benz-Arbeit herauskristallisiert.

Was bedeutet das Wort?#

Den Patent-Motorwagen mit seinem Patent von 1886 sehe ich als einen Geräteträger auf dem Weg zum Automobil. Die Bemühungen, einen pferdelosen Wagen zu realisieren, waren breit gestreut. In kohärentem Griechisch müßte der Fahrzeugtyp heute Autokinet heißen. In konsequentem Latein wäre das ein Ipsomobil. Was es wurde, muß ich nicht näher erläutern: das Auto.

In anderen Ländern hing man nicht so elastisch am Erbe der Antike, und sei es noch so halbseiden. In England sagt man Car, in Brasilien und Portugal Carro, in Frankreich Voiture, in Rußland Maschina und so fort. Für Tibet müßte man vermutlich etwas üben, um es halbwegs elegant hinzubekommen: rlangs 'khor.

Es ist für mich vom pferdelosen Wagen die Rede, der von einer transportablen Kraftquelle angetrieben wird. Das hat Carl Benz ja ohne Zweifel sehr gut gelöst. Aber lange vor ihm nämlich 1769, schon der Offizier Nicolas Cugnot, dessen Artillerietraktor („Fardier“) von einer Dampfmaschine angetrieben wurde. Eine fahrtaugliche Konstruktion, bloß für andere Zwecke gebaut. Zwischen den beiden pferdelosen Wagen liegen also über hundert Jahre.

Der Benz’sche Patentwagen#

Aus meiner Sicht ist das ein motorisiertes Dreirad mit einem angemessen stärkeren Rahmenbau. Tricycles waren recht populär, bevor sich die Niederräder (Safeties) mit ihrer komfortablen Bauart durchgesetzt haben. Ein damals noch gängiges Hochrad (High Wheeler) ist zwar imposant, aber auf den einst noch meist schlechten Wegen vor allem mit einer hohen Sturzgefahr verbunden. Das führte zu teilweise schweren Verletzungen.

Dieses Risiko ließ sich mit nieder bauenden drei- und vierrädrigen Fahrrädern mindern. Manche davon auch für zwei Personen ausgelegt. Dafür hatten findige Leute auch das Differentialgetriebe adaptiert, längst ehe es Automobile gab. Der Grund: die unterschiedliche Laufgeschwindigkeit beim Kurvenfahren von Rädern auf der gleichen Achse sollte ausgeglichen werden, weil Innen- und Außenrad verschieden weite Wege haben. Die mechanische Lösung ist alt. Umlaufräder kannte man in unserer Kultur mindestens seit der Antike, wie der Mechanismus von Antikythera belegt. Leonardo wußte von dieser physikalischen Raffinesse ebenfalls.

Die fragwürdige Interpretation ist natürlich ein günstiger Imagefaktor für den Konzern.
Die fragwürdige Interpretation ist natürlich ein günstiger Imagefaktor für den Konzern.

Das Aufkommen der Automobile#

Für unsere Geschichte bleibt vorrangig, daß aus etlichen kleinen Werkstätten und größeren Fahrradfabriken allerhand Know how kam, welches die frühe Automobilentwicklung prägte. Das zeigte in Graz zum Beispiel Benedict Albl, schon ehe Altmeister Johann Puch seinen Namen nicht bloß zur Marke, sondern auch zur steirischen Legende machte.

Aus beiden Werken kamen erst einmal Voiturettes, also schwach motorisierte Wägelchen. Zu jener Zeit hatte man in Österreich schon den zweiten Marcus-Wagen hinter sich, der auf einem eigenen Rahmen mit origineller Lenkung basierte. Es war üblich, bei anderen Tüftlern und Produzenten nachzusehen, was dort gelang. Johann Puch hatte sich augenscheinlich bei Laurin & Klement umgetan und sich auch für die Flugapparate von Louis Bleriot interessiert.

Ich will daher erst ab pferdelosen Wagen mit vier Rädern von Automobilen sprechen, auch wenn sogar nach dem Zweiten Weltkrieg noch ein paar Threewheelers wie der Reliant Robin auftauchten; ohne Frage ein Automobil. Aber das meiste in dem Segment lief doch unter Bubble Car oder Micromobil, also entsprechend dem Frühstadium mit den Voiturettes.

Die Erfinderei#

Was aber die Erfinderei angeht, das ist so eine Schrulle der Mittelschicht. Dieser Genie- und Originalitätsfimmel. Natürlich sehen wir im Rückblick auf vielen Gebieten herausragende Talente, unter denen einige mit speziellen Lösungen und Leistungen in den Geschichtsbüchern vermerkt sind. Aber grade in technischen Bereichen sind dabei zwei Eigenschaften auffallend wichtig.

Erstens die Vorleistungen anderer Leute und zweitens Teamwork. Es ist übrigens gar nicht sicher, ob Carl Benz sein Werk auf den Punkt gebracht hätte, wenn ihm dabei während tiefer Erschöpfung und sehr depressiven Stimmung seine Frau Bertha kein derart wirksamer Beistand gewesen wäre.