Notiz 012: Hier herinnen vergesse ich die Zeit#
(Der Handwerker Alois Pfundner)#
von Martin KruscheRuhelose Hände. Ein karges Leben. Aus heutiger Sicht: Armut. Damals: die engen Grenzen einer kleinen Selbstversorger-Wirtschaft. Wenige Hektar, kaum Möglichkeiten, um Bargeld ins Haus zu bringen. Typische Bedingungen in der Oststeiermark. Zum Umbauen und für die Fuhrdienste waren nicht einmal Ochsen verfügbar, nur Kühe. „Mit Pferden würde alles schneller gehen“, meinte der Vater. Aber womit kaufen? Ist ja nichts da. Den schweren Pflug findet man noch im Schuppen. Selbst wer keine Ahnung vom Ackerbau hat, kann sich vorstellen, wie mühsam es gewesen sein muß, ihn zu führen.
Luis Pfundner sammelt und schraubt. Er hat ein besonders Faible für Standmotoren und Dampfmaschinen. Aber auch für Fahrräder. Und dann speziell jene, die mit Hilfsmotoren aufgebrezelt wurden: der Übergang zur Moped-Ära. Oder Radios. Diese einstmals wertvollen Kanäle zur Welt, als noch keine Fernsehgerät verfügbar war.
Pfundner kommt aus einer Zeit, da bei sein Leuten alte Nägel gradegeklopft wurden. Wer darüber de Augenbrauen hochzieht, hat keine Ahnung von unserer Sozialgeschichte. Wer nicht sparte, kam nicht voran, blieb auf dem Weg aus dem kargen Leben stecken. Der Brunnen vor dem Haus, 18 Meter tief. Strom wurde erst 1959 eingeleitet. „Da war ich neun Jahre alt.“
Pfundner kann mit Maschinen und Apparaten aller Art umgehen. Feinmechanik und grobe Sachen. Dampf, Preßluft und Elektrizität. Am Schluß meines Besuches hab ich auch noch seine kleine Holzwerkstatt sehen dürfen, wo er sich unter anderem mit kniffligen Drechseleien befaßt. Eine Kugel im Würfel und so Sachen. Verwundene Körbchen. Typischer Ansage: „Dann hab ich mir eine Maschine gebaut, die das bohren kann.“
Hier sehe ich eine Bohrmaschine mit seitlich integrierter Trennscheibe. Da sehe ich eine Spezialzange mit langem Stiel, damit man Nägel komfortabel ziehen kann. In einer Ecke ein Kienspan-Halter. Zugsägen aller Art. Und diese verblüffende Preßluft-Säge. „Kannst am Lastwagen anschließen und geht schon. Geht sogar unter Wasser.“
Pfundner kennt, was ich erzähle; daß mich etwa an den Faßbindern fasziniert, wie sie ohne Maschinen auskamen und alles, was sie an Werkzeug brauchen, in eine Kiste paßt. (Die lange Zugsäge ausgenommen.) „Ist bei den Zimmerleuten auch so“, sagt er und zeigt mir eine Stelle an der Schuppenwand, wo so eine alte Ausstattung angeordnet ist.
Handfertigkeit#
Das Geschick der Hände. Eine hinreichende körperliche Kondition. Ein scharfer Verstand, der zwischen Abstraktionsvermögen und Praxis pendeln kann, um Probleme zu lösen. Ich hab gar nicht erst nach den Maurer-Kompetenzen gefragt. Früher haben die Leute bei den nächstbesten Lehmböden selber Ziegel geschlagen, um Gebäude zu errichten. Mauern, Verputzen, Betonieren, die Installationen… das ist wie beim Geradeklopfen der Nägel. Geld, das man sich erspart, muß man nicht hart verdienen.Was die Landwirtschaft hergab, war hauptsächlich für den Eigenbedarf. Mit den Kühen konnten keine großartigen Dienste erledigt werden. Sie waren überdies als Milchquelle unverzichtbar, wie die Hühner, von denen nur selten eins in den Topf kam, weil man die Eier brauchte. „Milch und Eier, Milch und Eier, Milch und Eier“, sagt Pfundner mit einer grimmigen Färbung in der Stimme. „Ich kann keine Milch mehr sehn.“
Es kam also kaum je Fleisch auf den Tisch. „Hoadnsterz“ (Buchweizen) nein, der war zu teuer. „Türkensterz“ (Mais) ja, der ging sich aus. Und saure Suppn bis zum Überdruß. (Milchreste und Wasser, eventuell ein Schuß Essig, manchmal etwas Mehl.) Und Kraut.
Kleiner Einschub#
Von Bauer Richard Hubmann weiß ich, warum der Hoadnsterz teurer war. „Buchweizen ist einerseits ein ‚abtragende‘ Frucht. Das heißt, er wird angebaut, nachdem in den Jahren zuvor zum Beispiel Kartoffel und Weizen die Nährstoffe schon aus dem Humus geholt haben. Und er eignet sich auch als Zweitfrucht. Es wurden oft nach der Ernte Gerste oder Frühkartoffel angebaut und wurden bis zu Herbst reif. Also war Buchweizen geeignet, den auf kleiner Fläche wirtschaftenden Häuslerfamilien eine zusätzliche Nahrungsquelle zu bescheren.“Buchweizen hat übrigens botanisch nichts mit Weizen zu tun, zählt bei exakter Definition auch nicht zum Getreide. Weizen, so Hubmann, das wäre dann der Bauwoaz. „In der Oststeiermark ein gebräuchlicher Ausdruck, zur Unterscheidung, weil hier der Mais auch Türkisch Woaz genannt wird.“ Oder einfach Woaz. Futtermittel und Basis für Polenta.
Steter Mangel#
Der soziale Aufstieg, den Pfundner mit seiner Frau erarbeitet hat, liegt einerseits in Geschick und Fleiß der Leute, liegt andererseits auch in den Technologiesprüngen, die auf dem Weg in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine erhebliche Breite gewonnen haben. Da konnten Talente wie die von Pfundner Wirkung entfalten. Diese Talente brachten kaum Geld, so lange man nur auf Feld und Wiese zu tun bekam.Die Maschinisierung der Landwirtschaft, wie sei nach dem Zweiten Weltkrieg zunahm, bot dafür einen ganz anderen Rahmen. Ein Beispiel aus der Kindheit des Mannes. „Wir haben schon eine kleine Dreschmaschine gehabt. Aber den Motor dafür mußten wir uns jedesmal ausleihen.“ Dabei heizte sich das Kühlwasser im Ausgleichsbehälter der Maschine so auf, daß die Mutter darin Eier kochte. „Nach der Arbeit haben wir das heiße Kühlwasser zum Baden genommen.“ Daß man Badewasser extra aufgeheizt hätte, kam aus Gründender Sparsamkeit nicht in Frage.
Mangel war Normalität. Not zeigte sich gelegentlich. Es kam durchaus vor, daß die Mutter sagte: „Es ist nichts mehr da. Ich hab nur noch Brot.“ Pfundner erinnert sich: „Dann hat sie die Herdplatte abgewischt, ein bißl Salz gestreut, die Brotscheiben drauf. Dann gab’s vielleicht noch einen Apfel dazu.“
Äpfel „Sie haben einen Keller gebraucht.“ Der wurde in den Hang gebaut, später aufgestockt. „Oben die Obstpresse, dann ist der Saft runtergeronnen, direkt in die Fässer.“ Der Most war Haustrunk für den Eigenbedarf. Sonst gab es nur Wasser. Ein paar Hecken mit Isabellatrauben. „Der Wein war nicht gut, aber es gab eine tolle Marmelade.“
Sie ahnen schon, das alles schuf laufend Gelegenheit, sein handwerkliches Geschick und seine Fähigkeit zum Problemlösen zu üben, zu verfeinern, zu vertiefen. Improvisation! Pfundner hatte immer die Augen offen, was in der Umgebung so anfiel, was liegenblieb. Ob alte Maschinen, diverse Teile, ob bloß Buntmetall…
Pfundner: „Ich trag immer was heim. Wenn ich es nicht kenne, noch lieber.“ Ich denke, in einer Fabrik hätte man den Mann in die Entwicklungsabteilung gesteckt. So aber wurde er eben jener Sammler und Schrauber, der nicht bloß über alles nötige Material und Werkzeug verfügt, ohne daß er ein Vermögen in den Fachhandel und in Baumärkte getragen hätte. Was er an alten Stücken finden, tauschen, kaufen konnte, was er schließlich restauriert hat, macht ein Sammlung aus, anhand derer sich das 20. Jahrhundert erzählen läßt. Von Edisons Phonograph über ein Feuerwehrfahrrad bis zum Preßlufthammer, zum Schweißtrafo und nebenbei einige markante Fahrzeuge der Moped-Historie.
Zugkraft#
Stiere, zu Ochsen beschnitten, sind die stärksten Landtiere, die wir haben. Pferde sind nicht so kräftig, aber um ein Vielfaches schneller. Das Aufkommen erschwinglicher Kompakttraktoren machte die Traktionskraft dieser Zugtiere schließlich überflüssig.Ein blitzsauberer Eicher Traktor („Königs-Tiger“) und ein grobes Arbeitstier (System Porsche) vor dem Haus bringen mich auf eine naheliegende Frage. Der schwere oststeirische Boden setzt das Limit beim fünfscharigen Pflug. Ich höre, in der Praxis seien es eher bloß dreischarige Pflüge, die sich einsetzen lassen. Wie war es aber damals?
Dem populären Steyr Typ 80 mit seinen 15 PS („Fünfzehner“, bis 1964 gebaut) war der „Achtzehner“ mit entsprechender PS-Leistung gefolgt. Das reichte noch nicht für Pfundners Aufgaben: „Bei 40 PS ist der einscharig Pflug ja ordentlich reingegangen, der zweischarige aber nicht sehr tief. Im Raabtal drinnen, bei den schweren Böden, war das nur schwer zu machen. Daheim ging es mit dem zweischarigen Pflug besser.“
Der Steyr 188 (Jubiläumsserie von 1960) brachte 28 PS, der Kleinste aus der Plus-Serie (mit dem markanten Design von Louis Lucien Lepoix) bot dann 30 PS (Steyr 30 von 1966), der Große von 1977 (Steyr 1108) konnte mit 105 PS aufwarten. Ein heutiges Spitzenmodell, der Steyr Terrus CVT („Ein Kraftpaket der Superlative“), kommt wahlweise mit 250, 271 bzw. 300 PS daher.
Der Tüftler#
Luis Pfunden hat aber auch Freude daran, Dinge auszuhecken, die erst erprobt werden müssen. Das Fahrrad mit dem Propeller „läuft gut“ und dürfte sich bei aktueller Sommerhitze als rasender Ventilator bewähren. Das Monowheel, aber auch ein komfortablerer Zweiradler mit Schalensitz stehen unter den Eigenkonstruktionen in der seriösen Abteilung. Dagegen ist sein Fahrrad mit dem „Gegenlenker“ eine Herausforderung für alle, die sowas probieren. Schwenkt man den Lenker nach rechts, lenkt das Rad nach links ein; und umgekehrt. „Das schafft eigentlich keiner, weiter zu fahren.“In einer Zimmerecke ein neu gebautes Hochrad (Penny-farthing), das Kraft und Geschick verlangt. In einem anderen Winkel ein durchaus junges Kardanrad, also ein kettenloses (chainless), aber gut gefedertes Fahrrad mit Kardanwelle. (Sowas hat Benedict Albl vor über hundert Jahren in Graz produziert, allerdings ungefedert, also mit Starrheckrahmen.)
Der unbedarfte Laie mag in Pfundners Wunderkammern herumstaunen. Wer sich zu den Kennerkreisen zählt, hat mit ihm viel zu bereden, auch zu diskutieren. Und es ist völlig klar: ein Menschenleben reicht nicht aus, um alles zu bearbeiten, was hier schon angelegt ist. Aber das bedeutet ja auch, Pfründner kann ganz nach aktueller Laune vorgehen, er findet für jede Stimmung das passende Projekt in seinen Beständen. Denn so viel ist klar: er muß tätig sein. Das ist seine Natur. „Hier herinnen vergesse ich die Zeit.“
- Alle Fotos: Martin Krusche
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